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Edathys Sicht der Dinge

Bernd Gräßler18. Dezember 2014

Der wegen des mutmaßlichen Besitzes von Kinderpornos angeklagte Ex-Politiker lässt sich von den Hauptstadtmedien befragen. Den brisanten Fragen weicht er aus. Doch wenigstens der SPD-Chef kann aufatmen.

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Sebastian Edathy Bundespressekonferenz 18.12.2014 Berlin
Bild: Reuters/Hannibal Hanschke

Nach anderthalb Stunden versucht sich Sebastian Edathy zu entspannen, mit einem Witzchen. Sein vom Bundestag bereitgestellter Laptop, den er im vergangenen Februar als gestohlen gemeldet hatte, habe nur noch einen Restwert von 90 Euro gehabt. "Da habe ich kein so schlechtes Gewissen gegenüber dem Steuerzahler". Kaum einer im Saal findet das witzig.

Zu diesem Zeitpunkt neigt sich ein Spektakel dem Ende, das fast so viele Hauptstadtjournalisten in die Bundespressekonferenz gezogen hat, wie sonst nur der Auftritt der Bundeskanzlerin. Der Ereigniskanal Phoenix überträgt live, 18 Kamerastative sind aufgebaut, zusätzliche Sicherheitsleute kontrollieren den Zugang, die Polizei wacht am Eingang. Letzteres hat damit zu tun, dass Sebastian Edathy, der einstige Innenexperte der SPD, nach eigener Aussage in Deutschland Morddrohungen erhalten habe. Der Vorwurf des Erwerbs und Besitzes von Kinderpornographie wiege schwer in Deutschland, "ein Makel, den werden Sie nie wieder los". Der vor Monaten abgetauchte 45jährige ist aus Marokko nach Deutschland gekommen, um als Zeuge in einem Untersuchungsausschuss des Bundestages darüber auszusagen.

Gute Botschaft für Gabriel

Aufklärung und nicht Rache sei sein Motiv, sagt der Mann, dessen tiefer Fall seit fast einem Jahr Schlagzeilen macht. Und belastet im gleichen Atemzug schwer seinen früheren Fraktionskollegen Michael Hartmann und noch schwerer den früheren Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, der ebenfalls SPD-Mitglied ist. Denn eine zentrale Frage der "Edathy- Affäre" lautet, ob und von wem aus der Politik der Ex-Politiker möglicherweise gewarnt wurde. Denn dann hätte er die Möglichkeit gehabt, Beweismaterial zu vernichten, bevor die Polizei seine Büros und seine Wohnung durchsuchte. Nach monatelangem Schweigen präsentiert Edathy jetzt die Namen der angeblichen oder tatsächlichen Informanten: Hartmann habe ihm im November 2013, am Rande eines SPD-Parteitages gesteckt, was er zuvor von Ziercke erfahren habe: Dass Ermittlungen gegen Edathy liefen, weil er auf der Kundenliste der kanadischen Internet-Firma Azov stehe, die Aktfotos von Knaben vertreibt. Hartmann und der damalige BKA-Chef Ziercke bestreiten zwar, dass sie die Informanten seien. Doch Edathy fährt schweres Geschütz auf: "Lesen Sie die eidesstattliche Erklärung, die ich vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss abgeben werde." Darin hat Edathy seinen SMS-Verkehr mit Hartmann zusammengefasst.

Die gute Nachricht für die SPD-Spitze: Laut Edathy waren es weder SPD-Chef Gabriel, noch Außenminister Steinmeier oder Fraktionschef Oppermann, die ihn vor möglichen Haussuchungen warnten. "Gabriel hat mich nicht informiert", bekräftigt Edathy. Und das, obwohl Gabriel als erster in der SPD-Spitze Bescheid wusste. Direkt vom damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU), der deshalb bereits im Februar wegen des Vorwurfs, er habe Dienstgeheimnisse verraten, seinen Hut nahm.

Ziercke Innenausschuss Edathy-Affäre
Der Informant? Ex-BKA-Chef Jörg ZierckeBild: picture-alliance/dpa

Die Nachricht von den Ermittlungen gegen Edathy verbreiteten sich nach Friedrichs Mitteilung offenbar in den oberen Etagen der SPD wie ein Lauffeuer, allerdings ohne dass dieser selbst davon erfuhr. Im Gegenteil, man habe ihm sogar noch trügerische Hoffnungen auf gute Posten in der SPD-Fraktion oder der künftigen Regierung gemacht. Edathys ist sichtlich verbittert über die Heuchelei seiner Genossen.

"Nicht richtig, aber legal"

Bis zu seinem Absturz galt der ehrgeizige Edathy, Sohn einer deutschen Mutter und eines indischen Vaters, studierter Soziologe, als aussichtsreicher Kandidat für einen Posten in der Regierung der großen Koalition, die im Herbst 2013 gerade im Entstehen war. Doch bereits nach den ersten Vorwürfen ließen ihn die Parteioberen offenbar insgeheim fallen. Dabei ging es am Anfang der Edathy-Affäre lediglich um Fotos nackter Knaben, die nach Einschätzung des Bundeskriminalamtes legal waren, wie Edathy betont: "Es war nicht richtig, aber legal".

Erst später verfolgten Polizei und Staatsanwaltschaft die Kinderporno-Spur, die im Februar 2015 in einem Verfahren aufgeklärt werden soll. Oder auch nicht. Denn derzeit laufen Gespräche von Edathys Anwalt mit dem Gericht. Der Richter habe angeboten, das Verfahren gegen "einen überschaubaren Geldbetrag" einzustellen", behauptet der Ex-Politiker. Später nennt er die Summe von 6000 Euro.

Ein wichtiges Beweismittel für oder gegen Edathy in einem möglichen Prozess könnte sein Notebook sein. Das sei ihm im Zugabteil auf dem Weg nach Amsterdam geklaut worden, gerade als er draußen eine Raucherpause einlegte. "Sie glauben ja gar nicht, wie viele Laptops dem Bundestag abhanden kommen, fragen Sie mal bei Verwaltung nach."

Die Staatsanwaltschaft will allerdings mithilfe rekonstruierter Daten eines Bundestagsservers nachweisen, dass von Edathys Computer Kinderpornos heruntergeladen wurden. Auf die direkte Frage, ob er nun pornographische Darstellungen von Knaben aus dem Internet konsumiert habe oder nicht, reagiert der Ex-Politiker abweisend. "Ich werde mich nicht zu einem laufenden Verfahren äußern", sagt er, und auf mehrfache Nachfrage setzt er leicht gereizt hinzu, "das ist hier kein Volksgerichtshof öffentlicher Art". Ein verbaler Ausrutscher, der Edathy leid tun dürfte, denn die Vokabel Volksgerichtshof weckt in Deutschland vor allem Erinnerungen an die Verfahren zur Nazizeit gegen Widerständler des 20.Juli.

"Where is the fucking problem?"

Die Nerven des einstigen Politprofis sind dünn geworden, so wie er selbst abgemagert ist, in den Monaten öffentlichen Scherbengerichts durch Medien, einstige Berufskollegen und die eigene Partei. "Where is the fucking problem?", schimpft er einmal, als ihm die Nachfragen zu viel werden. "Ich wünsche niemanden von Ihnen, einer solchen Situation ausgesetzt zu werden. Ich kann mich nicht einmal im öffentlichen Raum bewegen, weil ich angepöbelt werde."

Als Pöbelei versteht er auch die Frage eines Journalisten, ob er pädophil sei. Das sei Privatsache, "vielleicht sind Sie ja selbst pädophil". Verständnis offenbart er vor allem für sich selbst. Er sei mit Leib und Seele Abgeordneter gewesen, fünfmal in seinem Wahlkreis in den Bundestag gewählt worden. Mittlerweile hat er keine Kontakte mehr zu der Spitze seiner einstigen Fraktion. "Dies ist mein letzter großer Auftritt hier in Berlin", sagt der einst geachtete Innenexperte, "den Politiker Edathy gibt es nicht mehr."

Am 22. August 2013 war es, als Edathy das letzte Mal als gewählter Abgeordneter in der Bundespressekonferenz über die Ergebnisse des von ihm geleiteten Untersuchungsausschuss des Bundestages zur NSU-Affäre berichtete. In den Zeugenvernehmungen damals, daran erinnert der einstige Bundestagsabgeordnete selbst, war er mit einem Mann verbal aneinandergeraten, den er jetzt des Geheimnisverrats bezichtigt: BKA-Chef Jörg Ziercke. Für den könnte es jetzt unangenehm werden. Allerdings ist er inzwischen pensioniert.

Nach zwei Stunden selbstgewählter Kasteiung durch die Berliner Pressemeute verlässt Sebastian Edathy, wie stets korrekt gekleidet in dunklem Anzug, hellem Hemd und passender Krawatte, das Pressehaus in Richtung Bundestag. Dort wartet wieder mal ein Untersuchungsausschuss, allerdings geht es diesmal um ihn selbst.