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Der "König" tritt ab

27. Januar 2022

Dylan Alcott verliert zum Abschluss einer beispiellosen Karriere im Finale der Australian Open. Das tut dem Status des Rollstuhltennis-Stars in Australien aber keinen Abbruch: Er ist und bleibt der "König" von Melbourne.

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Australien Dylan Alcott Australian Open 2022
Dylan Alcott returniert den Aufschlag des Briten Andy Lapthorne im Halbfinale der Australian Open 2022Bild: Michael Errey/Getty Images/AFP

Am Ende ging es ganz schnell. Allerdings nicht in die Richtung, die das Publikum in der Rod Laver Arena erwartet hatte: Rollstuhltennis-Superstar Dylan Alcott unterlag im Finale der Australian Open dem Niederländer Sam Schröder und verpasste damit seinen achten Triumph in Serie bei den Australian Open. Triumph Nummer eins für Schröder statt Triumph Nummer acht für den "Local Hero" Alcott - und dennoch verneigte sich nicht nur das Publikum auf dem Center Court der Australian Open, sondern das ganze Land vor dem 31-Jährigen - denn er beendete damit seine große Karriere.

Kronprinz und Partycrasher

17 Begegnungen in Folge hatte Alcott zuvor nicht verloren, sein Sieg gegen den 22-jährigen Niederländer schien lediglich Formsache. Schröder - der als Alcotts Kronprinz gehandelt wird - zeigte sich am großen Abschiedstag des "Königs von Melbourne" allerdings forsch und bärenstark. Nachdem der Australier im ersten Durchgang einen Satzball vergeben hatte, gewann Schröder diesen doch noch und ließ Alcott im zweiten Satz mit 6:0 nicht den Hauch einer Chance. 

Australian Open Tennis | Finale | Sam Schroder
Verdienter Sieger: Der Niederländer Sam Schröder entthront Alcott in dessen letztem Match in MelbourneBild: Simon Baker/AP Photo/picture alliance

Das erkannte auch das Publikum an und applaudierte dem Gewinner, der nicht warten wollte, bis der König den Thron verlassen hat. "Glückwunsch an Dylan für eine großartige Karriere. Du hast viel für Menschen mit Behinderung getan und die ganze Welt inspiriert", sagte Schröder. Seine drei anderen Grand-Slam-Finals hatte Kronprinz Schröder allesamt gegen König Alcott verloren: 2021 scheiterte er in den Finals der Australian Open, French Open und Wimbledon an Alcott.

"Glückwünsche an Sam, du warst der bessere heute und hast verdient gewonnen", sagte Publikumsliebling Alcott in "seinem Wohnzimmer". "Ich bin euch so dankbar, ihr habt mein Leben verändert. Hier hat es angefangen und wegen euch habe ich es geschafft. Danke", sagte Alcott unter tosendem Applaus. "Es wäre schön gewesen zu gewinnen, aber ich bin dennoch der glücklichste Mensch der Welt heute." 

In einem Atemzug mit Rod Laver

Alcott ist in Australiens zweitgrößter Stadt geboren und dort wie mittlerweile in ganz Australien ein echter Star, den jedes Kind kennt. Der 31-Jährige ist über die Jahre zu einer echten Ikone geworden. Als Sportler, als Werbefigur und als Radiomoderator genauso wie als Paradebeispiel der "Aussie-Mentalität". Und er ist der Vorreiter auf dem Weg, dass Menschen mit Behinderung in Beruf, Medien und Gesellschaft anerkannt werden.

Australien Dylan Alcott Australian Open 2020 | Novak Djokovic
Australian-Open-Sieger 2020: Alcott mit Novak DjokovicBild: Morgan Hancock/Getty Images

Im Melbourne Park spielt Alcott in der Gunst des Publikums in einer Liga mit Roger Feder, Rafael Nadal und Rekordsieger Novak Djokovic, die in ihrer Karriere jeweils 20 Grand-Slam-Einzel gewinnen konnten. Wer in Melbourne zum Tennis geht, nennt Alcott in einem Atemzug mit Rod Laver, Australiens Tennis-Idol und Namensgeber des größten Stadions der Anlage. Und Alcott nennt Laver seinen Kumpel. Die beiden australischen Tennis-Ausnahmeerscheinungen kennen und schätzen sich seit Jahren.  

Gut vorstellbar, dass im Melbourne Park einer der größeren Plätze bald den Namen des 31-Jährigen trägt. Denn Alcott hat im Quad-Rollstuhl-Tennis, bei dem die hüftabwärts gelähmten Spieler in motorenunterstützten Rollstühlen spielen und bei dem der Ball zweimal aufticken darf, alles gewonnen und Maßstäbe gesetzt.  

Vom Rollstuhlbasketball zum Golden Slam im Tennis

Alcotts beispiellose Laufbahn als Tennisspieler endete nun dort, wo sie 2015 mit seinem ersten Grand-Slam-Sieg begonnen hatte. Melbourne und Dylan Alcott, das ist eine ganz spezielle Verbindung. Doch der 31-Jährige, der aufgrund einer Tumor-OP am Rückenmark wenige Wochen nach seiner Geburt querschnittsgelähmt ist, hat überall auf der Welt große Triumphe gefeiert.

Und das zunächst nicht im Tennis, sondern als Rollstuhlbasketballer bei den Paralympics 2008 in Peking, bei denen er mit dem australischen Team die Goldmedaille gewann. Später widmete sich Alcott dann wieder dem Rollstuhltennis. 23 Grand-Slam-Titel heimste er ein: 15 im Einzel, acht im Doppel. Jeweils dreimal nahm Alcott die Einzel-Siegertrophäe bei den Grand Slams in Paris (2019, 2020, 2021) und New York (2015, 2018, 2021) entgegen, zweimal triumphierte der Australier auf dem prestigeträchtigen Rasen von Wimbledon (2019, 2021) und sieben Mal in Serie (2015-2021) "zu Hause" bei den Australian Open. 

Japan Dylan Alcott Goldmedaille Paralympics Tokio
Alcott mit der Paralympischen Goldmedaille bei den Spielen 2021 in Tokio Bild: Carmen Mandato/Getty Images

Der Vorhang für eine Karriere, die 2021 mit dem Gewinn des Golden Slams bereits alle Superlative gesprengt hatte. Mit den Siegen bei allen vier Grand Slams und der Paralympischen Goldmedaille im Kalenderjahr stieg Alcott in eine Sphäre mit Steffi Graf auf. Die hatte den Golden Slam im Jahr 1988 gewonnen.

Australier des Jahres

Seine vielleicht größte Sternstunde abseits des Tennisplatzes erlebte Alcott gerade in Australiens Haupstadt Canberra, wo er die Auszeichnung "Australier des Jahres" erhielt - als erster Parasportler überhaupt. Landsfrau Ashleigh Barty sagte, ihr würde "niemand einfallen", der die Ehrung Australier des Jahres "mehr verdient" habe. Während der Paralympics 2021 wurde das weltberühmte Opernhaus in Sydney in knallgelb angestrahlt und Alcotts Konterfei auf die "Segel" der Dachkonstruktion projeziert. In Melbourne ist der 31-Jährige in Überlebensgröße auf mehreren Mauern verewigt.

Alcott steht mittlerweile bei den Australian Open als On-Court-Interviewer in einer Reihe mit Tennis-Legenden wie Jim Courier oder John McEnroe. "Willkommen im Klub der Goldmedaillengewinner", feixte Alcott im obligatorischen Sieger-Interview mit Alexander Zverev nach dessen Zweitrundenmatch. "Der Unterschied ist aber, dass du vier Goldmedaillen hast", antwortete Deutschlands Nummer eins.  

"Zum Australier des Jahres ernannt zu werden, und das nicht nur für gutes Tennis, sondern auch für die Arbeit abseits des Platzes, ist riesig, und macht mich unglaublich dankbar. Es geht nicht darum, Tennisturniere zu gewinnen, sondern darum, die Wahrnehmung zu verändern, damit Menschen mit Behinderungen das Leben führen können, das sie verdient haben", sagte Alcott in seiner Dankesrede.

Dem "glücklichsten Typ der Welt" stehen nach dem Ende seiner Karriere viele Wege offen. Es wird sogar bereits über einen Einstieg Alcotts in die Politik spekuliert. 

DW Kommentarbild David Vorholt
David Vorholt Redakteur, Reporter und Autor in der DW-Sportredaktion