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Theaterlabor

Silke Bartlick17. Mai 2014

Im Mittelpunkt des Berliner Theatertreffens stehen die zehn bemerkenswertesten Inszenierungen des Jahres. Im Rahmenprogramm geht es um das Theater der Zukunft.

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Theatertreffen (Foto: DW, Silke Bartlick)
Bild: DW/Silke Bartlick

So kann Theater also auch funktionieren: Man drückt einem Performer einen Umschlag in die Hand, in dem sich ein Text befindet, den er nicht kennt, stellt ihn vor ein Publikum und lässt den Dingen ihren Lauf. Nach einer guten Stunde gibt es donnernden Applaus, viele Fragen und erstaunliche Erkenntnisse. Denn dieses kleine Stück "White Rabbit, Red Rabbit" des iranischen Autors Nassim Soleimanpour kommt nicht nur ohne Probe, Regie und Bühnenbild aus. Es macht Spieler und Publikum auch zu Gleichberechtigten, die die Unwissenheit teilen und das Geschehen gemäß der Anweisungen im Skript vorantreiben und gestalten. Und die trotz herzhafter Situationskomik mit ganz großen Fragen konfrontiert werden: Wie ist es bestellt um mein Verantwortungsbewusstsein? Wann greife ich ein, wenn anderen Gefahr droht? Und wie mutig bin ich eigentlich?

Eine Bühne für den Austausch

Die Performance "White Rabbit, Red Rabbit" war Teil des Programms des Internationalen Forums, einem Rahmenprogramm des Berliner Theatertreffens. In diesem Jahr findet es bereits zum 50. Mal statt und bringt in geschätzter Tradition junge Regisseure, Spieler, Autoren, Dramaturgen und Ausstatter zusammen, damit sie sich austauschen sowie das zeitgenössische Theater und ihre eigene Kunst hinterfragen können. Die 36 StipendiatInnen des 50. Durchgangs kommen aus Europa, Südamerika, dem Nahen Osten und Nordafrika. Als "White Rabbit, Red Rabbit" in der Kassenhalle des Hauses der Berliner Festspiele zur Aufführung kommt, haben sie bereits mehrere der zum Theatertreffen geladenen Inszenierungen gesehen, mit Theatertreffen-Künstlern diskutiert und an verschiedenen Workshops teilgenommen.

Kassenhalle des Hauses der Berliner Festspiele, in der die Stipendiaten des Internationalen Forums über "White Rabbit/Red Rabbit" diskutieren.(Foto: dw)
Diskussion nach der Performance "White Rabbit/Red Rabbit"Bild: DW/Silke Bartlick

Sein Kopf sei nun voller Fragen und Ideen, sagt Omar Eierian, ein italienisch-palästinensischer Regisseur, der in London lebt und arbeitet. "Wir denken als Künstler ja immer, dass wir ähnliche Ansichten haben, was den politischen Standpunkt angeht." Tatsächlich aber unterscheide sich die politische Situation im Iran oder Afghanistan, woher einige Teilnehmer des Forum kommen, sehr von der in Brasilien, Peru, Großbritannien oder Deutschland. "Und dann merkt man schnell, dass für das, was an dem einen Ort selbstverständlich ist, woanders gekämpft werden muss".

Theater der Begegnungen

Nassim Soleimanpour, der Autor von "White Rabbit, Red Rabbit", hat in seiner Heimat, dem Iran, den Wehrdienst verweigert. Mit der Folge, dass dem jungen Mann das Recht auf einen Reisepass entzogen wurde. An seiner Stelle ist im Jahr 2011 "White Rabbit, Red Rabbit" auf Reisen gegangen, mittlerweile ist die Performance in 15 Sprachen zur Aufführung gekommen. Sie hat Nassim Soleimanpour mit Menschen in vielen Ländern der Welt vernetzt. Seit letztem Jahr darf er nun reisen und saß auch in Berlin im Publikum – eine Überraschung, heißt es doch eingangs im Skript, die Performance sei eine schöne Gelegenheit, den abwesenden Autor zu erleben.

Die Stipendiatinnen Nina Russi und Lisa Überbacher (Foto: dw)
Nina Russi (links) und Lisa Überbacher (rechts)Bild: DW/Silke Bartlick

"Man schätzt und würdigt inzwischen viel mehr, was man selber hat und hier machen kann", bilanziert die Schweizer Regisseurin Nina Russi nach zehn Tagen Forum. Und damit meint sie nicht nur die politische Verfasstheit Westeuropas, sondern auch das für den deutschsprachigen Raum typische geförderte System aus Stadttheatern und freier Szene. "Darum beneidet uns die Welt", ist auch die österreichische Bühnen- und Kostümbildnerin Lisa Überbacher überzeugt. In anderen Ländern müssten städtische Theater sehr viel kommerzieller arbeiten, es gäbe Zensur oder wie beispielsweise in Kolumbien keinerlei finanzielle Unterstützung. Wenn die Regisseurin Laura Jiménez in Bogotá inszeniert, muss sie auch das Bühnenbild bauen, sie ist außerdem Produzentin, Werberin und Geldeintreiberin. "Man kann", sagt sie, "vom Theater überleben. Aber nicht leben".

Theater anders denken

Nassim Soleimanpous "White Rabbit, Red Rabbit" ist ein Theaterstück, dass ganz ohne Bühnenbild auskommt und verspielt ein hochpolitisches Thema behandelt. Das gefällt der slowenischen Dramaturgin Urska Brodar. Kunst sei doch dafür da, Themen anders zu öffnen als das die Medien tun. "Und wir sind hier, um auch über die Mittel zu reden, wie wir das machen". Ganz ohne Konkurrenzdruck und mit viel Neugier am anderen.

Die Stipendiatin Laura Jiménez (Foto dw)
Laura Jiménez muss sich als Künstlerin auch um die Finanzierung kümmernBild: DW/Silke Bartlick

Tatsächlich ist das Internationale Forum etwas ziemlich Einmaliges: ein Freiraum nämlich, in dem Profis nicht alles wissen müssen und jede Art von Fragen stellen dürfen - wie man die Welt retten kann und Theaterarbeit mit Privatleben koordiniert, wie man ein junges Publikum begeistert, neue Formen entwickelt und Grenzen überwindet. Hier wird weiter und um die Ecke gedacht, s entstehen Netzwerke und neue, gemeinsame Ideen. "Es geht darum, etwas zu erzählen mit den Mitteln des Theaters", sagt die Kostümbilderin Lisa Überbacher. "Dafür brennen hier alle."