1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Doppeltes Nein vom Europaparlament

Bernd Riegert, zurzeit Straßburg18. Januar 2006

In der Debatte des Europaparlaments zum künftigen Kurs der EU gab es viele Fragen, aber nur wenige Antworten. Ein klares Nein bekamen der mühsam erzielte Finanzkompromiss des EU-Gipfels und die Hafenrichtlinie.

https://p.dw.com/p/7nut
In europäischen Häfen bleibt zunächst alles beim altenBild: AP

Der Bundeskanzler Österreichs, Wolfgang Schüssel, führt bis zum Sommer den Vorsitz im Europäischen Rat. Bis dahin soll das Nachdenken über die gescheiterte Verfassung und die wachsende öffentliche Kritik an der EU erste Antworten bringen: "Europa geht alle an und es gibt eine Sehnsucht bei vielen Bürgern nach Teilhabe, nach Partizipation. Es geht nicht nur um einen Text, es geht um sehr viel mehr. Es geht um die Identität Europas. Was verbindet uns, was hält uns im Innersten zusammen? Es geht um eine faire Aufgabenteilung. Was soll Europa wirklich tun, können und müssen?", sagte er bei der Debatte im Europäischen Parlament am Mittwoch (18.1.2006) in Straßburg.

Er wolle verloren gegangenes Vertrauen in Europa wieder aufbauen, kündigte Schüssel an. Wie er das Nein von Franzosen und Niederländern aus den Volksabstimmungen zur Verfassung überwinden will, ließ er offen. Das Parlament forderte in einer Entschließung, den Text der Verfassung nicht zu verändern und bis 2009 in Kraft zu setzen. Ohne einen neuen EU-Grundlagenvertrag mit besseren Institutionen werde es nach Bulgarien und Rumänien keine Erweiterung mehr geben können, so die Abgeordneten.

"Gewaltiges Ziel"

Oberstes Ziel der Regierungschefs und der EU-Kommission werde es sein, Arbeitsplätze zu schaffen, kündigte der österreichische Bundeskanzler Schüssel an: "Wenn wir drei Prozent Wachstum hätten, verbunden mit mindestens einem Prozent Beschäftigungswachstum, würde das in fünf Jahren bedeuten: Halbierung der Arbeitslosenzahl von 19 Millionen Menschen, die derzeit keine Beschäftigung haben. Das ist ein gewaltiges Ziel. Wenn wir stärker in Qualifikation und Flexibilisierung hineingehen, dann könnten wir dieses Ziel auch erreichen. Und das muss die eigentliche Arbeit sein."

Der Chef der Sozialisten im Parlament, Martin Schulz, warf Schüssel und den übrigen 24 Regierungschefs vor, sie würden für Forschung, Bildung und Entwicklung nicht genug Geld ausgeben. Der Finanzrahmen bis 2013, auf den sich der Europäische Rat im Dezember nach zähmen Ringen geeinigt hatte, müsse dringend nachgebessert werden: "Sie haben in allen Bereichen, die Sie hier als Zukunftsaufgaben beschreiben, mit Ihrer eigenen Stimme massiv gekürzt. Und das genau ist die Krise Europas. Ihre Versprechungen im Rat und die nicht eingelösten Taten anschließend, die sind die Krise Europas."

Neue Grundlage für Finanzierung gesucht

Das Europäische Parlament wies den auf 860 Milliarden Euro festgelegten Haushaltsrahmen in einer Entschließung zurück, erklärte sich aber bereit bis zum Mai zu einer Verhandlungslösung zu kommen. Entweder müsse noch Geld draufgelegt werden oder es müssten die Haushaltsstrukturen verändert werden, sprich Subventionen für die Landwirtschaft abgebaut werden, forderte der zuständige Berichterstatter des Parlaments, Reimer Böge (CDU).

Der EU-Ratsvorsitzende Schüssel setzte sich dafür ein, die Finanzierung der Europäischen Union auf eine neue Grundlage zu stellen. Statt durch Beiträge aus den nationalen Haushalten, sollten die Gemeinschaftskassen der EU durch eine eigene Steuer gefüllt werden. Nur so werde es gelingen, sich nach 2013 mit 27 oder mehr Mitgliedsstaaten überhaupt noch auf finanzielle Rahmenplanungen zu einigen. Dieser Vorschlag wird aber von vielen Staaten abgelehnt.

Forderung nach Liberalisierung

Trotz der Proteste der Gewerkschaften setzen Rat, Kommission und Parlament weiter auf eine Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte in Europa. Öffnung und Schutz vor Sozialdumping müssten gewährleistet werden, forderte der Fraktionschefs der Konservativen, Hans-Gert Pöttering: "Ohne einen europäischen Binnenmarkt wird Europa schwach sein bei der Bewältigung der großen Probleme bei der Globalisierung. Deshalb brauchen wir den Binnenmarkt als Antwort auf die Globalisierung."

Den Binnenmarkt für ein relativ kleines Marktsegment, nämlich die Seehäfen, zu verwirklichen, lehnte das Europäische Parlament jedoch nach heftigen, zum Teil gewalttätigen Protesten der Hafenarbeiter ab. Der unzureichende Gesetzesvorschlag der EU-Kommission müsse noch einmal komplett überarbeitet werden, so die Parlamentarier, weil Arbeitplätze in europäischen Häfen von Billiganbietern aus Asien oder Russland gefährdet werden könnten.

Annäherung der Balkanstaaten hat Priorität

Schwerpunkt der außenpolitischen Bemühungen der österreichischen Ratspräsidentschaft soll die weitere Heranführung der Balkanstaaten an die EU sein, sagte Wolfgang Schüssel: "Es darf keine graue Zone der Instabilität zwischen Ungarn, Österreich, Slowenien, Italien und Griechenland geben. Das muss eine Perspektive sein. Und nur mit dieser Perspektive werden letztendlich der notwendige Reformansatz und auch die Versöhnung der verschiedenen Volksgruppen in Bosnien, in Serbien und im Kosovo möglich sein. Das muss jeder wissen." Besonders im Kosovo wolle sich die EU in den Statusverhandlungen noch stärker engagieren als bisher. Den Iran forderte Schüssel auf, seine umstrittenen Aktivitäten zur Anreicherung von Uran einzustellen und an den Verhandlungstisch zurückzukehren.