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Kunst

Antisemitische Kunst auf der documenta fifteen

20. Juni 2022

Die Antisemitismus-Vorwürfe gegen die inzwischen eröffnete documenta 15 stehen schon länger im Raum. Ein kürzlich enthülltes Werk feuert die Debatte erneut an. Nach massiver Kritik wurde es inzwischen abgedeckt.

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Ein Mann mit Wolfszähnen und SS-Zeichen auf dem Hut - Karikatur eines Juden?
Ein Mann mit Wolfszähnen und SS-Zeichen auf dem Hut: Die Karikatur auf einem Banner von Taring Padi enthält offenkundig antisemitische BildelementeBild: Uwe Zucchi/dpa/picture alliance

Seit dem Wochenende hatte die documenta fifteen in Kassel ein Kunstwerk mit offenkundig antisemitischer Bildsprache gezeigt: Das große Banner mit dem Titel "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi hängt - wegen heftiger Kritik inzwischen verhüllt - am zentralen Friedrichsplatz vor der documenta-Halle. Darauf befindet sich unter anderem die Karikatur eines Soldaten mit Schweinsgesicht, der ein Halstuch mit einem Davidstern und einen Helm mit der Aufschrift "Mossad" trägt (so heißt der israelische Geheimdienst, Anmerkung. d. Red.). Versteckt hinter einem grotesken Clown ist auch die Karikatur eines Juden zu erkennen, mit Schläfenlocke, Hakennase, Wolfszähnen, Zigarre und SS-Zeichen auf dem Hut.

Ein großes Transparent von Taring Padi hängt an einem Gerüst, davor stehen Pappfiguren
Ein großes Transparent von Taring Padi hängt jetzt am Fridericianeum in Kassel - darauf offenkundig antisemitische MotiveBild: Uwe Zucchi/dpa/picture alliance

Kritiker der documenta 15 sehen sich endgültig bestätigt. Der Zentralrat der Juden in Deutschland reagierte mit einer scharfen Erklärung, in der er "gleichermaßen den Antisemitismus der Künstler wie die mangelnde Verantwortung der Ausstellungsmacher" kritisierte. Die Leitung der documenta habe garantiert, dass es keinen Antisemitismus in der Ausstellung geben werde - und somit offensichtlich versagt. 

Am Montagabend wurde nach den massiven Vorwürfen das Banner abgedeckt. Aufgrund einer Figurendarstellung, die antisemitische Lesarten ermöglicht, habe sich das Kollektiv gemeinsam mit der Geschäftsführung und der Künstlerischen Leitung "entschieden, die betreffende Arbeit zu verdecken und eine Erklärung dazu zu installieren", teilte die documenta mit. 

"Das ist klare antisemitische Hetze"

Der Direktor der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, hatte die documenta-Macher aufgefordert, den Beitrag von Taring Padi zu entfernen. "Diese Bilder lassen überhaupt keinen Interpretationsspielraum zu, das ist klare antisemitische Hetze", so Mendel gegenüber der Deutschen Presse-Agentur. Der deutsch-israelische Pädagoge hatte sich bis dato in der seit Monaten schwelenden Antisemitismus-Debatte hinter die Schau gestellt. Er sehe keinen Antisemitismus, hatte er mehrfach gesagt. Auch jetzt mahnte er zur Besonnenheit, nicht die gesamte Ausstellung als antisemitisch zu bezeichnen: "Man muss da differenzieren. Da ist sicher etwas schiefgelaufen. Aber so etwas sollte nicht passieren."
 

Ausschnitt des umstrittenen Großgemäldes des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem Friedrichsplatz
Ein Ausschnitt des umstrittenen Großgemäldes des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem FriedrichsplatzBild: Uwe Zucchi/dpa/picture alliance

Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth fand deutliche Worte: "Das ist aus meiner Sicht antisemitische Bildsprache", twitterte die Grünen-Politikerin. "Ich sage es noch einmal: Die Menschenwürde, der Schutz gegen Antisemitismus wie auch gegen Rassismus und jede Form der Menschenfeindlichkeit sind die Grundlagen unseren Zusammenlebens, und hier findet auch die Kunstfreiheit ihre Grenzen." Die documenta müsse das umgehend gegenüber den Kuratoren und Künstlern deutlich machen und "die notwendigen Konsequenzen" ziehen. 

Im Vorfeld kein Grund zur Beanstandung 

Bei der Vorbesichtigung der documenta fifteen waren zunächst keine antisemitischen Kunstwerke aufgefallen. In die Kritik war einzig die Bildserie "Guernica Gaza" des palästinensischen Künstlerkollektivs "Question of funding" geraten. Der Künstler Mohammed Al Hawajri hatte in seinen Bildern Darstellungen von Angriffen der israelischen Armee auf das Palästinensergebiet mit klassischen Motiven von Millet, Delacroix, Chagall oder van Gogh kombiniert. Der Serientitel spielt provokant auf das berühmte Gemälde "Guernica" von Pablo Picasso an. Das war 1937 als Reaktion auf die Zerstörung der spanischen Stadt durch einen Luftangriff der "Legion Condor" Nazi-Deutschlands entstanden. documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann hatte noch zum Start der Kunstausstellung in einem DW-Interview gesagt, dass es sicher kritisch-politische Positionen geben könne, über die man sich unterhalten müsse. "Aber wir haben noch nichts entdeckt, wo sich Antisemitismus in einem der Kunstwerke manifestieren würde." 

Question of Funding | Bildausschnitt Mohammed Al Hawajiri
Ein Ausschnitt aus Mohammed Al Hawajiris Werk Bild: Stefan Dege/DW

Banner mit antisemitischen Motiven erst jetzt enthüllt

Das hat sich jetzt offenbar geändert. Bis zuletzt hatte die indonesische Künstlergruppe Taring Padi noch an der Installation eines großen Banners auf dem Friedrichsplatz vor der Documenta-Halle gewerkelt, das, wie die Zeitung "Monopol" berichtet, erst am Wochenende entfaltet wurde. Taring Padi, gegründet Ende der 1990er-Jahre in politischer Opposition zum Regime des damaligen Präsidenten Suharto, bedienen sich in ihren Bannern, Gemälden und Pappaufstellern einer pointierten Agitprop-Ästhetik, sie arbeiten mit scharfen Karikaturen, aber auch mit Motiven aus der Friedensbewegung, der Ökobewegung oder Pro-LGBTQ.

Hauptausstellungsort von Taring Padi ist ein ehemaliges Schwimmbad im Kasseler Osten, wo mehrere wandfüllende Plakate hängen. Zusätzlich stehen über 1000 ihrer Pappaufsteller, teilweise in Workshops mit Kindern und anderen Gruppen aus Kassel produziert, nun auf dem Friedrichsplatz vor der documenta-Halle und dem Museum Fridericianum. In der satirischen Bildwelt der Künstlergruppe tummeln sich zahllose Tierwesen, viele Symbole erschließen sich den Betrachtern nicht ohne weiteres. Die Kunstzeitschrift Monopol berichtet, dass das zuletzt entrollte Banner "People's Justice" mit den umstrittenen antisemitischen Motiven schon über 20 Jahre alt ist. Unklar sei, in welchem Kontext und mit welcher Intention es damals entstand. 

Kritik von Bundespräsidenten 

Am Samstag (18.06.2022) hatte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die 15. documenta-Ausgabe bereits mit deutlicher Kritik an Veranstaltern und Kuratoren eröffnet. "Es fällt auf, wenn auf dieser bedeutenden Ausstellung zeitgenössischer Kunst wohl keine jüdischen Künstlerinnen oder Künstler aus Israel vertreten sind", so Steinmeier. Es verstöre ihn, "wenn weltweit neuerdings häufiger Vertreter des globalen Südens sich weigern, an Veranstaltungen, an Konferenzen oder Festivals teilzunehmen, an denen jüdische Israelis teilnehmen".

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zwischen Kulturstaatsministerin Claudia Roth (li) und documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann bei der Eröffnung der documenta fifteen
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zwischen Kulturstaatsministerin Claudia Roth (li) und documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann bei der Eröffnung der documenta fifteenBild: Uwe Zucchi/dpa/picture alliance

Scharfe Kritik äußerte auch der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein. Es sei den Verantwortlichen der documenta nicht gelungen, die Antisemitismus-Vorwürfe in glaubwürdiger Weise auszuräumen, sagte er der Zeitung "Bild am Sonntag". "Es kann nicht sein, dass Antisemitismus Teil des von der öffentlichen Hand geförderten künstlerischen Diskurses in Deutschland ist."

Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix KleinBild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

Die alle fünf Jahre stattfindende documenta wird 2022 erstmals von einem Kuratorenteam aus dem globalen Süden verantwortet, dem indonesischen Kollektiv Ruangrupa. Steinmeier hatte in seiner Eröffnungsrede betont, eine demokratische Gesellschaft dürfe Künstler nicht bevormunden oder instrumentalisieren. "Kunst darf anstößig sein, sie soll Debatten auslösen." Auch Kritik an israelischer Politik sei erlaubt. "Doch wo Kritik an Israel umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten."  Seine Rede ist auf der Website des Bundespräsidialamtes nachzulesen.

In der Debatte meldete sich sich auch der Deutsche Kulturrat zu Wort. Ihr Geschäftsführer Olaf Zimmermann sprach von einem "Skandal mit Ansage", was die Sache "noch bitterer" mache.

Ruf der documenta beschädigt 

"Was als Versuch startete, dem 'globalen Süden' eine Stimme zu geben", notierte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, "hat eine desaströse Wendung genommen. Die deprimierende Erkenntnis ist, dass alle Teilnehmer diese documenta beschädigt verlassen." In ihren jüngeren Ausgaben habe die documenta vor allem eine Kunst zeigen wollen, die politische Themen reflektiert. "Diesmal", so die FAZ, "wächst ihr ein Konflikt, der außerhalb der Kunst liegt und von dieser nicht gelöst werden kann, über den Kopf."

Dieser Artikel wurde nach der Abdeckung des Banners und der entsprechenden Mitteilung der documenta aktualisiert.