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Die Wut der Jugend

Matthias Sailer31. Januar 2013

Seit rund einer Woche toben in ägyptischen Städten Straßenkämpfe zwischen Polizei und Demonstranten. Die jungen Menschen sind meist arm und fühlen sich vom Staat alleine gelassen und unterdrückt.

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Mohamed, ein Anti-Mursi-Demonstrant in Kairo (Foto: Matthias Sailer)
Bild: Matthias Sailer

Mohamed ist 15. Er trägt Schutzbrille und Gazemaske gegen Gummigeschosse und Tränengas. Die Luft brennt in den Augen. Er steht am Eingang zu einer Straße in Kairo, die am Nil entlang führt. Hunderte Demonstranten liefern sich hier eine Straßenschlacht mit der paramilitärischen Polizei. Mohamed ist einer von ihnen. Die meisten sind jung, einige sogar noch deutlich jünger als Mohamed. Sie bewerfen die in schwarz gekleideten Polizisten mit Steinen und Molotowcocktails. Die antworten mit Tränengasgranaten und Gummigeschossen, andernorts auch mit scharfer Munition. Für Mohamed ist eines klar: "Friedlich funktioniert das nicht. Die Polizei würde uns schlicht angreifen, wenn wir uns nicht wehren würden – deshalb die Gewalt. Ich bin hier seit einer Woche. Zuvor war ich schon bei den Schlachten am Präsidentenpalast und bei Ausbruch der Revolution auf dem Tahrirplatz."

Mohameds rote Hose ist verdreckt und abgetragen. Er kommt aus einem der armen Stadtteile Kairos, wo er mit seinem Bruder lebt. Seine Eltern sind beide tot. Doch die meiste Zeit verbringe er ohnehin hier, sagt er auf den nahen Tahrirplatz zeigend. Hosni Mubarak und Präsident Muhammad Morsi hätten das Land völlig kaputt gemacht: "Ich komme aus einer armen Familie. Wir haben nichts. Deswegen sind wir hergekommen und kämpfen für unsere Rechte. Wir sind Menschen und keine Tiere. Ich hoffe, dass wir ein ehrliches Land bekommen."

Vom Staat fühlen sie sich wie Dreck behandelt

Den meisten Demonstranten geht es wie Mohamed. Sie haben nicht viel zu verlieren, sind bitter arm und haben gegenüber dem Staatsapparat kaum Rechte. Wegen Kleinigkeiten können sie willkürlich verhaftet werden. Jeder weiß, dass sie sich keinen Anwalt leisten können, der ihre Rechte verteidigen würde. Vom Staat fühlen sie sich wie Dreck behandelt. Und von Politikern hält Mohamed wenig: die würden nur auf Kosten der Menschen leben. Mohamed hat lediglich eine einfache Schulbildung. Doch er denkt nach, bevor er Antworten gibt, und hat aus seinen Lebenserfahrungen heraus gut begründete Ansichten. Er ist kein Krimineller, sondern nur fest entschlossen, gegen seine Situation zu kämpfen.

Ein ausgebrannter Mannschaftstransporter der Polizei auf dem Tahrirplatz in Kairo, 29.1.13; (Foto: Matthias Sailer)
Die Gewalt der StraßeBild: Matthias Sailer

Plötzlich knallt es mehrmals laut in schneller Abfolge. Die Schweife von Tränengasgeschossen werden sichtbar und innerhalb weniger Sekunden ist der Eingang zur Straße kaum noch zu sehen. Die Demonstranten rennen, schreien. Eine junge Frau mit Kopftuch schwankt aus dem Nebel und bricht ohnmächtig zusammen. Einer der Jugendlichen nimmt sie auf seine Arme und rennt zum nächsten Krankenwagen. Der 23-jährige Hossam kam glimpflich davon, lediglich seine Augen brennen: "Seit zwei Jahren gehen wir auf die Straße, weil wir Gerechtigkeit und Freiheit wollen, aber die Polizei bekämpft uns immer noch. Vor zwei Jahren wurde ein Freund von mir von der Polizei ermordet. Im Vergleich zu Gewehrkugeln sind Steine und Molotowcocktails friedlich."

Ehrenwerte Ideale - aber kaum realistische Antworten

Zwischen den vielen ärmeren Jugendlichen sticht Hossam hervor. An seinen teuren Sportschuhen und neuen Kleidern kann man leicht erkennen, dass er der gehobenen Mittelschicht angehört, die unter den Kämpfern eine kleine Minderheit bildet. Für politische Lösungen hat er keine Geduld mehr. Er möchte "revolutionäre Lösungen". Der Präsident solle abdanken und die Mörder der vielen getöteten Demonstranten endlich gerecht bestraft werden. Hossam hat ehrenwerte Ideale. Doch realistische Antworten auf Ägyptens Probleme hat auch er nicht. Für den 24-jährigen Mostafa, einen Bekannten von Hossam, ist der Grund für die zunehmende Gewaltbereitschaft klar: "Die Menschen sind gewalttätiger geworden, weil ihnen keiner geantwortet hat oder auf ihre Forderungen oder Empfehlungen einging."

Ein Demonstrant mit ägyptischer Flagge (Foto: REUTERS)
Protest zum Wohle des Landes: Ein Demonstrant mit ägyptischer FlaggeBild: Reuters

Der "Schwarze Block": neuer Widerstand oder eine Erfindung des Regimes?

Dazu passt auch ein neues, vor wenigen Tagen aufgetretenes Phänomen, der sogenannte "Schwarze Block". Seine Markenzeichen sind wie bei seinem Pendant in Deutschland schwarze Kleidung und Vermummung mit schwarzen Masken. Mitglieder gaben bekannt, dass sie sich den Muslimbrüdern und dem Präsidenten widersetzen würden, notfalls auch mit Gewalt. Wer hinter der Gruppe steht, ist unbekannt. Auf jeden Fall hat ihr Kleidungsstil bereits hohe Popularität erreicht: Viele Demonstranten haben ihn übernommen, obwohl sie nicht dem Schwarzen Block angehören. Mostafa sieht in der Gruppe nichts Problematisches: "Die werden keinen Schaden anrichten. Sie wollen nur Gutes für das ägyptische Volk. Die Regierung geht nicht auf die Erwartungen der Bürger ein und deswegen haben einige es selbst in die Hand genommen und den sogenannten Schwarzen Block begründet."

Doch es gibt auch skeptische Stimmen. Einige glauben, der Block sei nur eine Erfindung des Regimes, um aggressiver gegen die Demonstranten vorgehen zu können. Die Muslimbrüder machen den Block tatsächlich für die jüngsten Gewaltausbrüche verantwortlich. Der Generalstaatsanwalt erklärte die Organisation am Dienstag zur Terrororganisation, deren Mitglieder zu verhaften seien. Da viele Demonstranten schwarze Kleidung tragen, ist dies zusammen mit dem teilweise verhängten Notstandsrecht ein Freibrief für Verhaftungen.

Ägyptische Soldaten in Kairo (Foto: XINHUA /LANDOV)
Der starke Staat: Militär in KairoBild: picture-alliance/landov