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Fragebogen und Menschenrechte

Naomi Conrad 9. September 2013

Vor der Bundestagswahl warten die Parteien mit umfangreichen Wahlprogrammen auf. Menschenrechtsorganisationen schauen mit sogenannten Wahlprüfsteinen genau hin - und nageln Parteien damit auf konkrete Aussagen fest.

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Checkliste mit grünem Stift (Foto: © rangizzz)
Bild: rangizzz/Fotolia

An einer Straßenlaterne in Berlin-Mitte hängt ein etwas schiefes Wahlplakat. Neben dem Slogan "Vater, Vater, Kind", lächelt ein Politiker auf die Passanten herab. Das Büro von Renate Rampf ist nur ein paar Schritte entfernt. Die Leiterin des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (LSVD) zeigt eine Liste mit roten und grünen Smileys: Sie repräsentieren die Einstellung und Gesetzesvorhaben der politischen Parteien zum Thema Rechte von Schwulen, Lesben und Transgender. So bekommt etwa die CDU einen Smiley mit heruntergezogenen Mundwinkeln ausgestellt, wenn es um Adoptionsrechte gleichgeschlechtlicher Paare geht oder die SPD einen lächelnden bei der Gleichstellung von Regenbogenfamilien.

Die Smileys basieren auf den Antworten, die die politischen Parteien auf einen Fragenkatalog des LSVD geschickt haben: Prüfsteine heißen die Kataloge, die bei den Pressestellen in den Monaten und Wochen vor Bundes- und Landtagswahlen eingehen. Bei der SPD seien bislang 713 Wahlprüfsteine eingegangen, so ein Sprecher, die alle bis zum Wahltag beantwortet werden müssen. 2009 seien es noch 675 gewesen. Wahlprüfsteine werden von unterschiedlichsten Verbänden und Organisationen - von der Deutschen Gesellschaft für Früh- und Urgeschichte bis hin zum Vegetarierbund - erstellt, um ihren Mitgliedern eine Orientierungshilfe bei der Wahl zu geben - und vergangene Versprechen einzufordern.

Renate Rampf, Sprecherin der Hirschfeld-Eddy-Stiftung Quelle: http://www.lsvd.de/980.0.html ### Diese Fotografien der Vorstandsmitglieder sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LSVD dürfen im Rahmen der Berichterstattung über den LSVD kostenfrei verwendet werden ###
Rampf: "Sinnvolles Tool"Bild: LSVD

"Jeder muss selber ein Urteil bilden"

Eine Orientierungshilfe, die bestimmt "interessanter und unterhaltsamer als die Wahlprogramme" der Parteien sei, verspricht Wenzel Michalski von Human Rights Watch. Die Menschenrechtsorganisation hat in diesem Jahr zum ersten Mal solch einen Prüfstein erstellt. Die Fragen konzentrieren sich vorrangig auf deutsche Außenpolitik - von Menschenrechtsverletzungen in China und Russland bis hin zur EU-Asylpolitik: Themen, mit denen sich Human Rights Watch in letzter Zeit intensiv beschäftigt hat, die aber nicht wirklich eine Rolle im Wahlkampf gespielt haben.

Dabei hätten Menschenrechtsverletzungen im Ausland sehr wohl auch direkte Auswirkungen auf Deutschland, erklärt Michalski. Etwa durch Flüchtlingsströme aus Ländern, "in denen Menschenrechte mit Füßen getreten werden". Zwar mag der Leiter der deutschen Sektion von Human Rights Watch auf keinen Fall eine Wahlempfehlung abgeben: Jeder Wähler müsse selbst die Antworten lesen und sich ein Urteil bilden.

Allerdings attestiert Wenzel Michalski manchen Parteien einen "ganz schönen Nachholbedarf". Oft gäbe es erschreckend kurz gedachte Antworten, die nicht immer zufriedenstellend seien. Aus anderen sei ganz klar zu sehen, dass die "eine oder andere Partei" durch Verflechtungen ihrer ehemaligen Chefs mit großen Konzernen in anderen Ländern "einfach mundtot" sei und sich zu der Menschenrechtslage in bestimmten Ländern nicht äußern könne. Dann wird er noch etwas deutlicher: "In allen Parteien gibt es einflussreiche Mitglieder, die Lobbyarbeit für das Putin-Regime machen." Allerdings, fügt er hinzu, gebe es natürlich auch Bewegungen, die den russischen Präsidenten deutlich kritisieren. Denn keine Partei sei homogen.

Wenzel Michalski, Deutschland-Direktor der NGO "Human Right Watch". (Copyright: privat)
Michalski: Möchte mit dem Prüfstein eine Debatte anstoßenBild: Wenzel Michalski

Mit Prüfsteinen die Partei "festklopfen"

Natürlich spiele es eine große Rolle, wer innerhalb der Partei tatsächlich den Fragenkatalog abarbeite, sagt auch Renate Rampf vom LSVD. "Manchmal sind die Antworten schwächer als das, was im Parteiprogramm steht." So habe die SPD etwa beim Thema Intersexualität mehr gemacht, als der Smiley wiedergebe. Allerdings gebe es auch oft positive Überraschungen: So habe die CDU/CSU signalisiert, dass sie sich weltweit und auf UN-Ebene für die Rechte von Homo- und Transsexuellen einsetzen werde. Rampf lächelt: Sie habe gemerkt, dass vor allem die Union, die etwa gegen die gleichgeschlechtliche Ehe ist, versucht habe, die Antworten so positiv wie möglich zu formulieren. Wahlkampf sei eben Werbung.

Trotzdem hält sie Prüfsteine für ein sinnvolles politisches Werkzeug: Denn Prüfsteine zu beantworten sei viel Arbeit, schließlich müssten Parteien ihr eigenes Programm sorgfältig auf bestimmte Themen durchforsten. Deshalb würden die Antworten oft nach unten delegiert - und landeten häufig in den Händen von Aktivisten innerhalb der Partei. "Es ist manchmal so, dass fortschrittlichere Kräfte in der jeweiligen Partei versuchen, über die Antwort der Wahlprüfsteine die Partei insgesamt auf etwas festzuklopfen, wozu die Partei vielleicht gar nicht bereit wäre." Der LSVD veröffentlicht seit etlichen Jahren Prüfsteine - und sie habe schon mehrmals gehört, dass es innerhalb der Partei auch mal zu Streitigkeiten wegen bestimmter Antworten gekommen sei, erklärt Rampf.

Wahlprüfsteine seien zwar ein etwas altmodisches Instrument, aber man dürfe sie nicht unterschätzen, sagt Rampf. So habe sie vor Kurzem Aktivisten in Nicaragua dazu geraten. Und auch in anderen Ländern könnten sie durchaus eine positive Rolle spielen: Selbst wenn die Befragung in Ländern wie Russland und Uganda, wo Homosexuelle verfolgt werden, vermutlich keinen einzigen positiven Smiley ergeben würde. Aber: "Man darf nicht unterschätzen, welche Rolle Kommunikation spielt."