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Ein Drehkreuz für Al-Kaida in der Türkei?

Karlos Zurutuza, Ceylanpinar, Türkei / db30. September 2013

Die türkische Stadt Ceylanpinar liegt direkt an der Grenze zu Syrien. Anwohner werfen der türkischen Regierung vor, von dort militante Islamisten in Nordsyrien zu unterstützen - die Regierung widerspricht.

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Zugschienen teilen Syrien und die Türkei (Foto: Karlos Zurutuza)
Bild: Karlos Zurutuza

Gäste von Nevroz Algic genießen nicht nur gut gewürzte einheimische Spezialitäten in ihrem Restaurant. Sie haben auch einen hervorragenden Blick auf die Front, die auf der anderen Straßenseite verläuft. Selbst die laute arabische Musik, die aus den Lautsprechern plärrt, kann die Schüsse nicht übertönen.

Ceylanpinar liegt etwa 1000 Kilometer südöstlich von Ankara und war einst für weitläufige landwirtschaftliche Betriebe bekannt. Der Syrien-Konflikt hat aber auch vor der Kleinstadt mit ihren 40.000 Einwohnern nicht Halt gemacht. In den vergangenen zwölf Monaten wurden vier Bewohner getötet und Dutzende Menschen durch Querschläger verwundet.

"Früher kamen die neuen Lehrer zum Essen hierher. Sie wohnten auch in der Pension, aber jetzt will keiner mehr herkommen", erklärt Algic im Gespräch mit der DW. "Keiner weiß, wann eine Schießerei anfängt oder aufhört." Die Einschusslöcher in den Wänden des Lokals sprechen eine deutliche Sprache. Dennoch sind materielle Verluste nicht das Schlimmste.

"Mein Ehemann wurde von Granatsplittern verwundet, mein zehnjähriger Sohn ist von den Explosionen traumatisiert, und der ältere hat die Uni geschmissen", sagt Algic. Sie sitzt neben einem zerbrochenen Fenster. Dahinter sieht man in der Entfernung einen Frachtzug langsam durch das Niemandsland zwischen der Türkei und Syrien rattern.

Die 1911 errichtete Orient Express-Linie trug zehn Jahre später zur Grenzziehung zwischen den beiden Ländern bei. Seitdem hat es zwar eine Verbindung zwischen Berlin und Bagdad gegeben, der kurdische Ort Serekaniye aber wurde zweigeteilt: Die türkische Hälfte hieß Ceylanpinar, den syrischen Teil nannte man Ras al Ayn.

"Islamisten auf dem Weg ins Paradies"

Wie die meisten Bewohner hat auch Mehmet Familienangehörige auf der anderen Seite der Grenze. Die Situation habe sich seit einer Nacht im vergangenen Oktober verschlechtert, so der Beamte, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte.

"In der Nacht sah ich, wie bewaffnete Leute aus einer ganzen Flotte von Bussen ausstiegen", erinnert er sich. "Ich habe sofort die Polizei gerufen, aber sie sagten, ich solle mir keine Sorgen machen, alles sei unter Kontrolle." Nachbarn sahen, wie Bewaffnete über die Grenze nach Syrien gingen. Auch ihnen sagten die örtlichen Sicherheitskräfte, "alles sei unter Kontrolle", wie Mehmet im Gespräch mit der DW sagt.

Er sehe oft Busse mit zugezogenen Vorhängen in der Gegend. "Ich habe keinen Zweifel, dass die Fahrgäste Islamisten auf dem Weg ins Paradies sind", sagt Mehmet mit einem traurigen Lächeln. Das "Schweigen der türkischen Medien über die dunklen Machenschaften Ankaras" sieht er kritisch. "Hier geht es nicht um Rebellen, die gegen Baschar al-Assad kämpfen. Hier treffen die Al-Nusra-Front, eine der Al-Kaida verbundene Rebellengruppe, und syrisch-kurdische Kämpfer brutal aufeinander."

Maskierte syrische Kämpfer (Foto: ABO SHUJA/AFP/Getty Images)
Rebellen in Syrien - die syrischen Kurden kontrollieren Gebiete im Norden des LandesBild: Abo Shuja/AFP/Getty Images

Konflikte mit beiden Seiten

Seit dem Beginn des Aufstandes im März 2011 haben syrische Kurden geschworen, einen eigenen, "dritten Weg" einzuschlagen - weder an der Seite Assads noch an der der Aufständischen. Sie halten an einer neutralen Position fest, die bereits zu Konflikten mit beiden Seiten geführt hat. Im Juli 2012 übernahmen sie aber die Kontrolle der Gebiete im Norden Syriens.

Am 12. Juli 2012 unterzeichneten die Kurdenmiliz "Komitee zum Schutz des Kurdischen Volkes" (YPG) und die Freie Syrische Armee (FSA) in Ras al Ayn ein Waffenstillstandsabkommen. Die Al-Nusra-Front distanzierte sich von der Waffenruhe. Viele Einwohner erzählten der DW, Ankara habe Al-Nusra-Kämpfer in einem Camp in der Nähe eines unbewachten Grenzübergangs westlich von Ceylanpinar untergebracht.

Ibrahim Polat ist Lokalreporter für die Nachrichtenagentur Dicle. Er bestätigt die Angaben und erklärt, die mutmaßliche Unterstützung Ankaras für die Islamisten gehe sogar noch weiter: In den vergangenen Monaten hätten türkische Krankenwagen Hunderte Kämpfer von Syrien in das Krankenhaus in Ceylanpinar gebracht, Schwerverletzte sogar ins Balikdigol Krankenhaus in der Provinzhauptstadt Sanliurfa. "Kurdische Milizen werden in örtlichen Krankenhäusern systematisch abgewiesen, sie werden in die kurdische Stadt Qamishlo in Syrien gebracht", sagt der Journalist der DW. Anonyme Quellen in beiden Krankenhäusern erklären, es gebe keine verwundeten Kämpfer in Ceylanpinar. In Sanliurfa seien aber noch einige in Behandlung.

"Schmutziger Krieg"

Bezirksgouverneur Musa Ceri weist derartige Behauptungen als "unwahr" von sich. "Es ist lächerlich zu glauben, die Türkei würde irgendwelche Terroristengruppen unterstützen", so Ceri. Seine Regierung würde so etwas niemals tun, sagt der AKP-Politiker der DW. Die Regierung in Ankara bemühe sich lediglich darum, mit der wachsenden Anzahl syrischer Flüchtlinge auf türkischem Gebiet klarzukommen - laut UN mehr als 200.000 Menschen. "Unsere Religion, der Islam, gebietet es uns, den Menschen zu helfen."

Die "größte terroristische Bedrohung" der Türkei mache ihm dennoch Sorgen, erklärt Ceri. "Die syrisch-kurdischen Kämpfer sind nur ein Ableger der Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Wenn sie in ihren Gegenden erstarken, ist es für sie ein Leichtes, uns über die Grenze hinweg anzugreifen." Eine autonome Kurden-Region in Syrien, ähnlich der im Irak, sei eine der größten Sorgen Ankaras, so der Politiker.

Der Bürgermeister von Ceylanpinar, Ismail Arslan, betont, seine Stadt zahle einen hohen Preis für den Krieg: "Es gab Tote und Verwundete, Menschen sind weggezogen, Geschäfte wurden geschlossen, die Grundstückspreise sind im Keller." Und das sei noch nicht alles. In Ceylanpinar seien 60 Prozent der Einwohner Kurden, 30 Prozent Araber, und der Rest Assyrer, Türken und andere Nationalitäten. "Der Konflikt schürt Misstrauen in der Bevölkerung, es entwickelt sich eine Kluft zwischen den Menschen."

Ceylanpinars Bürgermeister Ismail Arslan (Foto: Karlos Zurutuza)
Seine Stadt leide sehr unter dem Krieg in Syrien, meint Ceylanpinars Bürgermeister Ismail ArslanBild: Karlos Zurutuza

Über das angebliche Camp in der Nähe möchte sich der Bürgermeister nicht äußern, wohl aber zur Rolle Ankaras in der Gegend: "Die Türkei sagt von sich, sie sei ein demokratisches Land, ist aber in einen sehr schmutzigen Krieg verwickelt. Ich fürchte, unsere Probleme werden erst enden, wenn Ankara aufhört, mit Al-Kaida verbundene Gruppen in Syrien zu unterstützen."