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Beklemmendes Relikt

3. April 2009

Claus Röhling ist seit 15 Jahren Besitzer eines Atombunkers in der Eifel. Hier wäre im Ernstfall die Landesregierung Nordrhein-Westfalens untergebracht worden. Der Andrang von Touristen ist groß.

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Claus Röhling öffnet den Entgiftungsraum, Quelle: dpa
Claus Röhling öffnet den EntgiftungsraumBild: picture-alliance/dpa

Mit diesem Ansturm hatte Claus Röhling nicht gerechnet. Seit er vor ein paar Tagen die Pforten seines Bunkers im Eifeldörfchen Urft geöffnet hat, überrollen ihn die Anfragen. Sämtliche Besichtigungstermine sind ausgebucht - die Bunker-Freunde lassen sich schon auf Wartelisten eintragen.

Platz für 200 Beamte

Der Tourismus zu den Relikten des Kalten Krieges, sagt Röhling, erlebe seit ein paar Jahren einen wahren Boom. Und davon kann nun auch sein Bunker in der Eifel profitieren. Es waren vor allem persönliche Gründe, die den Elektronikunternehmer 1994 zum Besitzer eines Bunkers werden ließen. Sein Schwiegervater hatte in dem so genannten Ausweichsitz NRW bis zu seiner Schließung gearbeitet und fühlte sich dem Betonklotz auch im Ruhestand verbunden. Röhling kaufte das Einfamilienhaus des Bunkerwarts und bekam den Bunker nebenan vom Land NRW geschenkt.

Bieder und unauffällig: Der Bunkereingang ist als Doppelgarage getarnt, Quelle: Andreas Noll
Bieder und unauffällig: Der Bunkereingang ist als Doppelgarage getarntBild: DW / Andreas Noll

Zuerst wollte er hinter den meterdicken Betonmauern ein Elektroniklabor einrichten, doch die Pläne zerschlugen sich. Mehr als ein Jahrzehnt geriet der Bunker in einen Dornröschenschlaf – nur Röhlings Schwiegervater öffnete regelmäßig die braunen Tore der biederen Tarngarage, um im Bunker nach dem Rechten zu sehen. 50 Stufen geht es durch einen Tunnel am Waldhang hoch bis zur Bunkerschleuse. Dahinter beginnt ein Labyrinth aus Dutzenden Büros, in denen nur die Neonröhren an der Decke Licht spenden.

Piaf sollte die Bevölkerung beruhigen

Hier in den angeblich atombombensicheren Büros für die rund 200 hochrangigen Landesbeamten scheint die Zeit stehen geblieben zu sein: Alles ist so, wie es die letzten Verwalter 1993 hinterlassen haben. Nur die Akten, Betten und Stühle fehlen. Der Kartentisch für die Berechnung des atomaren Fallouts, die Drehscheiben-Telefone, die Filteranlagen und das Rundfunkstudio für den Ministerpräsidenten sind geblieben. Sogar eine voraufgezeichnete Sendung liegt noch in der alten Bandmaschine. Musik von Edith Piaf hätte die Bevölkerung von Nordrhein-Westfalen beruhigen sollen, wenn in Essen, Duisburg oder Bochum sowjetische Atombomben explodiert wären.

An diesem Tisch hätten die Regierungsmitglieder gegessen, Quelle: dpa
An diesem Tisch hätten die Regierungsmitglieder gegessenBild: picture-alliance/dpa

Die Beamten im Bunker hätten den atomaren Ernstfall theoretisch 30 Tage überleben können – für diesen Zeitraum waren die Lebensmittelvorräte angelegt. In dieser Zeit hätten sie aus dem Bunker den Aufbau von Notkrankenhäusern, Notfallbrücken über den Rhein und die Erstversorgung der Bevölkerung koordiniert- theoretisch. Praktisch wäre das Inferno wohl nicht handhabbar gewesen. Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung in den Ballungsräumen wäre Berechnungen zufolge einem Atomangriff des Warschauer Paktes zum Opfer gefallen. Bei einer der letzten Notfallübungen im Bunker simulierten die Beamten den Einschlag von 1000 sowjetischen Atombomben. Für diese Apokalypse wären auch die kilometerlangen Aktenberge, die im Bunker vom tierischen Inventar der Bauernhöfe bis zu Konstruktionsplänen von Brücken alles auflisteten, nutzlos gewesen.

Der Ernstfall blieb der NRW-Führung erspart und so hat auch der Ministerpräsident seinen Ausweichsitz in der Eifel nie betreten. Das einzige Einzelzimmer des Bunkers überstand die drei Jahrzehnte, in denen der Bunker betrieben wurde, unbenutzt. Jetzt drängen sich hier die Besucher.

Testballon für eine dauerhafte Nutzung

Claus Röhling möchte nun sein Relikt aus dem Kalten Krieg möglichst vielen Interessierten zugänglich machen, denn nicht jedem ist diese Zeit so präsent wie dem älteren Ehepaar, das bei der Premierenbesichtigung besonders interessiert zuhört. Noch allerdings befindet sich das Besuchsprojekt in der Testphase. Erst wenn klar ist, dass die enge Infrastruktur die Menschenmassen verkraften kann, will Röhling den Bunker dauerhaft zugänglich machen.

Autor: Andreas Noll

Redaktion: Dеnnis Stutе