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"Die Wissenschaft ist unser höchstes Gut"

14. Mai 2011

Im Verborgenen durchsuchen sie Doktorarbeiten auf Plagiate. Sie sind anonym und keiner kennt ihren wirklichen Namen. Zwei Politiker brachten sie schon zu Fall. DW-WORLD hat mit einem der Plagiatsjäger gesprochen.

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Das Bildschirmfoto zeigt die Internetseite 'GuttenPlag Wiki' (Foto: dpa)
'GuttenPlag Wiki' enttarnte die Doktorarbeit von Karl-Theodor zu Guttenberg als PlagiatBild: picture alliance/dpa

Deutsche Welle: Wer sind Sie?

Mein Name ist Dr. Martin Klicken. Ich bin promovierter Ingenieur aus dem norddeutschen Raum. Ich arbeite in der industrienahen Forschung.

Warum benutzen Sie ein Pseudonym?

Karl-Theodor zu Guttenberg (Foto: AP)
Guttenberg (CSU) trat als Bundesminister der Verteidigung zurückBild: AP

Ich habe einen Großteil meines Arbeitslebens noch vor mir und plane eine wissenschaftliche Karriere. Leider haftet einer Person, die Missstände aufzeigt in vielen Bereichen noch immer der Ruf eines "Nestbeschmutzers" an. Solange sich das nicht ändert, sehe ich nicht ein, warum ich meine Karriere zum Beispiel als Hochschullehrer aufs Spiel setzen sollte. Meine Erfahrung aus vergangenen Fällen des Wissenschaftsbetrugs zeigt auch, dass die Beschuldigten regelmäßig Einschüchterungstaktiken gegen diejenigen anstrengen, die sich an der Aufdeckung beteiligen. Dabei wird viel verleumdet, mit Schmutz geworfen, verklagt usw. Ein Pseudonym bietet einen gewissen Schutz gegen die wildesten Anfeindungen.

Warum arbeiten auch die anderen Helfer von VroniPlag und GuttenPlag anonym? Wovor haben sie Angst?

Nur die wenigsten arbeiten anonym, d.h. sie melden sich nicht an und hinterlassen Hinweise lediglich mit ihrer IP-Adresse. Alle anderen arbeiten mit Pseudonym. Von einigen sind sogar die bürgerlichen Namen bekannt. Angst? Ich habe nichts davon gehört, dass die Helfer Angst haben. Vielmehr ist es zum Beispiel auch in der Wikipedia ganz verbreitet, mit einem Spitznamen bzw. Pseudonym zu arbeiten.

Wäre es nicht effektiver, mit offenem Visier zu kämpfen?

FDP-Europapolitikerin Silvana Koch-Mehrin (Foto: dapd)
Gab Ämter auf: FDP-Europa-Politikerin Silvana Koch-MehrinBild: dapd

Ich weiß es nicht. Während meiner Arbeit mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen habe ich gar nicht das Gefühl, zu kämpfen, eher zu suchen. Das mit dem "Kämpfen" ist ein ziemlich schlechtes Bild, das meines Erachtens gezielt zur Emotionalisierung und Martialisierung der Debatte eingestreut wurde. Es soll von inhaltlichen Fragen ablenken, die völlig losgelöst von der Identität der Helfer zu betrachten sind: Ist die Doktorarbeit eine Eigenleistung, oder wurde abgeschrieben? Manche Leute haben ein Interesse daran, so gut es geht zu verwirren und von diesen sehr einfachen Fragen abzulenken. Nicht ohne Erfolg. Viele übersehen in diesen Tagen, dass ertappte Betrüger und Täuscher sich heimlich davonstehlen, ohne auch nur einen Anflug von Bedauern zu zeigen oder sich zu entschuldigen. Die Doktorarbeiten dieser Menschen stehen für sich, und es ist völlig unwichtig, wer darauf hinweist, dass seitenweise abgeschrieben wurde. In den Wikis sehen sie die zusammengetragenen Fakten. Dort gibt es keinen Kampf. Einfach nur die Seiten der Dissertationen, zusammen mit den Quellen, aus denen abgekupfert wurde.

Wie viele Helfer beteiligen sich an ihrer Arbeit?

Das schwankt. Die Mitarbeit ist sehr heterogen, d.h. manche kommen nur einmal auf die Seite, geben einen entscheidenden Hinweis, und sind dann wieder weg. Manche plagiierte Autoren haben sich angemeldet, um die 20-30 Seiten einzuarbeiten, die aus ihren Arbeiten geklaut wurden. Andere arbeiten regelmäßig mit. Wenn die aktuellen Fälle nun soweit bearbeitet sind, werden sich nur noch eine Handvoll Leute täglich im Wiki anmelden. Kommt es aber zu einem tagesaktuellen Fall, kann sich das über Nacht ändern, und wir hätten wieder Hunderte von Beitragenden täglich.

Warum haben Sie bisher nur Personen aus dem konservativ-liberalen Milieu überprüft?

Edmund Stoiber und dessen Tochter Veronica Saß (Foto: dapd)
Veronica Saß, Tochter von Bayerns Ex-Regierungschef Stoiber (CSU), musste ihren Doktortitel abgebenBild: dapd

Wie kommen Sie zu der Annahme? Sehen Sie, im Chat wurde eine Prämie von 500 Euro ausgelobt für denjenigen, der einen SPD/Grüne/Linke-Fall liefern kann mit einem konkreten Anfangsverdacht. Jeder kann sich die Prämie holen. Ich persönlich habe schon stichprobenartig einige Dissertationen aus diesem Spektrum untersucht, wurde aber nicht fündig. Es ist sehr naiv, zu glauben, dass das ganze konservativ-liberale Lager zu unfähig ist, eine Doktorarbeit des politischen Gegners zu untersuchen. Verschwörungstheoretiker müssen hier auf sehr unwahrscheinlichen Annahmen aufbauen.

Wen wird es als nächsten treffen? Haben Sie schon neue Überprüfungen in Planung?

Das weiß ich nicht. Ich denke, die Dissertation von Margarita Mathiopoulos muss unbedingt neu bewertet werden. In meinen Augen ein Skandal, der Folgen für die Universität Bonn haben muss, falls sie bei ihrer Einschätzung bleibt. Mein Beitrag kann dabei aber nur sein, Fundstellen zu dokumentieren. Dann geht es auch darum, wie die Universitäten reagieren, natürlich aber auch, wie die Wissenschaft insgesamt einen Schaden bewertet, der von solchen Personen und ihren Unterstützern in die gesamte wissenschaftliche Landschaft ausstrahlt. Wir haben keine Rohstoffe. Bildung und Wissenschaft sind unsere höchsten Güter. Wenn sich auch die Medien und die Öffentlichkeit klar zu Ehrlichkeit, Eigentum und Leistung bekennen, sehe ich eine Chance zu einer Erneuerung, aus der alle gestärkt hervorgehen werden.

Wie erklären Sie sich die massiven Plagiate in den Doktorarbeiten, was läuft falsch im Wissenschaftsbetrieb?

Dazu habe ich derzeit keine Antwort. Sicher ist, man muss den Studenten schon früh vermitteln, was geht und was nicht geht. Das wird aber soweit ich das sehen kann, eigentlich fast überall getan. Allein, manche glauben nicht so recht daran, und wenn sie merken, dass es funktioniert, betrügen sie. Eventuell müsste die Lehre wieder einen engeren Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden erlauben. Im Zuge der Reformen der letzten Jahre scheint es allerdings schwieriger geworden zu sein, sich vertieft auf einen solchen Austausch einzulassen.

Wie groß ist die Mitschuld von Universitäten und Professoren?

Ein arabisches Sprichwort lautet: "Vertrau auf Gott. Aber binde dennoch dein Kamel fest." Sich allein mit dem Vertrauensverhältnis herausreden zu wollen, kann mancher vielleicht nachvollziehen, aber eigentlich muss man sich auch fragen: Kann ein Doktorvater gleichzeitig 20 Dissertationen betreuen? Kann die Qualität der Ausbildung gewährleistet werden, wenn der Doktorand die Universität nie von innen sieht? Muss bei Vergabe einer Höchstnote nicht spätestens ein externer Gutachter bestellt werden? Oder sogar regelmäßig? Und wie ist es mit der Öffentlichkeit bei Verteidigungen? Gelegenheit macht Diebe. Und die Betrüger tragen nicht ganz allein die Schuld, aber das ist nur meine persönliche Ansicht. Spätestens wenn ein Professor zu seinem Doktoranden sagt: "Naja, 5-10 Prozent der Fußnoten sind eh falsch", haben wir es mit einer Mitschuld zu tun, und einer schlechten Einstellung zur Wissenschaftlichkeit, die eines Korrektivs bedarf.

Dr. Martin Klicken untersucht auf der Webseite VroniPlag, Doktorarbeiten nach Plagiatsstellen. Er willigte dem Interview nur zu, wenn seine Anonymität gewahrt bleibt.

Die Fragen stellte Nils Naumann
Redaktion: Arne Lichtenberg