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Draghis letzte Patrone

11. September 2019

Wenn der scheidende EZB-Chef Mario Draghi am Donnerstag vor die Presse tritt, wird er die Geldschleusen wohl noch weiter öffnen. Doch sein Plan, die Bühne mit einem geldpolitischen Knall zu verlassen, hat viele Gegner.

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EZB | Pressekonferenz  Mario Draghi
Bild: picture-alliance/Photoshot/Lu Yang

Die Sitzung der EZB am Donnerstag wird mit Spannung erwartet. Einige Beobachter gehen davon aus, dass es eine der folgenreichsten Sitzungen seit 2016 wird. Damals hatte die EZB ihr Kaufprogramm für Anleihen deutlich ausgeweitet und den Strafzins für Banken, die Geld bei ihr parken, erhöht.

Diesmal könnte Mario Draghi seine letzte geldpolitische Salve abfeuern, bevor er dann im Oktober seinen Stuhl als Chef der Europäischen Zentralbank räumt und Platz macht für Christine Lagarde.

Draghi geht in einer Zeit, in der sich Deutschland, das wirtschaftliche Kraftpaket der Eurozone, am Rande einer Rezession befindet. Auch der Handelsstreit zwischen den USA und China und die Ungewissheit über den nahenden Brexit drücken auf die Stimmung.

Die EZB könnte nun entscheiden, die mittlerweile beendeten Käufe von Staatsanleihen der Euroländer - auch quantitative Lockerung (QE) genannt - wieder aufzunehmen. Damit rechnen zumindest fast 90 Prozent der von der Nachrichtenagentur Reuters befragten Volkswirte.

Viele Markteilnehmer erwarten zudem, dass die EZB den Strafzins verschärft, den Geschäftsbanken zahlen müssen, wenn sie überschüssiges Geld bei ihr parken wollen. Dieser Zinssatz ist seit fünf Jahren negativ und liegt derzeit bei -0,4 Prozent.

Ansonsten hat die EZB nicht mehr viele Pfeile im Köcher. Der Leitzins zur Versorgung der Geschäftsbanken mit Geld liegt seit März 2016 auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Experten zufolge bleibt der EZB nur, eine mögliche Zinswende noch weiter aufzuschieben und Banken zudem günstige Kredite mit langer Laufzeit zu Verfügung stellen. 

Der Widerstand formiert sich

Mehrere Notenbanker aus Eurozone bezweifeln allerdings, dass eine weitere quantitative Lockerung überhaupt nötig ist. Vor allem die Wiederaufnahme des Anleihen-Kaufprogramms nur ein Jahr nach seiner Beendigung wird skeptisch gesehen. Im Rahmen dieses Programms hat die EZB insgesamt 2,6 Billionen Euro in Anleihen gesteckt.

Der Chef der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, ein langjähriger Kritiker der Anleihenkäufe, hat bereits zu "besonderer Vorsicht" aufgerufen. Zu den anderen Zweiflern im EZB-Rat gehören Zentralbanker aus Frankreich, den Niederlanden, Österreich und Estland.

Sabine Lautenschläger, Draghis Kollegin im Direktorium der EZB, ist ebenfalls gegen ein neues Kaufprogramm. "Es sollte nur eingesetzt werden, wenn das Risiko einer Deflation besteht - aber das ist derzeit nirgendwo zu sehen", sagte sie.

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Ist gegen eine Lockerung der Geldpolitik: Bundesbank-Chef Jens WeidmannBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Der Widerstand von Lautenschläger und anderen Mitgliedern des EZB-Rates hat die Analysten veranlasst, ihre Erwartungen an eine erneute geldpolitische Lockerung zurückzuschrauben.

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Paket neue Anleihekäufe beinhalte, sei zurückgegangen, so Analysten der Deutschen Bank. Darauf deuteten zum einen die Kommentare der EZB-Ratsmitglieder hin, außerdem würde sich die Zinskurve weiter abflachen und das wäre für die Banken kontraproduktiv.

Laut Frederik Engholm, Chefstratege beim Finanzdienstleiser Nykredit in Kopenhagen, spricht derzeit einiges gegen eine geldpolitische Lockerung. "Es sieht sehr danach aus, als ob davon vor allem die Reichen profitieren - und Ungleichheit ist bereits ein Thema in der aktuellen Entwicklung", so Engholm zur DW. "Ich finde außerdem, dass das Instrument nur eine begrenzte Wirkung hat. Aber solange die meisten wirksameren Instrumente in den Bereich der Nationalstaaten fallen - etwa die Steuerpolitik - solange müssen wir wohl die vorhandenen Instrumente nutzen."

Das große Inflationsziel

Im Jahr 2012 versprach Draghi, die Euro-Krise zu beruhigen: "Whatever it takes" sagte er da auf großer Bühne. Die Folgen sind bekannt: historisch niedrige Zinsen und das massive Kaufprogramm für Staats- und Unternehmensanleihen. Das Wachstum in der Eurozone legte daraufhin zu, die Lage am Arbeitsmarkt verbesserte sich, vor allem aber überlebte die gemeinsame Währung.

Doch es gelang nicht, die Inflation anzukurbeln. Diese bewegt sich weiterhin deutlich unter dem angestrebten Ziel von nahe zwei Prozent. Experten sind skeptisch, ob neue Impulse nun dazu beitragen könnten, dieses Ziel zu erreichen.

"Sie werden wenig oder gar keinen Unterschied machen. Wir haben in der Eurozone und auf der ganzen Welt gesehen, dass die Inflation derzeit weder auf starkes Wachstum noch auf einen Rückgang der Arbeitslosigkeit reagiert", sagte Andrew Kenningham, Chefökonom für Europa bei Capital Economics, zur DW.

"Außerdem wird die Weltwirtschaft eher langsamer als schneller wachsen", so Kenningham weiter, "denn es gibt den Handelskrieg und Anzeichen für einen globalen Rückgang von Produktion und Handel."

Am Ende mit der Munition?

Viele argumentieren, der EZB könne mit einem erneuten Kaufprogramm für Anleihen die Munition ausgehen. Sie hätte dann nicht mehr genug Feuerkraft in ihrem Arsenal, um auf einen wirtschaftlichen Abschwung reagieren zu können. Steueranreize in den Euroländern seien deshalb ein wirksameres Mittel.

Die Experten schauen dabei vor allem nach Deutschland. Die größte Volkswirtschaft der Eurozone sei am ehesten in der Lage, solche Impulse zu setzen. Angesichts einer drohenden Rezession mehren sich die Stimmen derer, die von der Bundesregierung ein Ende der Null-Defizit-Politik fordern. Stattdessen sollte sie in Infrastruktur und Bildung investieren, um die Konjunktur zu beleben, so ihr Argument.

"Die EZB hat zwar noch Munition, aber ihre Waffen scheinen nicht mehr zu funktionieren", so Ökonom Kenningham. "Dasselbe Problem hat seit einigen Jahren die japanische Notenbank." Er schließe sich daher der Mehrheitsmeinung der Experten an, nach der Steueranreize derzeit das effektivere Mittel seien.