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Politik

Drachenbändigen als Teamarbeit

Frank Sieren
31. Januar 2018

Brüssel möchte schärfere Investitionskontrollen, um China in Schach zu halten. Ein "Europa über alles" im Sinne von Trumps "America first" ist jedoch der falsche Weg, meint Frank Sieren.

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China Staatsbesuch Emmanuel Macron, Präsident Frankreich | Xi Jinping
Bild: Reuters/L. Marin

Eine große "Europa-Rede" ist Merkel bei ihrem Auftritt in Davos gelungen. Ein kämpferisches Comeback, mit dem die lange in innerdeutsche Kleinkriege verstrickte Kanzlerin sich wieder als Verfechterin internationaler Zusammenarbeit positionierte. "Wenn die Mechanismen des internationalen Handels mal nicht reziprok oder fair empfunden würden, müssen wir multilaterale Lösungen finden und nicht nationale", erklärte die Kanzlerin. Mit "nicht reziprok oder fair" meinte Merkel natürlich China, was sie allerdings viel diplomatischer ausdrückte als etwa Amtskollege Macron, der bei seinem dreitägigen China-Besuch vor drei Wochen offen drohte, "unausgewogene" und "nicht zufriedenstellende" Marktbedingungen mit einer Schließung der Märkte zu beantworten. "Europa sei bisher zu unkoordiniert aufgetreten und habe sich dabei entweder zu offen oder zu zögerlich gezeigt", erklärte Macron. Dass er zwar in der Sache Recht hatte, sich aber im Ton vergriff, merkte man unter anderem daran, dass der Franzose bei seinem Staatsbesuch anders als Trump oder Merkel alleine die Verbotene Stadt besichtigen musste. Auch der große Airbus-Deal blieb aus, und das, obwohl die Chinesen sonst bei jeder Gelegenheit neue Flugzeugkäufe unterschreiben.

EU will Marktgesetze für China-Handel

So unterschiedlich der Tonfall auch war, so ähnlich sehen die EU-Partner Chinas Handelspraktiken. Mit einem neuen Marktgesetz, das Frankreich und Deutschland zusammen mit Italien auf den Weg gebracht haben, soll die EU in Zukunft staatlich gelenkte Firmenübernahmen und ausländische Direktinvestitionen genauer kontrollieren und notfalls untersagen können. Der Entwurf, der dem EU-Parlament nun zur Prüfung vorliegt, soll verhindern, dass europäische Spitzentechnologie und europäische Innovation nach China abfließt. Es sei "dringend nötig", noch in diesem Jahr entsprechende Regelungen zu finden, sagte Matthias Machnig, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Die Frage ist nun, was das EU-Parlament entscheidet. Einige osteuropäische Länder, aber auch Griechenland haben selbst gute Beziehungen zu China und keine Lust, sich von Brüssel reinreden zu lassen.

Deutschland ist Hauptziel für chinesische Investitionen in Europa. 2017 haben chinesische Investoren hier so viel Geld wie nie ausgegeben. Laut der Unternehmensberatung EY steckten die Chinesen im vergangenen Jahr 13,7 Milliarden Dollar in Übernahmen und Beteiligungen in der Bundesrepublik -  eine gute Milliarde mehr als im Vorjahr. Das ist gut für die Wirtschaft und schafft Arbeitsplätze, weckt aber auch Sorgen. Denn China schielt dabei besonders auf deutsche "Hidden Champions", hochspezialisierte Mittelständler, die ihre Produkte bis zur Konkurrenzlosigkeit verfeinert haben. Für Schlagzeilen sorgte 2016 etwa die Übernahme des Augsburger Roboterbauers Kuka, der dem chinesischen Hausgerätehersteller Midea gewaltige 4,5 Milliarden Euro wert war.

Fakt ist: Seit China als Schwellenland 2001 der WTO beitrat, hat sich die Welt dramatisch gewandelt. China muss sich den Spielregeln der WTO fügen, ist aber darüber hinaus inzwischen so stark, dass es sich viel herausnehmen kann in Bereichen, in denen es keine verbindlichen internationalen Spielregeln gibt.

Europa braucht den chinesischen Markt

Während chinesische Unternehmen in Europa Firmen, Häfen und Schlüsselindustrien aufkaufen, sind ausländische 100-Prozent-Übernahmen in China in Bereichen wie zum Beispiel in Banken und Versicherungen, aber auch in der Autoindustrie nach wie vor undenkbar. "Wir müssen unsere nationalen und europäischen Schlüsseltechnologien schützen, hegen und gezielt ausbauen", fasste Außenminister Sigmar Gabriel das Gefühl der Bedrohung während der Digitalkonferenz DLD in München zusammen. Das Problem ist jedoch: Europa braucht den chinesischen Markt, kann also nicht allzu sehr auf den Putz hauen.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Mit schärferen Gesetzen würde sich Europa Donald Trumps protektionistischer Agenda des "Amerika first" annähern - "Europa über alles", sozusagen. Das will zumindest Merkel nicht. 

In den vergangenen Wochen hat Washington gleich zwei chinesischen Firmen US-Marktzutritte aufgrund von Sicherheitsbedenken untersagt und vor allem gegen China gerichtete Strafzölle erlassen. Ein Handelskrieg rückt immer näher, den die von China abhängigen Vereinigten Staaten gar nicht gewinnen können.

Auch Europa kann es sich nicht leisten, chinesische Investoren langfristig abzuschrecken. Schon jetzt lässt sich eine Trendwende erkennen: 2017 ging sowohl die Zahl der Übernahmen als auch der Investitionen durch chinesische Unternehmen in Europa insgesamt deutlich zurück. Das liegt auch am offen geäußerten Misstrauen, das China aus verschiedenen Richtungen entgegenschlägt. Markiges Drachenbändiger-Gebaren wie es Macron bei seinem China-Besuch an den Tag legte, ist da ebenso kontraproduktiv wie politische Alleingänge aus Brüssel und Washington.

Trump will härteren Handels-Kurs gegen China

Wenn China sich in absehbarer Zeit nicht auf seine Handelspartner zubewegt, wird der Westen gezwungen sein, sich zu einigen und China am besten über die WTO unter Druck zu setzen - mit gemeinsam ausformulierten Konsequenzen, an die sich alle halten müssen. Einfach wird das nicht. Donald Trump will einen härteren Kurs. Er setzt lieber auf bilaterale als auf geostrategische Bündnisse. Bei einem TV-Interview in Davos warf der US-Präsident vergangene Woche auch der EU "unfaire" Handelspraktiken vor und drohte mit Konsequenzen. "Wir können unsere Produkte nicht reinkriegen. Und dennoch schicken sie uns ihre Produkte - keine Steuern, sehr geringe Steuern", kritisierte Trump in gewohnt beleidigtem Duktus.

Gleichzeitig treffen seine Handelssanktionen nicht nur China sondern auch Verbündete wie Südkorea, die die USA lange mit billigen Waschmaschinen belieferten. Es wäre nicht das erste Mal, dass Trump die Länder Asiens mit Brachialmaßnahmen näher an China herantreibt. Dass sich Peking so langfristig von europäischen und amerikanischen Märkten unabhängiger macht, kann nicht im Interesse des Westens sein. "Amerika zuerst bedeutet nicht Amerika allein", lautete Trumps vielzitiertester Ausspruch in Davos - jetzt wäre es Zeit, ihn umzusetzen.

Unser Kolumnist, der Bestseller-Autor Frank Sieren ("Geldmacht China"), lebt seit über 20 Jahren in Peking.