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Ein französischer Krebsgang

Gérard Foussier9. Oktober 2002

Verständigungsprobleme unter Deutschen und Franzosen sind nicht neu. Auch Übersetzer und Dolmetscher vermögen nicht immer zu helfen. Auch nicht bei der jetzt erschienenen Übersetzung von Günter Grass, "Im Krebsgang".

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Übersetzungsproblem: Günter Grass: "Im Krebsgang"

Natürlich ist der deutsche Literatur-Nobelpreisträger so sprachschöpferisch, dass seine Aufarbeitung von Flucht und Vertreibung Deutscher am Ende des Zweiten Weltkriegs für Übersetzer an vielen Stellen problematisch ist. Aber nicht etwa die Übersetzung des ostpreußischen Dialekts oder das Spiel mit frei erfundenen Wörtern stellen unüberwindbare Hürden dar, sondern der Titel.

Ein Krebs ist nicht ein Krebs

Was wollte uns der Dichter mit seinem Krebsgang eigentlich sagen? Mit Krebs ist ein Tierchen gemeint, das sich rückwärts bewegt. Historisch eignet sich also diese Bewegung als dankbare Metapher. Aber auch die kaum heilbare Geschwulsterkrankung namens Krebs kann die heutige Abrechnung mit dem dramatischen Kapitel der deutschen Vertreibung symbolisieren - Deutschlands Weg nach vorne im Rückwärtsgang der Erinnerungen, oder "rückwärts krebsen, um voranzukommen", wie der Spiegel meinte. Günter Grass formuliert dies mit der einfach klingenden Überschrift "Im Krebsgang".

Jetzt waren die Übersetzer in 31 Ländern an der Arbeit. "En crabe", heißt es nun auf Französisch. Schade: Der französische "crabe" hat sprachlich mit der Krankheit und dem Sternzeichen Krebs des französischen Vokabulars ("cancer") nichts zu tun. Auch in der Tierwelt ist der "crabe" kein Krebs, sondern eine Krabbe. Und diese Krabbe krabbelt bekanntlich nicht rückwärts, sondern seitwärts.

Übersetzer sind Verräter

Durch diese schlechte Übersetzung kann sich der französische Leser nichts mehr unter Ver- und Aufarbeitung deutscher Geschichte vorstellen. Ein italienischer Aphorismus resümiert dies am deutlichsten: "Traduttore, traditore" - Übersetzer sind Verräter. Eins verrät der französische Krebsgang ohnehin - nämlich, dass die Franzosen, deutlicher als die Deutschen, vielleicht mehr Schwierigkeiten mit dem kritischen Rückblick haben. Denn ein französisches Wort für Vergangenheitsbewältigung gibt es im Sprachgebrauch der Franzosen ohnehin nicht.