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DIMR: Menschenrechtskunde für alle

9. Mai 2018

Ausgrenzung von Behinderten, Rassismus, Gewalt gegen Frauen - auch hierzulande würden Menschenrechte verletzt, klagt das Deutsche Institut für Menschenrechte und übt im DW-Gespräch Kritik am Staat.

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Deutschland Grundgesetz Artikel 1 Schriftzug am Landgericht Braunschweig
Bild: picture-alliance/dpa/J. Stratenschulte

Deutschland, wie hältst du's mit den Menschenrechten? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen (UNHCR) und stellt in Genf zum dritten Mal den "Universal Periodic Review" (UPR) über Deutschland vor. Diesem Prüfverfahren unterziehen sich seit 2007 regelmäßig alle UN-Mitgliedstaaten. Die Deutsche Welle hat vor der Anhörung in Genf mit der Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) Beate Rudolf gesprochen. Wie die Bundesregierung und verschiedene Nichtregierungsorganisationen hat auch das DIMR einen Bericht über die Lage der Menschenrechte in Deutschland an den Menschenrechtsrat geschickt.

Deutsche Welle: Frau Rudolf, was sind aus Ihrer Sicht die eklatantesten Mängel bei den Menschenrechten in Deutschland?

Beate Rudolf: Seit der letzten Überprüfung hat sich einiges getan in Deutschland, aber es besteht weiter Handlungsbedarf. So sind Menschen mit Behinderungen immer noch ausgegrenzt, etwa auf dem ersten Arbeitsmarkt. Zudem sollten private Unternehmen endlich dazu verpflichtet werden, ihre Waren und Dienstleistungen barrierefrei anzubieten. 

Leben im Rollstuhl
Auch im öffentlichen Raum herrscht nicht überall Barrierefreiheit in DeutschlandBild: picture-alliance/R. Schlesinger

In Sachen Flucht und Migration muss der Familiennachzug für alle Schutzbedürftigen ermöglicht werden. Wichtig ist auch, dass es im Asylverfahren eine unabhängige Asylberatung von Anfang an gibt, damit nicht nur schnelle, sondern auch richtige Entscheidungen getroffen werden. Die erfolgreichen Klagen gegen Asylbescheide sind seit 2015 von vier auf 25 Prozent hochgeschnellt, und das hat etwas mit der fehlenden Qualität der Verfahren zu tun.

Beim Thema Gewalt gegen Frauen hat Deutschland Fortschritte gemacht. So wurde in der vergangenen Legislaturperiode das Sexualstrafrecht geändert, und es wurde die Europaratskonvention gegen Gewalt an Frauen ratifiziert. Beratungsstellen und Frauenhäuser gibt es jedoch nicht flächendeckend, hier sollten weitere geschaffen, vorhandene ausgebaut und alle eben auch ausreichend finanziert werden.

Frauenhaus - Notausgang für Opfer häuslicher Gewalt
Mutter-Kinder-Zimmer in einem Frauenhaus in DeutschlandBild: picture-alliance/dpa

Im Zuge der Anti-Terror-Gesetze wurden die Befugnisse der Polizei immer weiter in das Vorfeld der Gefahren vorverlegt - das muss aus unserer Sicht überprüft werden, und zwar bevor weitere Gesetze erlassen werden.

Die Bekämpfung von Rassismus bleibt eine Daueraufgabe in Deutschland. Hier geht es um Rassismus in all seinen Formen: vom Antisemitismus über den antimuslimischen Rassismus und Antiziganismus bis zu Rassismus gegen schwarze Menschen. Da muss der Staat den institutionellen Rassismus angehen, beispielsweise Gesetze ändern, die rassistischen Personenkontrollen Vorschub leisten.

Wichtig ist aber auch: Die Menschenrechte müssen von allen in der Gesellschaft getragen werden. Daher müssen Menschenrechte in den Schulen für alle Kinder gelehrt werden. Menschenrechtsbildung bedeutet, dass Kinder und Jugendliche sich mit den Werten auseinandersetzen, die den Menschenrechten zugrunde liegen..

... also Wertekunde für alle, statt nur für Zugewanderte?

Beate Rudolf auf dem Global Media Forum 2014
Beate Rudolf, Direktorin des DIMRBild: Beate Rudolf

Ich würde es Menschenrechtsbildung nennen, denn Menschenrechte sind Werte und Rechte, die ich einfordern und notfalls auch einklagen kann. Und ja - Menschenrechtsbildung brauchen alle Schüler, nicht nur Zugewanderte.

Wie steht denn Deutschland im internationalen Vergleich bei den Menschenrechten da?

Das UPR-Verfahren es ist nicht auf Vergleich angelegt, sondern dient dazu, dass jeder Staat einzeln an den universellen Menschenrechten gemessen wird. Deswegen ist es wichtig, dass die Bundesregierung selbstkritisch auf die Defizite schaut und sich mit dem Empfehlungen auseinandersetzt, die die anderen Staaten machen. Das ist wichtig für den Menschenrechtsschutz in Deutschland und auch dafür, dass sich Deutschland glaubwürdig für die Menschenrechte international einsetzen kann.

Bei der letzten Überprüfung im Jahr 2013 hat Deutschland rund 200 Empfehlungen erhalten. Wie viele sind denn davon berücksichtigt worden und: Wer überprüft das?

Dafür gibt es in Deutschland bisher keine systematische Struktur. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte hat allen Staaten empfohlen, ein Gremium einzusetzen, das in den kommenden fünf Jahren immer wieder nachhält, ob Empfehlungen umgesetzt werden und was getan wird. 

Ein BVB-Fan hält einen schwarz-gelben Fanschal in die Höhe mit der Aufschrift: "Gemeinsam gegen Rassismus"
Ein Fan des Fußball-Vereins Borussia Dortmund bezieht Stellung gegen RassismusBild: picture alliance/Fotostand/Muennich

Das heißt, es ist gar nicht klar, welche von den 200 Empfehlungen Deutschland tatsächlich umgesetzt hat?

Genau. Das hat auch damit zu tun, dass die Bundesregierung von den 200 Empfehlungen 172 angenommen hat; sie hat aber bei vielen gesagt: "Wir nehmen das an, weil wir das ja ohnehin schon tun oder schon getan haben".

Ein guter Umsetzungsmechanismus würde jedoch bedeuten, dass Deutschland zum Beispiel festhält, wie viele rassistische Übergriffe es gegen welche Personengruppe genau gegeben hat, und wie viele verurteilt wurden. Nur so kann man in fünf Jahren sagen, ob es mehr geworden ist oder weniger. Erst dann zeigt sich ja auch, ob die Gesetze, die erlassen wurden, auch tatsächlich greifen.

Aber es gibt ja auch eine Menschenrechtsbeauftragte in der Bundesregierung..

Ja, aber sie ist dem Auswärtigen Amt zugeordnet und ihr Mandat erlaubt ihr nur, sich mit Menschenrechtsfragen in den auswärtigen Beziehungen Deutschlands zu befassen. Ob man zum Beispiel ihr Mandat auch auf das Inland ausweitet oder ob man ein interministerielles Gremium schafft - viele Mechanismen sind denkbar, die die Umsetzung vorantreiben. Wichtig ist, dass die Organisation, die dann für die Überwachung der Umsetzung zuständig ist, genug politisches Gewicht hat kann, beispielsweise auch Gesetzesentwürfe aufzuhalten, die eben nicht den Menschenrechtskonventionen entsprechen.

Im UN-Menschenrechtsrat sitzen aktuell auch Staaten wie China, Saudi-Arabien oder Katar - allesamt nicht gerade als glühende Verfechter der Menschenrechte bekannt. Wie glaubwürdig ist ein Gremium mit solchen Mitgliedern denn überhaupt? 

Ich denke, es ist wichtiger zu schauen, welche Empfehlung ein Staat macht, als zu schauen, welcher Staat eine Empfehlung macht. Und viele Empfehlungen spiegeln in erster Linie das wider, was unabhängige UN-Menschenrechtsgremien Deutschland bereits ins Stammbuch geschrieben haben.

Dennoch, wenn man resümiert: Man kann nicht nachhalten, welche Empfehlungen die Länder umgesetzt haben. Es gibt kein Verfahren, um die Einhaltung der Menschenrechte in den verschiedenen Staaten miteinander zu vergleichen. Muss man da nicht sagen: Die Menschenrechtsüberprüfung durch den UN-Menschenrechtsrat ist ein hübsches Ritual, aber auch nicht viel mehr?

Das Kernproblem ist, dass Menschenrechte von Staaten umgesetzt werden müssen. Und wenn Staaten das nicht wollen, dann ist der Einfluss anderer Staaten begrenzt, jedenfalls bei mächtigen Staaten wie China, Russland oder auch den USA. Dennoch ist das Verfahren wichtig, denn die Kritik, die geäußert wird, hat durchaus Einfluss auf die Anerkennung und die politische Glaubwürdigkeit, die ein Staat weltweit genießt.

USA Seattle Protest gegen Todesschüsse der Polizei
Protest gegen die Erschießung einer Farbigen in den USA durch die Polizei Bild: picture-alliance/AP Photo/G. Martin

Und wenn man von den Supermächten mal absieht, dann können die Empfehlungen aus den UPR-Verfahren zum Maßstab für staatliche Zusammenarbeit gemacht werden und das werden sie auch. Wenn also die Empfehlung lautet, etwas für die Unabhängigkeit der Justiz zu tun, dann können und sollten andere Staaten helfen und einfordern, dass der Staat diese Empfehlung umsetzt.

Prof. Dr. Beate Rudolf ist Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte.

Das Interview führte Jeannette Cwienk.

DW-Redakteurin Jeannette Cwienk
Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin mit Fokus auf Klima- und Umweltthemen