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"Ich kann harmonisch protestieren"

Robert Mudge db
21. April 2017

Dominic Miller gehört als Gitarrist zur Stammbesetzung von Stings Bands. Sein neues Solo-Album "Silent Light" ist in nur zwei Tagen entstanden und dreht sich um Wahrheit und Protest, erzählt er im DW-Interview.

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Dominic Miller
Bild: Steven Haberland

Der Gitarrist Dominic Miller war an vielen Hits beteiligt: an "Shape of My Heart" von Sting, "Another Day in Paradise" von Phil Collins, "You Say It Best" von Ronan Keating. Seit mehr als 20 Jahren gehört er zur Stammbesetzung von Stings Live- und Studio-Bands. Genauso lang ist Dominic Miller auch als Solo-Künstler unterwegs. Sein aktuelles Album "Silent Light" ist im April beim deutschen Label ECM Records erschienen.

DW: "Silent Light" ist Ihr erstes Album bei ECM, einem deutschen Label. Wie kam es dazu?

Dominic Miller: Das kam völlig zufällig. Ich arbeitete an einem neuen Album und ich glaube, Manfred [Eicher, Gründer und Präsident von ECM Records, Anm d. Red.] hat irgendwie davon Wind davon bekommen. Wir haben uns getroffen und er hat Interesse signalisiert, das Album aufzunehmen. Er hatte auch ein paar Ideen für das Line-Up. Um es kurz zu machen: Ich bin bei einer anderen Familie eingezogen. Aber eigentlich ist es viel mehr als das. Es ist eine Art Philosophie. Meine Herangehensweise an die Musik, meine Ästhetik, seine Ästhetik - das scheint gut zu passen.

Wir haben dieses Album in nur zwei Tagen aufgenommen! So ist das bei ECM. Mein Manager hat mich sogar vorher gefragt, ob ich so arbeiten wolle. Manche Leute nennen Manfred einen Kontrollfreak. Ich finde allerdings nicht, dass er ein Kontrollfreak ist. Er hat einfach einen Qualitätsstandard, den er erreichen möchte.

Die Vorstellung, so etwas in zwei Tagen zu machen, ist natürlich ziemlich respekteinflößend. Ihm geht es darum, den Augenblick festzuhalten. Ich bin es eher gewohnt, in Abschnitten zu arbeiten und mir Zeit zu nehmen. Also musste ich mich in diesem Fall geistig damit auseinandersetzen, mich an völlig andere Regeln zu halten, wobei "Regeln" ein etwas unglücklich gewähltes Wort ist in Verbindung mit moderner Musik, aber es gehört irgendwie zur Philosophie des Labels.

Sie sprechen von dem Label als "Familie". Was ist bei ECM anders?

Es fühlt sich wirklich so an wie eine Familie. Ich habe mich immer gefragt: Wie ticken diese ECM-Leute? Sind die alle so fürchterlich deutsch? Es stellte sich heraus, dass man mit ihnen Spaß haben kann. Sie sind alle lustig und kreativ. Sie wissen, was sie tun. Sie veröffentlichen viele Alben und verdrängen, was gerade in der Musikindustrie passiert. Sie machen einfach immer weiter. Mir gefällt dieser Vibe. Gleichzeitig war es eines der wenigen Male, bei denen ich mich nicht selbst produziert habe. Das ist wie bei einem Selfie: Du präsentierst dich so, wie du dich siehst, aber der Produzent sieht dich vielleicht ganz anders.

Du hast also eine Geschichte und brauchst einen Regisseur. Du kannst das entweder selbst machen oder aber du gehst damit zu zwei unterschiedlichen Regisseuren: Bei Spielberg würde es ziemlich episch und bombastisch, bei Polanski ein bisschen düster und doppeldeutig - aber es bleibt die gleiche Geschichte.

Es war jetzt aber auch nicht so, dass der Produzent meine Story geändert hat. Ich hatte Melodien und Stücke, die der Produzent nicht bearbeitet hat, aber er hat mich auf jeden Fall in eine Zone bugsiert, die mir unbekannt war. Ein guter Produzent wird dich immer dahin bringen, wo er dich haben will und er wird das Beste aus dir herausholen. Aber gleichzeitig macht er dir auch klar, was er da Ungeheuerliches zustande bringt - und das ist beängstigend.

Dominic Miller
Miller: "Es gibt nichts Schöneres als eine klare Idee auf der Gitarre" Bild: Steven Haberland

Meiner Meinung nach ist das neue Album eine Rückkehr zu Ihren Wurzeln, sehr karg und auf das Wesentliche reduziert. War das so gedacht oder liegt das daran, dass Sie nur zwei Tage Zeit hatten, um das Album fertigzustellen?

Da gab es mehrere Faktoren: Wir haben verschiedene Konstellationen für das Album angedacht, aber aus unterschiedlichen Gründen konnten wir nicht alle Musiker zur richtigen Zeit am richtigen Ort versammeln. Dieses Kaliber an Musikern ist einfach immer beschäftigt!

Also bin ich eines Tages aufgewacht und dachte mir, machen wir doch ein Solo-Projekt daraus. Ich erinnere mich, dass ich dachte, so soll es sein: sehr klar und rein. Das habe ich schon mal gemacht bei "First Touch". Und es gibt nichts Schöneres als eine klare Idee auf der Gitarre.

Sie haben auch ein paar ältere Tracks neu aufgenommen. Klingen sie jetzt so, wie sie ursprünglich einmal gedacht waren?

Ja, aber auch weil ich wirklich nicht viel Zeit hatte. Drei Wochen nachdem ich wusste, ich nehme ein neues Album auf, stand auch schon der Studiotermin fest. Als ich vier oder fünf neue Songs beisammen hatte, habe ich mir mein Repertoire angeschaut, Stücke, die ich gern so aufgenommen hätte. Die Stücke, die ich dazu genommen habe, passen sehr gut ins Konzept.

Sie spielen auf diesem Album sehr emotional, sehr bewegend. Der Ton ist durchgängig schlicht und etwas düster. Spiegelt das die Gegenwart wider?

Ja, sehr sogar. Es ist eine Art Protest. Ich schreibe keine Songtexte, beoabachte aber, was in der Welt so vor sich geht. Ich habe eine Meinung, aber ich bin Musiker, nicht Politiker. Ich bin nicht Bono oder Bob Geldof oder Sting, die eine Verantwortung haben, sich zu äußern. Mir gefällt die Vorstellung, dass ich harmonisch protestieren kann, es gibt auch Dissonanzen und Pausen. Es ist eine Art unterschwelliger Protest.

Sting
Dominic Miller steht seit mehr als 20 Jahren mit Sting (Bild) auf der BühneBild: picture-alliance/AP Photo/M. Sayles

Dafür ist der Track "What You Didn't Say" ein gutes Beispiel. Es gibt viele Pausen.

Ja, in der Tat. Es ist ein musikgewordenes Malbuch. Ich wollte mit dem Zuhörer einen interaktiven, akustischen Dialog aufbauen, ihn involvieren, anstatt alle meine Möglichkeiten auszuschöpfen, etwas zu artikulieren. Ich liebe die Vorstellung, diese Lücken zuzulassen.

Warum heißt das Albums "Silent Light"?

So heißt ein Spielfilm von Carlos Reygadas. Er ist eine Art Designer und arbeitet viel mit Raum. Es ist unglaublich, dass ich diesen Film gesehen habe, als ich über dieses Album nachgedacht habe. Da gibt's viele Szenen ohne Dialog. Unglaublich, dass in der heutigen Zeit, in der jeder irgendetwas zu sagen hat, in der es Fake News und solchen Blödsinn gibt, einer hingeht und so einen Film dreht. Als ich den Film sah, machte sich Trump gerade einen Namen.

Wahrheit ist in Wirklichkeit oft ein Nichts, eine Leerstelle, dort findet man Wahrheit. Ich mag die Vorstellung von Licht und Stille. Ich liebe Kunst. Kunst inspiriert mich. Ich lebe in Südfrankreich, wo das Licht ganz besonders ist - kein Wunder, dass Cézanne, Monet und andere Maler dorthin reisten. Dieses Album habe ich auch in aller Stille geschrieben. Ich brauchte erst ein Konzept bevor ich Melodien fand. Das dauerte eine Weile.

Erst nahmen Sie dieses Album auf und dann ging es sofort weiter zu den Aufnahmen zu "57th & 9th", dem neuen Sting-Album. Das ist wirklich ein Sprung!

Ja, das war surreal. Aber ich liebe Kontraste und ich liebe den Kontrast zwischen meiner Karriere und Stings Karriere. Die beiden Karrieren brauchen einander unbedingt, eine funktioniert nicht ohne die andere.

Meine Solo-Karriere funktioniert nicht erfolgreich ohne das Mutterschiff. Das inspiriert mich sehr. Und umgekehrt nütze ich Sting nicht viel, wenn ich nicht rausgehe, verrückte Sachen mache, die Szene sondiere und mit neuen Ideen wieder zurückkehre. Es war genial, nach der Arbeit an meinem Album, direkt mit Stings Album weiterzumachen. Das war für ihn sehr wertvoll.

Da haben Sie einen Neuanfang gemacht?

Ja. Wir hatten beiden keine wirklichen Riffs parat. Sting hatte ein paar vertrackte Ideen, ich hatte welche, aber das passte nicht. Also haben wir uns einfach ins Studio gesetzt und gejammt. Tagelang passierte nicht viel. So ist das meistens, die Leute sind zögerlich, und eigentlich gefällt mir das. Die Leute kommen nicht selbstbewusst herein und sagen, das haben wir schon mal gemacht, machen wir es doch auch jetzt wie immer. Das liebe ich an Sting. Er hält sich nicht gern an das Gewohnte. Er mag es, wenn wir uns unwohl fühlen. An den ersten beiden Tagen dachten wir, das funktioniert nicht. Aber wir waren nicht beunruhigt - wir wussten, das kommt schon noch. Genau so war es auch - und zwar mit voller Wucht! Plötzlich folgte eins auf das andere, und zwar ziemlich schnell. Es hat Sting inspiriert, dass ich mein Album in zwei Tagen aufgenommen habe. Es gibt also schon so eine Art Konkurrenzkampf zwischen uns.

Haben Sie schon Ideen für das nächste Album?

Nicht wirklich, aber ich weiß schon, wie es klingen soll. Das kommt immer zuerst - das Konzept. Wenn ich das nicht habe, habe ich gar nichts. Es gibt viele Alben mit zehn oder elf tollen Liedern, aber ich höre keinen gemeinsamen Nenner. Ich liebe Pink Floyd, ich liebe die Konzeptalben wie Sgt. Pepper oder "Pet Sounds". Da passt alles zusammen.

Ich habe im Moment nur den Sound, den ich anstrebe. Ich denke an Schlagzeug und Akustikbass. Wenn ich das im Kopf habe, dann kann ich anfangen, meine Komposition anzupassen.

Das Gespräch führte Rob Mudge.