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Ein Folterzentrum als Gedenkstätte

Kersten Knipp2. Februar 2014

Während der brasilianischen Militärdiktatur wurden im Gebäude der Staatssicherheit in São Paulo viele Menschen gefoltert und getötet. Im nun beginnenden Gedenkjahr soll das Zentrum in ein Museum verwandelt werden.

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Brasilianische Soldaten betreten 1969 ein Gebäude. (Foto: AP)
Herrschaft der Uniformen und Waffen - die Militärdiktatur in Brasilien dauerte über zwei JahrzehnteBild: picture-alliance/AP

Ein nüchterner Zweckbau im südlichen São Paulo: Drei lang gestreckte, jeweils zwei Stockwerke hohe Blöcke bilden ein zu einer Seite offenes Rechteck. In der Mitte: ein geräumiger Parkplatz, auf dem die Dienstfahrzeuge einer Einheit der Stadtpolizei von São Paulo Platz finden. Während der Zeit der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985) standen dort andere Wagen - die des gefürchteten brasilianischen Geheimdienstes DOI-CODI, der in dem Gebäude seinen Sitz hatte.

Das Kürzel steht auf Portugiesisch für zwei zentrale Abteilungen der damaligen Staatssicherheit: die "Abteilung für Informationsbeschaffung" und das "Zentrum der inneren Verteidigung“. Beide Dienste hatten zur Zeit der Diktatur Filialen in zahlreichen Städten des Landes. Bis heute ist das Kürzel ein Synonym für Terror, Gewalt und Folter, die damals im Namen des Staates begangen wurden.

Inzwischen ist der ehemalige Geheimdienstsitz in São Paulo deutlich in die Jahre gekommen. Zwar wurde das Gebäude mehrfach renoviert und umgebaut, doch seine ursprüngliche Form blieb erhalten. Jetzt soll es in eine Gedenkstätte für die Opfer der Militärdiktatur umgewandelt werden. 486 Menschen wurden während der Herrschaft des Regimes umgebracht. Über 100.000 Personen saßen aus politischen Gründen in Haft, mindestens 50.000 wurden gefoltert. In dem Gebäude in São Paulo selbst starben 47 Menschen.

Der Schmerz der Angehörigen

50 Jahre nach dem Militärputsch von 1964 wird die Diktatur nun entschlossen aufgearbeitet. Im Jahr 2013 nahm die "Comissão Nacional da Verdade", die "Nationale Wahrheitskommission", ihre Arbeit auf, die die Herrschaft der Militärs in allen nur denkbaren Facetten untersucht. Nicht ausgeschlossen ist, dass sie auch Licht in das bis heute ungeklärte Schicksal zahlreicher Opfer bringen kann.

Marsch zum Gedenken an die Todesopfer der Diktatur in Rio de Janeiro, 29.3. 2012 (Foto: imago / Fotoarena)
"Nie wieder Folter!" Marsch zum Gedenken an die Todesopfer der DiktaturBild: Imago/Fotoarena

Viele Familien wüssten bis heute nichts über den Verbleib ihrer damals verschwundenen Angehörigen, erläutert Maurice Politi. Er ist Direktor von "Núcleo Memória", einem Zusammenschluss ehemaliger politischer Häftlinge und Verfolgter, die zu Brasiliens dunklen Jahren forschen. "Die Angehörigen werden solange keine Ruhe finden, wie sie von den verantwortlichen Stellen keine befriedigende Antwort erhalten", so Politi gegenüber der DW. Der Historiker weiß, wovon er spricht: Zu Beginn der 1970er Jahre saß er als Gegner des Regimes selbst vier Jahre in dessen Gefängnissen.

Der Tod des Vladimir Herzog

Die Filiale des DOI-CODI São Paulo wurde auch darum bekannt, weil hier einer der prominentesten Gegner des Militärregimes starb: der Journalist Vladimir Herzog. Im Oktober 1975 wurde Vladimir "Vlad" Herzog von der Staatssicherheit vorgeladen, um über seine Beziehungen zur damals für illegal erklärten Kommunistischen Partei Brasiliens Auskunft zu geben. Einen Tag später war Herzog tot - man fand ihn in seiner Zelle, erhängt am eigenen Gürtel.

Das Bild, das den Journalisten am Fenstergitter hängend zeigte, ging um die Welt. Er habe sich selbst umgebracht, ließen die Militärs verlauten - glauben mochte es ihnen niemand. Vieles deutete darauf hin, dass Herzog sich mitnichten erhängt hatte, sondern mit dem Gürtel erdrosselt worden war.

Leandro Koner, ein mit Herzog befreundeter Journalist, der an jenem Tag ebenfalls im Folterzentrum festgehalten wurde, schilderte Jahre später die letzten Lebenszeichen seines Kollegen. Demnach wurde Herzog über Stunden gefoltert. Aus einer Nachbarzelle hörte Koner, wie Herzog in unregelmäßigen Abständen zu schreien begann. "Am Nachmittag wurde es dann ruhig in der Zelle", berichtet ein anderer, ebenfalls in unmittelbarer Nähe festgehaltener Häftling.

Eine Beerdigung als Protestkundgebung

Herzogs Beerdigung wurde zu einer der größten Protestkundgebungen während der Militärdiktatur. Zwar hatte die Polizei die Zufahrtswege zu dem Gotteshaus weiträumig abgesperrt. Dennoch kamen Tausende Menschen, um dem Toten das letzte Geleit zu geben. Vor der Kathedrale schleuderten sie den Polizisten Forderungen nach einem Ende der Diktatur entgegen. Zwar versuchten die Einsatzkräfte, die Reihen der Demonstranten durch den Einsatz von Tränengas aufzulösen. Doch ihre Botschaft vermochten sie nicht zu vertreiben. Vom Tag der Beerdigung an wussten die Militärs, wie gewaltig der Widerstand gegen sie gewachsen war.

Fahndungsplakate aus der Zeit der Militärdiktatur, hier in einer Ausstellung in Brasilia (Foto: AP)
"Gesucht!" Fahndungsplakate aus der Zeit der Militärdiktatur, hier in einer AusstellungBild: AP

Doch neben Herzog starben viele andere, weniger bekannte Menschen. Auch sie, oder vielleicht sogar vor allem sie, sollen im nun anlaufenden Gedenkjahr 2014 gewürdigt werden. Dazu soll auch das künftige Museum beitragen, dessen ehemalige Zellenräume einen beklemmenden und unmittelbaren Einblick in die damalige Praxis der Folter und Verhöre geben.

Nicht zuletzt könnte das Gedenkjahr den Angehörigen der Opfer helfen, ihren Verlust endlich zu verarbeiten. Die Auseinandersetzung mit den psychologischen Folgen der Diktatur habe reichlich spät begonnen, sagt Alexandre Mourão von der Gruppe Aparecidos Políticos, die die Diktatur mit künstlerischen Mitteln aufarbeitet. "Sie hätte früher beginnen müssen", erklärt er im Gespräch mit der DW. "Aber besser spät als nie."