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Ein Comic über den Holocaust - geht das?

Dirk Schneider11. August 2012

Reinhard Kleist erzählt die Geschichte des polnischen Juden Hertzko Haft in Form eines Comicstrips. Haft musste zur Unterhaltung der SS-Männer gegen andere Häftlinge kämpfen - auf Leben und Tod.

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Bild: Reinhard Kleist, Carlsen Verlag Hamburg

Hertzko Haft ist 16 Jahre alt, als ihn die Deutschen aus seinem polnischen Heimatort Belchatow ins KZ deportieren. Leah, seine große Liebe, muss er zurücklassen, genauso wie seine Familie. Haft stammt aus ärmlichen Verhältnissen - sein Vater ist Gemüsehändler -, aber der kleingewachsene Junge ist zäh und hat gelernt, sich durchzusetzen. Das fällt auch einem SS-Mann auf, der den Jungen im Lager protegiert. Mit Hintergedanken: Hertzko soll als Boxer gegen andere Häftlinge antreten, zur Unterhaltung der SS-Männer.

Es ist ein Kampf auf Leben und Tod. Hertzko Haft wird unbesiegt bleiben, während seine Gegner ins Gas geschickt werden. Keine einfache Geschichte, die sich nach dem üblichen Täter-Opfer-Schema erzählen ließe, findet auch Comiczeichner Reinhard Kleist: "Hertzko Haft ist nicht nur Opfer, er hat nach allen Seiten ausgeteilt. Wenn man aus diesem Stoff etwas machen will, muss man damit arbeiten. Genau diese Zwiespältigkeit hat mich interessiert."

Ausschnitt aus dem Comic (Copyright © Reinhard Kleist, Carlsen Verlag Hamburg)
Buchcover: "Der Boxer"Bild: Reinhard Kleist, Carlsen Verlag Hamburg

Nicht der erste Comic über den Holocaust

Alan Scott Haft hat die Geschichte seines Vaters Hertzko Haft aufgeschrieben. "Eines Tages werde ich alles erzählen“ lautet der deutsche Titel des Buchs. Reinhard Kleist hat das grafische Potential darin sofort erkannt: Mit breiten, schwarzen Tuschestrichen entwirft er die Szenen, die abgemagerten Häftlinge wirken bei ihm fast expressionistisch.

Ausschnitt aus dem Comic (Copyright © Reinhard Kleist, Carlsen Verlag Hamburg)
Der Comiczeichner Reinhard KleistBild: privat

Für einen deutschen Autor ist es allerdings schwieriges Terrain, ausgerechnet in einem Comic vom Holocaust zu berichten – und dann noch von einem Juden, der auch Täter war. Kleist meistert diese Aufgabe vor allem dadurch, dass er Distanz wahrt: "Ich habe sehr oft die Kamera weiter weg gestellt. Etwa Hafts Arbeit im Krematorium von Auschwitz, so etwas kann man nur andeuten. Es wirkt sonst schnell sensationslüstern, und das will ich ja wirklich nicht."

Dass der Holocaust auch ein Thema für Comics sein kann, hat der amerikanische Zeichner Art Spiegelman längst bewiesen: Für seine "Maus"-Comics wurde er 1992 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet; es war der erste Comic, der diesen Preis erhielt. Bei Spiegelman aber sind die Nazis als Katzen gezeichnet, die KZ-Häftlinge als Mäuse, was die Thematik keineswegs ins Lächerliche zieht, sondern zur Fabel macht. Kleist will mit seinem realistischen Stil dagegen vor allem eine spannende Geschichte erzählen: "Ich will absolut unterhalten als Erzähler. Ich will den Leser in die Geschichte reinbringen und Reaktionen provozieren."

Ausschnitt aus dem Comic (Copyright © Reinhard Kleist, Carlsen Verlag Hamburg)
Ausschnitt aus dem ComicBild: Reinhard Kleist, Carlsen Verlag Hamburg

Wie die Geschichte weiter geht

Kleists Adaption ist vor allem unterhaltsam, provokant dagegen kaum, zumindest wirft sie kaum Fragen auf. Verstörend ist indes die Lebensgeschichte von Hertzko Haft selbst, die zeigt, wie nahe Gut und Böse beieinander liegen können. Kleists distanzierte Erzählhaltung aber vermeidet es, sich wirklich auf Hafts persönliche Perspektive einzulassen. So bleibt "Der Boxer" an der Oberfläche, eine Geschichte eben nur aus zweiter Hand erzählt, die zwar Spannung
erzeugt, aber kaum Miterleben.

Ausschnitt aus dem Comic (Copyright © Reinhard Kleist, Carlsen Verlag Hamburg)
Ausschnitt aus dem ComicBild: Reinhard Kleist, Carlsen Verlag Hamburg

Für Kleists Ansatz spricht, dass er die Geschichte zu Ende erzählt: Haft flieht aus dem Lager, wandert aus in die USA aus, wo er sich als Profi versucht und seinen größten Kampf gegen den berühmten Schwergewichtschampion Rocky Marciano verliert. Am Ende betreibt er einen Gemüseladen in Brooklyn und ist von seiner Familie wegen seiner Wutanfälle gefürchtet. Seine Jugendliebe Leah wird er wieder treffen, nach 62 Jahren – er hatte nie aufgehört, nach ihr zu suchen. Erst nach dieser Begegnung bricht der mittlerweile 78jährige sein Schweigen. Wenige Jahre vor seinem Tod 2007 lässt er seinen Sohn Alan die Geschichte aufschreiben, die Reinhard Kleist jetzt als Abenteuererzählung in Form eines Comics adaptiert hat.

Ausschnitt aus dem Comic (Copyright © Reinhard Kleist, Carlsen Verlag Hamburg)
Ausschnitt aus dem ComicBild: Reinhard Kleist, Carlsen Verlag Hamburg

"Der Boxer" von Reinhard Kleist ist im Carlsen Verlag erschienen, hat 176 Seiten und kostet € 16,90. ISBN 978-3-551-78697-5