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Afghanische DW-Journalisten in Deutschland

Elliot Douglas
28. September 2021

Die DW-Korrespondenten waren mit ihren Familien vor den Taliban ins Nachbarland Pakistan geflohen. Nun ist eine Gruppe sicher in Deutschland gelandet.

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Flughafen Leipzig/Halle
Leipziger Flughafen mit einem Frachtflugzeug, das Richtung Afghanistan startetBild: Jan Woitas/dpa/picture alliance

Es ist dunkel und kalt auf dem Leipziger Flughafen im Osten Deutschlands, als die afghanischen DW-Korrespondenten und ihre Familien in der Nacht auf Dienstag deutschen Boden betreten. Die Reise, die hinter ihnen liegt, war lang und beschwerlich. Angst und Sorge hat ihr Leben bestimmt, seit die Taliban im August die Kontrolle über Afghanistan übernommen haben.

Die kleinen Kinder in der Reisegruppe sehen sich neugierig um. Wie sieht ihre neue Heimat aus? Sie können nicht verstehen, warum ihre Welt auf den Kopf gestellt wurde. Aber auch für die meisten Erwachsenen sind die Ereignisse der letzten Wochen schwer zu verarbeiten.

Zuflucht im Keller

Unter den gerade gelandeten Passagieren ist auch Ahmed. Der afghanische DW-Journalist lebt bereits seit einigen Jahren in Deutschland. Wegen einer Hochzeitsfeier in seiner Familie war er jedoch gerade in Masar-i-Scharif, als die Taliban im Frühsommer begannen, die Macht zu übernehmen. "Niemand hatte erwartet, dass es so schnell gehen würde", sagt er.

Afghanistan Kabul Flughafen Taliban
Auch am Flughafen in Kabul haben die Taliban mittlerweile die Kontrolle übernommenBild: Karim Sahib/AFP

Zusammen mit seiner Frau und seinen drei kleinen Kindern schaffte er es, von Masar-i-Scharif in die Hauptstadt Kabul zu gelangen. Als klar wurde, dass die Taliban im Land die Überhand gewannen, hatte die DW ihre afghanischen Korrespondenten zunächst gebeten, nach Kabul zu reisen.

Da der Flughafen der Hauptstadt jedoch vom Ansturm der Ausreisewilligen blockiert war und die Taliban immer weiter vordrangen, war Ahmed gezwungen, im Keller einer Druckerei Zuflucht zu suchen. "Das war im Grunde eine Fabrik", sagt er. Er und seine Familie versuchten wiederholt, zum Flughafen zu gelangen. An dem Tag, an dem Präsident Ashraf Ghani aus Afghanistan floh, wusste Ahmed, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die Taliban die Kontrolle über die Hauptstadt hätten. Es war der 15. August.

Über Pakistan nach Deutschland

Stunden später fiel Kabul. Die Chancen auf einen Flug außer Landes wurden immer geringer. Die DW suchte nach Möglichkeiten, ihre Korrespondenten sicher über die Landesgrenze nach Pakistan zu bringen. Mit Hilfe des Auswärtigen Amtes gelang es Ahmed, zusammen mit seiner Familie und einem weiteren Korrespondenten, die pakistanische Grenze zu erreichen.

Doch in der Nähe der Grenze wurde er von den Taliban festgenommen."Ich dachte wirklich, das wären meine letzten Momente auf Erden", erinnert sich Ahmed. Er habe in diesem Moment an die Leichen denken müssen, die er in Kabul gesehen hatte. Doch nach Verhandlungen von Kollegen in Deutschland wurde Ahmed freigelassen. Er schaffte es über die Grenze und weiter nach Islamabad.

Deutschland: Aus Afghanistan gerettet

Dort stand für die DW-Korrespondentengruppe die Visabeschaffung ganz oben auf der Prioritätenliste. Aufgrund logistischer Herausforderungen dauerte es einige Wochen, bis sie mit einem Flug nach Deutschland weiterreisen konnten. Das Auswärtige Amt sowie die deutsche Botschaft und der Botschafter in Pakistan hatten entscheidenden Anteil daran, dass die Gruppe legal und sicher nach Deutschland gelangen konnte.

Im Visier der Taliban

Dort landete in der Nacht auf Dienstag auch Mohammad, der seit drei Jahren für die DW arbeitet. Mit ihm an Bord der Maschine aus Islamabad: seine Frau und seine drei kleinen Töchter. Als Hazara-Korrespondent berichtete Mohammed über die ethnische Gruppe in Zentralafghanistan. In seiner Heimatprovinz Daikondi, so erzählt er, hätten Taliban den Menschen Häuser und Grundstücke weggenommen. Menschen hätten Land und Höfe verlassen müssen, Besitz, der seit Jahrzehnten ihnen gehörte. "Die Taliban sagen einfach, es gehöre jetzt ihnen", erklärt er.

Journalisten, die bestimmten ethnischen Minderheiten wie den Hazara, Tadschiken und Usbeken angehören, sind in Afghanistan besonders gefährdet, ins Visier der Taliban zu geraten. Ebenso wie Frauen, die als Journalistinnen arbeiten. Von vier DW-Korrespondenten, darunter Ahmed, wurden die Häuser und Wohnungen von Taliban angegriffen, nachdem es ihnen bereits gelungen war, das Land zu verlassen.

Von zahlreichen weiteren Übergriffen berichtete Anfang September der afghanische Journalist Ahmad Wahid Payman auf einer Pressekonferenz von Reporter ohne Grenzen in Berlin. Seit der Machtübernahme der Taliban ist freie Pressearbeit im Land nicht mehr möglich.

Neues Leben in Deutschland

"In den letzten Monaten haben wir so viel geweint", erzählt am Leipziger Flughafen ein DW-Journalist, der bereits in Deutschland ist und dessen Vater und Geschwister mit im Flugzeug saßen. "Wir haben keine Tränen mehr." Die Ankunft in Deutschland ist eine emotionale Angelegenheit.

Die afghanischen Korrespondenten werden alle bei der DW in Bonn eine neue redaktionelle Heimat finden. Ihre Unterbringung wurde in Zusammenarbeit mit den Behörden der Städte Bonn und Köln organisiert. "Es ist eine große Erleichterung, dass unsere Kolleginnen und Kollegen und ihre Familien endlich sicher in Deutschland angekommen sind und ihre Arbeit nun von unserer Zentrale in Bonn aus fortsetzen können", sagte DW-Chefredakteurin Manuela Kasper-Claridge.

Die Arbeit der DW-Korrespondenten in Deutschland wird es ermöglichen, die Berichterstattung der DW über die Lage in Afghanistan auszuweiten, insbesondere aufgrund der Kontakte, die sie im Land haben. "Wir haben gerade zusätzlich zu unserer TV-, Online- und Social-Media-Berichterstattung für Afghanistan ein neues Programm auf Kurzwelle gestartet, um so viele Afghanen wie möglich zu erreichen", so Kasper-Claridge weiter. "Die Situation für afghanische Journalisten im Land ist derzeit besonders schwierig. Aber es gibt wichtige Entwicklungen, über die berichtet werden muss."

Solidarität der Kollegen

Für die neu eingetroffenen Kollegen haben die Mitarbeiter der DW in Deutschland und weltweit unter anderem ein Spenden-  und ein Patenschaftsprogramm ins Leben gerufen. Die Solidarität mit den afghanischen Korrespondenten ist groß. Außerdem wurde eine Task Force der DW eingerichtet, die sich mit der Entwicklung der Lage in Afghanistan beschäftigt.

DW-Intendant Peter Limbourg dankte der Bundesregierung für ihre Unterstützung, sieht aber weiteren Handlungsbedarf. "Die Sicherheitslage verschlechtert sich, deshalb ist es zwingend notwendig, weiter an der Evakuierung von DW-Mitarbeitern und ihrer Angehörigen aus Afghanistan zu arbeiten", sagte er.

Es befinden sich noch zwei DW-Korrespondenten mit ihren Familien in Afghanistan. Zudem ist dort noch die Familie eines Mitarbeiters, der bereits in Deutschland ist. Das Zeitfenster für die Evakuierung wird immer kleiner. Festigen die Taliban weiter ihre Macht, dürfte es immer schwieriger werden, außer Landes zu gelangen.

Hinzu kommt, dass die Taliban oft keinen Unterschied zwischen Journalisten und ihren Familienangehörigen machen. Die Bedrohung für Journalisten und ihre Familien in Afghanistan ist also weiter groß – und dürfte eher noch zunehmen.