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Die Welt zu Gast bei Freundinnen

Die Fragen stellte Christine Harjes26. Juni 2006

Die Fußballbegeisterung in Deutschland kennt keine Geschlechtergrenzen: Auf Großleinwänden und vor den Bildschirmen Zuhause verfolgen Frauen genau wie Männer die WM. Neu sei das Phänomen nicht, sagt Nicole Selmer.

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Keine Seltenheit: weiblicher FußballfanBild: AP

DW-WORLD.DE: Während bei Bundesligaspielen überwiegend Männer in die Stadien kommen, sehen wir jetzt plötzlich ganz viele Frauen auf den Rängen. Was ist anders?

Nicole Selmer Frauen und Fußball
Nicole SelmerBild: privat

Nicole Selmer: Da muss ich Ihnen leider sofort widersprechen. Ich war jetzt auch in WM-Stadien und ich würde sagen, dass in den Stadien weniger Frauen sind als bei Bundesligaspielen. Bei Bundesligaspielen würde ich schätzen, ist mindestens ein Viertel Frauen in den Stadien, jetzt zur WM sind es weniger. Ganz viele Frauen sind auf den Fanfesten, bei Public Viewings, in den Kneipen und sicherlich auch vorm Fernseher. Da sind bestimmt die Hälfte der Zuschauer Frauen.

Warum interessieren sich Frauen plötzlich so für Fußball?

Es ist nicht so, dass Frauen sich jetzt auf einmal für Fußball interessieren. Die Entdeckung, dass Frauen vorm Fernseher sitzen und Fußballspiele gucken, wird zu jeder WM seit ungefähr 16 Jahren gemacht. Das war in Italien 1990 auch schon so. Da haben das Halbfinale Deutschland-England zur Hälfte Frauen geguckt. Das war auch '94 in den USA so, '98 in Frankreich und in Südkorea sowieso; da war das Publikum total weiblich - das hört man schon am hohen Kreischen der Fans und das wird jetzt in Deutschland auch noch mal entdeckt. Tatsächlich ist es aber kein wirklich neues Phänomen. Es interessieren sich sicherlich sehr viel mehr Frauen für Länderspiele als für die Bundesliga, das ist aber bei Männern auch so.

Frauen wollen Beine und Hintern gucken und hoffen, beim Trikottausch ein paar nackte Oberkörper zu sehen. Stimmt das Vorurteil?

David Beckham Porträt WM 2006
Immer für eine Bemerkung gut: Frauenschwarm David BeckhamBild: picture-alliance / dpa

Vor allem ist es wirklich ein Vorurteil. Es ist aber schon so, dass Frauen beim Fußball nebenbei auch über andere Dinge reden können - so wie Männer zwischendurch mal aufstehen, um ein Bier zu holen und so was vom Spiel verpassen. Da reden Frauen dann schon mal darüber - wenn der Ball im Aus ist - wie sieht der Spieler jetzt aus, oder finde ich den sympathisch. Also, das sind sicherlich Kommentare, die Männer nicht machen, weil das nicht mit dem klassischen Klischee davon, wie sich ein Fan verhält, zusammenpasst.

Gucken Frauen und Männer auf die gleiche Art Fußball?

Ich weiß aus meinen Interviews mit weiblichen Fans, dass es ganz viele Gemeinsamkeiten gibt, die die Unterschiede überwiegen. Aber die Unterschiede bestehen darin, dass es natürlich für Frauen was Anderes ist, ins Stadion zu gehen. Dass man völlig andere Bemerkungen bekommt, als Männer, wenn sie alleine ins Stadion gehen. Männer werden nicht verwundert angeguckt und die müssen auch nicht die Abseitsregel erklären, wenn sie Kanzler werden.

Männer tun sich ja beim Fußball gern als echte Experten hervor, die die eigene Mannschaft natürlich schon längst zum Sieg geführt hätten, wenn man ihnen doch nur die Chance dazu gäbe. Reden Frauen auch so klug daher?

Fußball, WM 2006, weibliche Fans, Frauen
Public ViewingBild: AP

Ja, teilweise sicherlich. Ich glaube, es gibt bei Frauen eine große Bandbreite an Verhaltensweisen beim Fußball. Gerade bei dieser klassischen Situation, wo man in einer größeren Runde vorm Fernseher sitzt. Es gibt Frauen, die dann extra solche Bemerkungen machen, wie "Oh, der ist aber niedlich". Vielleicht um ihren Mann dann auch ein bisschen zu ärgern. Aber es gibt natürlich auch Frauen, die ein bisschen klug rumschwätzen und sich so etwas in Pose werfen.

Frauen müssen sich oft den Vorwurf gefallen lassen, sie wüssten nicht mal, was eine Absatzfalle ist. Ändert sich das jetzt mit dieser WM, wo Frauen zu den Public Viewings mit den Großleinwänden gehen und die Spiele Zuhause vorm Fernseher verfolgen?

Ich glaube nicht. Bei den Fanfesten und Public Viewings zur WM geht es nicht besonders um Fußball. Da geht es nicht um Abseits und irgendwelche Taktik-Sachen. Da geht es darum, Spaß zu haben, und da geht es letzten Endes ja nicht einmal darum, zu gewinnen. Ich finde, das sieht man sehr deutlich an Fans von Mannschaften, die verloren haben - die sind nicht so traurig, wie man das in der Bundesliga erlebt. Das ist noch mal weniger existenziell, scheint mir.

Seit die WM läuft, wird überall in Parks und auf Wiesen gekickt - glauben Sie, dass mit der allgemeinen Fußball-Begeisterung jetzt auch mehr Frauen Fußball spielen werden?

Das glaube ich ganz sicher. Ich glaube aber, dass das vor allem mit dem Frauenfußball-Boom, den wir spätestens seit dem WM-Titel der deutschen Nationalmannschaft 2003 erleben, zu tun hat. Da ändert sich sicherlich etwas. So fangen auch immer mehr Mädchen schon als Kinder an Fußball zu spielen und bekommen dadurch eine ganz andere Selbstverständlichkeit dazu und wissen ganz anders Bescheid.

Wie sind Sie selbst denn zum Fußball gekommen?

Ich bin auch übers WM-Gucken zum Fußball gekommen, 1982, da war ich zwölf. Eigentlich war es keine besonders schöne WM und es waren schon gar keine besonders schönen deutschen Spiele, insofern hat mich da mehr die Spannung gepackt. Außerdem fand ich Kalle Rummenigge toll. Und dann hat mich die Begeisterung nicht mehr losgelassen.

Nicole Selmer ist Autorin des Buches "Watching the Boys Play - Frauen als Fußballfans", erschienen 2004 im AGON-Sportverlag. Wenn sie nicht gerade Weltmeisterschaften verfolgt, hält sie Borussia Dortmund die Treue - durch Höhen und Tiefen.