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Politik

Ein Gesetz gegen "Sozialtourismus"

Sabrina Pabst mit dpa
12. Oktober 2016

EU-Bürger in Deutschland haben künftig erst nach fünf Jahren Aufenthalt Anspruch auf Sozialhilfe, wenn sie in Deutschland noch nie gearbeitet haben. Dies sieht ein neuer Gesetzentwurf aus dem Arbeitsministerium vor.

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Deutschland Nahles mit Gabriel im Parlament
Bild: picture alliance/Sven Simon

Der am Mittwoch beschlossene Gesetzentwurf von Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) sieht vor, dass EU-Bürger von Leistungen der Grundsicherung ausgeschlossen sind, wenn sie nicht in Deutschland arbeiten oder durch einen ehemaligen sozialversicherungspflichtigen Job Ansprüche aus der Sozialversicherung erworben haben.

Damit will Nahles ein Schlupfloch schließen, das sich ihrer Ansicht nach durch ein Urteil des Bundessozialgerichts aus dem Jahr 2015 aufgetan hat. Dieses hatte damals geurteilt, Arbeitslose aus anderen Staaten der Europäischen Union (EU) hätten einen Anspruch auf Sozialhilfe, wenn sie mindestens sechs Monate in Deutschland gelebt haben.

Andrea Nahles setze diese Hürde mit Absicht hoch, um zu vermeiden, dass EU-Ausländer durch hohe Sozialleistungen angelockt werden, lautet die Begründung aus dem Arbeitsministerium. Auf diese Weise sei sichergestellt, dass auch dauerhaft in Deutschland lebende und erwerbsfähige EU-Ausländer dem Hartz-IV-Grundsatz der verpflichtenden Integration in den Arbeitsmarkt unterlägen.

EU-Freizügigkeit bleibt unberührt

Der Europäische Gerichtshof habe mehrfach bestätigt, dass Deutschland oder andere Staaten entsprechende Regelungen treffen könnten, ohne gegen den Grundsatz der in der EU geltenden Freizügigkeit zu verstoßen. Mit der gesetzlichen Regelung solle Missbrauch und eine "gewisse Form von Sozialtourismus" verhindert werden. Besonders mit Inkrafttreten der Freizügigkeit für Rumänen und Bulgaren Ende 2014 wurde in Deutschland zunehmend über eine Begrenzung der Sozialleistungen für Nicht-Deutsche diskutiert.

Deutschland Spargelernte in Mecklenburg-Vorpommern
Viele Erntehelfer in Deutschland kommen aus dem EU-Ausland und arbeiten für NiedriglöhneBild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

Tatsächlich ist die Zahl von Sozialhilfeempfängern unter Bulgaren und Rumänen im Laufe der Jahre um rund 66 Prozent gestiegen. Dennoch liegt ihre Quote unter der von Deutschen oder anderen Ausländern, die Hartz-IV-Leistungen erhalten. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) bezogen im Januar hierzulande knapp 440.000 Menschen aus anderen EU-Staaten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II. Polnische Staatsangehörige bildeten mit rund 92.000 Leistungsbeziehern die größte Gruppe, es folgten Italiener (71.000), Bulgaren (70.000), Rumänen (57.000) und Griechen (46.000). Viele von ihnen sind Niedrigverdiener, die ihren Lohn mit Sozialleistungen aufstocken.

Kommunen fordern Reform

"Das Prinzip der Freizügigkeit von Arbeitnehmern in der EU ist richtig", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags Helmut Dedy. Das bedeute nicht, dass Zuwanderer aus anderen EU-Ländern das Sozialsystem mit den umfassendsten Leistungen aussuchen können. Beim Städtetag seien bereits aus einer Reihe von Kommunen Berichte eingegangen, dass EU-Angehörige unter Berufung auf die Urteile des Bundessozialgerichts Sozialhilfeleistungen verlangen und einklagen, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. "Wir brauchen diese Regelungen, damit wieder Rechtssicherheit entsteht und die Kommunen nicht weiter zusätzliche Sozialausgaben schultern müssen, die nach Urteilen des Bundessozialgerichtes auf sie zugekommen sind", so Dedy. Außerdem vermeide das Gesetz Fehlanreize für Zuwanderer aus anderen EU-Mitgliedsstaaten.

Neben der Sperre für fünf Jahre sieht der jetzige Entwurf vor, dass EU-Bürger für die Dauer von einem Monat einmalige Überbrückungsleistungen etwa für Essen und Unterkunft erhalten können. Denn nach der Europäischen Sozialcharta sind die Heimatländer für Existenz sichernde Sozialleistungen an ihre Bürger zuständig. Zudem können sie für die Rückreisekosten in ihr Heimatland ein Darlehen bekommen. Die Bundesregierung erwartet durch die Neuregelungen "keine nennenswerten Mehrausgaben".