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Director's Statement von Frauke Sandig

12. August 2015

Als ich zum ersten Mal an dem kleinen Bahnhof in Friedland ankam, war ich überrascht, wie still und idyllisch der Ort war...

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...mit üppigem Grün, Vogelgezwitscher, Fachwerkhäusern und den überaus ordentlichen Vorgärten mit Gartenzwergen. Nur die permanent hindurchrasenden Züge schienen die Ruhe zu durchbrechen und ein Gefühl von “Transit” zu vermitteln.

Als wir dann zwei Wochen lang im Lager Friedland filmten und all die Geschichten der Flüchtlinge hörten, voller Verzweiflung, Traurigkeit, Trauma und Gewalt, erschien uns diese Idylle surreal, wenn wir abends in unseren beschaulichen Landgasthof zurückwanderten, um uns an den gedeckten Tisch zu setzen.

20.08.2015 DW DOKU Frauke Sandig
Regisseurin Frauke Sandig

Als das Lager 1945 eröffnet wurde, waren die Flüchtlinge, die abgemagert, krank und verstört in Friedland ankamen, Deutsche. Sie gehörten zum Volk der Täter, das verantwortlich war für einen furchtbaren Krieg. Die Einzelschicksale der Geflüchteten und Vertriebenen, die Verluste und die Vergewaltigungen von Frauen und Kindern waren jedoch auf der menschlichen Ebene nicht so verschieden von den Schicksalen derjenigen, die heute bei uns Zuflucht suchen. Die Meisten sprachen damals nicht viel über ihre traumatischen Erlebnisse – vielleicht gibt es in Deutschland heute deshalb nur wenig kollektive Erinnerung daran, was es bedeutet, Flüchtling zu sein und alles zu verlieren. Wir haben vergessen, dass es einmal wir Deutsche waren, die eine helfende Hand oder einen mitfühlenden Zuhörer brauchten.

In Friedland werden die Ankommenden heute gut und freundlich behandelt, keine Frage; das Lager wirkt beinahe wie ein Modell von dem, was eine “Willkommenskultur” in Deutschland sein könnte, eine freundliche Insel innerhalb der „Festung Europa“. Aber die Flüchtlinge bleiben dort nur sehr kurz und gehen dann in eine ungewisse Zukunft – und oft müssen sie ein anderes Gesicht von Deutschland erleben. In einer Zeit, wo an vielen Orten in Deutschland Flüchtlingsheime brennen, liegt mir viel daran, den einzelnen Flüchtlingen ein Gesicht und eine Stimme zu geben, die Möglichkeit, selbst von ihren Schicksalen und der Situation in ihren Heimatländern zu erzählen - und wirkliche Personen den anonymen Statistiken einer sogenannten “Flüchtlingsflut” gegenüberzustellen.