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Durchbruch beim EU-Gipfel in Brüssel

27. Oktober 2011

Die Erwartungen an den zweiten EU-Gipfel innerhalb von vier Tagen waren hoch. Anders als beim ersten Treffen präsentierten die Gipfel-Teilnehmer diesmal am Ende einer langen, langen Nacht sogar handfeste Ergebnisse.

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Im Gespräch: Kanzlerin Merkel (l.) und IWF-Direktorin Lagarde (Foto: dapd)
Nächtliche Verhandlungen in Brüssel: Kanzlerin Merkel (l.) und IWF-Direktorin LagardeBild: dapd

Es sollte ein Gesamtpaket gegen die Euro-Krise werden: Der Schuldenschnitt für Griechenland, die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms EFSF und eine kräftige Finanzspritze für die Banken. Die Botschaft: Europa schützt die von der Krise bedrohten Staaten. Adressaten dieser Botschaft: Märkte, künftige Investoren und die EU-Länder selbst.

Doch der Schuldenschnitt erwies sich bei den Verhandlungen bis zum frühen Donnerstagmorgen (27.10.2011) in Brüssel als größtes Problem: Zäh rangen die Vertreter Griechenlands mit den Bankenvertretern des Institute of International Finance (IIF), während nebenan die EU-Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel beisammen saßen. Soll es den Schuldenschnitt geben, wie hoch soll der Erlass sein und unter welchen Bedingungen? Die Banken wehrten sich in der Nacht vehement dagegen und gegen die damit verbundenen Verluste.

50 Prozent Schuldenschnitt für Athen

Skyline mit Banken in Frankfurt, Main (Archivfoto: dpa)
Per Schuldenschnitt für Griechenland sollen auch Europas Banken ihren Teil zur Lösung der Krise beitragenBild: picture alliance/dpa

Um den Druck auf die Geldinstitute zu erhöhen, stießen schließlich auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, der französische Präsident Nicolas Sarkozy, EU-Ratspräsident Herman van Rompuy und die Chefin des Internationalen Währungsfonds Christine Lagarde zum Verhandlungsmarathon mit den Banken. Der eigentliche Euro-Gipfel wurde deshalb unterbrochen.

Dann am frühen Morgen, gegen halb vier, der Durchbruch: Die Banken erlassen dem hochverschuldeten Griechenland die Hälfte seiner Schulden. Darauf einigten sich die Euro-Länder mit der Bankenbranche, wie ein EU-Diplomat in Brüssel bestätigte. Durch den höheren Abschlag solle der Schuldenstand Athens auf 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gedrückt werden, anstatt wie im Moment 160 Prozent. Der Verzicht über 50 Prozent entspreche rund 100 Milliarden Euro.

Ein Hebel für den EFSF

Eine Einigung erzielten die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone auch über die Aufstockung des Euro-Rettungsschirms EFSF (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität). Auf bis zu eine Billion Euro sollen die Mittel des aktuell 440 Milliarden Euro schweren EFSF vervielfacht werden. Dazu soll er "gehebelt" werden. Doch auf welche Weise dies geschehen soll, war in der Nacht gleichfalls ungeklärt.

Die eine Variante dieses Hebels ist, eine Art Teilkasko-Versicherung durch den EFSF zu etablieren. Der Euro-Rettungsschirm haftet dann für etwa zwanzig Prozent des Ausfallrisikos, wenn Investoren Staatsanleihen von Krisenstaaten kaufen. Die andere Variante ist, einen oder mehrere Fonds mit EFSF-Bonds und Einzahlungen Privater einzurichten. Mit deren Hilfe könnte man wiederum mehr Geld am Markt mobilisieren. Auch Mischformen dieser Varianten sind möglich.

In diesem Zusammenhang wurde bekannt, dass Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy noch am Donnerstag mit dem chinesischen Präsidenten Hu Jintao über eine mögliche Beteiligung am EFSF-Hebel telefonisch beraten wolle.

Puffer für die Banken

Die für Schuldenschnitt und Ausweitung des EFSF grundlegende Voraussetzung war zuvor in der ersten Verhandlungsrunde von allen 27 Staats- und Regierungschefs beschlossen worden. Nach einer kurzen, aber stürmischen Diskussion habe man sich auf Elemente zur Rekapitalisierung der Banken geeinigt, berichtete der polnische Ministerpräsident Donald Tusk. Mit dieser Nachricht trat er als amtierender EU-Ratsvorsitzender am Mittwochabend als erster vor die Vertreter der internationalen Medien.

Wie erwartet sollen systemrelevante europäische Banken verpflichtet werden, ihre Kernkapitalquote auf neun Prozent zu erhöhen. Es geht um etwa 106 Milliarden Euro zusätzliches Kapital, schätzt die europäische Bankenaufsicht EBA. Die Kernkapitalquote ist das Verhältnis zwischen risikobehafteten Anteilen zum Stammkapital der Bank im weiteren Sinne. Durch diesen verpflichtenden Puffer sollen die Banken für mögliche Krisen in größeren Euro-Ländern gewappnet sein.

Italien unter Druck

Berlusconi vor Medienvertretern (Foto: dapd)
Machte beim EU-Gipfel erneut Zusagen - ohne konkret zu werden: Silvio BerlusconiBild: dapd

Zu diesen Ländern gehört auch Italien, das knapp zwei Billionen Euro Schulden hat. Reformen waren von Regierungschef Silvio Berlusconi zwar mehrfach angekündigt, aber bislang nicht angegangen worden. Unter dem Druck des EU-Gipfels vom Wochenende hatte Berlusconi nun auch zum Gipfel am Mittwoch ein neues Reformversprechen mitgebracht. In einem Brief an die Teilnehmer des EU-Gipfels hieß es, bis zum 15. November solle ein entsprechender Plan vorgelegt werden soll. Vorgesehen sind demnach Arbeitsmarkt- und Rentenreformen sowie Privatisierungen. Mit weniger Bürokratie und einer modernen Verwaltung sollten die Bedingungen für Unternehmen verbessert werden. Die von Italien vorgelegten Reformpläne hätten einen guten Eindruck gemacht, berichtete der amtierende EU-Ratspräsident Donald Tusk.

Die vergangenen Tage, in denen auch über Berlusconis Rücktritt spekuliert wurde, schienen den italienischen Regierungschef angestrengt zu haben. Jedenfalls erklärte Donald Tusk auf Nachfrage, Berlusconi sei zwar anwesend gewesen, habe aber nicht an der Debatte der EU-Staats- und Regierungschefs teilgenommen.

Autorin: Daphne Grathwohl, Brüssel

Redaktion: Martin Schrader