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Politik

"Dieses Land ist noch nicht darüber hinweg"

Antje Passenheim, Washington22. November 2013

Noch 50 Jahre nach seiner Ermordung gilt JFK als beliebtester Präsident der USA. Ist er gleichzusetzen mit Washington oder Lincoln? "Gemessen an seinen Verdiensten, ganz klar: nein", sagt der Historiker Robert Dallek.

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Porträt von JFK-Historiker Robert Dallek (Foto: Geraldine Dallek, Washington)
Bild: Geraldine Dallek

DW: Dallas. Texas. Drei Schüsse... Jeder US-Amerikaner, der den 22. November 1963 erlebte, weiß noch genau, was er im Moment der schrecklichen Nachricht getan hat. Wo haben Sie es erfahren?

Robert Dallek: Ich lehrte Geschichte an der Columbia University, hatte gerade meine Stunde beendet und ging nach Hause. Als ich den Broadway herunterlief, traf ich auf eine Gruppe Menschen, die aufgeregt um ein Auto stand und dem Radio lauschte. Ich fragte: "Was ist los?" Sie sagten: "Jemand hat auf den Präsidenten geschossen." "Oh, mein Gott!", sagte ich, eilte zu meinem Appartement und schaltete den Fernseher ein. Da gaben sie gerade seinen Tod bekannt. Ich erinnere mich an das Ausmaß der Trauer, das so viele Menschen an diesem ganzen Wochenende teilten. Das ganze Land war getroffen worden und hatte einen fürchterlichen Verlust zu ertragen. Auch 50 Jahre danach: Ich glaube, dieses Land ist noch immer nicht darüber hinweg.

In ihrer Biografie "An Unfinished Life" schreiben sie, dass die Ermordung von Präsident John F. Kennedy für ihr Land der größte Schock seit dem Angriff auf die US-Flotte in Pearl Harbour war. Aus welchen Gründen fesselt ausgerechnet dieser Präsident die US-Bürger derart bis heute?

Einer ist, dass er ermordet wurde - und dann auch noch in so jungen Jahren! Er war gerade 46 Jahre alt. Wie ich schon in meiner Biografie schreibe: Es war ein unvollendetes Leben und eine unvollendete Präsidentschaft. Keiner kann sich vorstellen, wie er mit 96 gewesen wäre. Er ist für alle eingefroren geblieben, so wie er damals war - jung, vital, charmant und geistreich. Das Fernsehen hat ihn so festgehalten.

In Umfragen hält sich JFK nach wie vor als der beliebteste Präsident in der Geschichte der USA. Lediglich Ronald Reagan kommt ihm nahe.

Weil das die zwei Männer sind, die das Land nachhaltig inspiriert haben und ihm Hoffnung geben. Die Menschen erinnern sich an ihre Rhetorik, ihre Sprache, ihre Reden. Kennedy: Ask not what your country can do for you. Ask what you can do for your country. Er versprach, einen Mann auf den Mond zu bringen - und selbst, wenn er es nicht mehr erlebte - er schaffte es. In seiner berühmten Friedensrede in Washington drängt er das Land 1963, den Blick auf die Sowjetunion zu verändern, um einen Nuklearkrieg zu verhindern. Kennedy erzeugte eine neue Art Hoffnung, wie es nach ihm kein anderer Präsident vermochte.

Was hat er tatsächlich als Präsident erreicht? Welches Vermächtnis hat er den Amerikanern hinterlassen?

Innenpolitisch praktisch gar nichts. Er hatte vier große Ziele: eine Steuersenkung, eine Gesundheitsversicherung für Rentner, Bildungsförderung und Bürgerrechte. Nichts von dem wurde während seiner Präsidentschaft umgesetzt. Ähnliche Niederlagen erlitt er mit seiner Außenpolitik: Die gescheiterte Invasion in der Schweinebucht, bei der Exilkubaner mit Washingtons Rückendeckung Revolutionsführer Fidel Castro stürzen sollten, und Kennedy hinterher sagte: Wie konnte ich so dumm sein (und auf den Rat der Militärs hören - Anm. d. Red.)? Sein Gipfeltreffen mit Chruschtschow in Wien im Juni 1961, wo dieser ihn so gnadenlos vorführt. Danach wird die Berliner Mauer gebaut und er kann nichts dagegen tun. Tatsächlich akzeptiert er sie, um eine Konfrontation mit den Sowjets zu umgehen. Doch es gibt auch ein paar bemerkenswerte Meilensteine: Die Kubakrise etwa, in er er einen Atomkrieg abwendet. Oder der Atomwaffensperrvertrag mit den Sowjets. Es gab diese Siege. Aber der größte von allen war seine Inspiration.

In ihrem gerade erschienenen Buch "Camelot's Court" heben sie dies besonders hervor: Kennedy focht einen stetigen Kampf gegen seine eigenen Generäle, die offenbar ihren Finger mehrfach am Abzug hatten und bereit waren, die Welt in einen Atomkrieg zu führen.

Die Kontrolle über die Atomwaffen war seine größte Sorge und gleichzeitig sein größter Erfolg. Er war überzeugt davon, dass ein Atomkrieg das größte Versagen und die größte Katastrophe einer jeden Präsidentschaft gewesen wäre. Privat hat er einmal jemandem gesagt: "Ich sähe meine Kinder lieber rot als tot." Das hätte er natürlich niemals öffentlich sagen können. "Oh, er ist ein Freund der Kommunisten!", hätten alle gerufen. Doch er glaubte, alles in seiner Kraft stehende tun zu müssen, um einen nuklearen Konflikt zu verhindern. Hätte er länger gelebt, denke ich, wäre die Entspannungspolitik mit der Sowjetunion nicht erst mit Richard Nixon in den 1970er Jahren eingeleitet worden.

Die US-Militärs waren ihrem Commander-in-Chief nicht sonderlich freundlich gesonnen. Liest man ihr Buch scheint es, als hätten Kennedys Gegner im Kalten Krieg nicht jenseits des Atlantiks gelauert, sondern jenseits des Potomac-Flusses, der das Weiße Haus vom Pentagon trennt.

Es gab starke Spannungen zwischen Kennedy und seinen Generälen. Ihn sorgte es, dass sie seiner Meinung nach eine so lockere Haltung zum Krieg und vor allem zu einem Atomkrieg hatten. Sie wiederum taten sich schwer damit, dass dieser junge Mann, der lediglich Kommandeur auf einem Patrouilleboot war, den Fünf-Sterne-General Dwight Eisenhower ablöste, der schließlich 1944 die D-Day-Invasion und dann die US-Truppen mit den Alliierten zum Sieg im Zweiten Weltkrieg geleitet hat. Man muss das verstehen: Diese Generäle hatten den Zweiten Weltkrieg miterlebt und sahen den Sieg als Resultat der bedingungslosen Nutzung der amerikanischen Waffenmacht. Du bombardiertest Deutschland und machtest Städte und Industrieanlagen dem Erdboden gleich. Du warfst Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, um die Japaner in die Knie zu zwingen. Kennedy spürte: Diese Zeit des bedingungslosen Kriegs ist vorbei. Das kannst du nicht machen.

Kennedy hat den Generälen nicht nur die Stirn geboten, sondern auch ihre Macht beschnitten?

Er beschnitt ihre Entscheidungsmacht. Als er sein Amt antrat, konnten selbst lokale Kommandeure darüber entscheiden, ob sie Atomwaffen einsetzen wollten oder nicht. Er sagte: "Das ist unmöglich." Für mich sagt die eine Anekdote alles, in der Kennedys Nationaler Sicherheitsberater McGeorge Bundy den General im Pentagon anruft, der für den Atomwaffenplan verantwortlich ist, und ihn auffordert, dem Präsidenten den Plan zu zeigen. Und der General sagt: "Es tut mir leid, Mr. Bundy, aber wir zeigen diesen Plan niemandem." Bundy sagte: "Sie verstehen wohl nicht. Ich rufe für den Präsidenten der Vereinigten Staaten an." Als Kennedy dann von den versammelten Generälen darüber gebrieft wurde, wie sie sich einen Atomkrieg vorstellten, erklärten sie ihm, dass dabei 170 Millionen Chinesen und Sowjets getötet werden würden. Als Kennedy den Raum verließ, drehte er sich zu Außenminister Dean Rusk und sagte: "Und wir bezeichnen uns als Menschen!"

Robert Dallek ist einer der renommiertesten US-Historiker auf dem Gebiet der US-Präsidenten. Er lehrte unter anderem an der Columbia University, University of California and Los Angeles und Oxford University.

Das Interview führte Antje Passenheim.