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Architektur

Bauhaus-Flop: Deutsche Residenz in Argentinien

John Blau gr
4. Juli 2019

Der Architekt Walter Gropius war 85, als er beauftragt wurde, eine neue Residenz für den deutschen Botschafter in Buenos Aires zu entwerfen. Eines seiner spektakulärsten Projekte - doch gebaut wurde es nie.

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Deutschland | Argentinien | Botschaft | Buenos Aires | Modell
Architekturentwurf von Roesner: Das akzeptierte Design umfasste vier große L-förmige SäulenBild: Archivo Williams

Die Geschichte vom Bauhaus-Architekten Walter Gropius und dem Bau der deutschen Botschafter-Residenz in Argentinien ist kaum bekannt. Sie ist auch kompliziert, überschattet von politischen Intrigen, an denen die verschiedenen architektonischen Entwürfe letztendlich scheiterten.

Doch an dieser Bauhaus-Episode lässt sich zeigen, wie rigoros konzeptionell Walter Gropius, der als "Meister der Zusammenarbeit" galt, bis zu seinem Tod gearbeitet hat. Er entwickelte eine Methodik der Teamarbeit, bei der vor allem er von den Ideen und Entwürfen seiner Kollegen und Assistenten profitierte. Er gilt zwar als einer der größten Architekten der Neuzeit, konnte aber nicht gut zeichnen. 

100 Jahre Bauhaus in Harvard

Nachdem Gropius 1934 aus Nazideutschland geflohen war, lebte er zunächst drei Jahre in Großbritannien. Danach ging er nach Cambridge in Massachusetts/USA, um dort den Vorsitz an der "Graduate School of Design" zu übernehmen. Sein Umzug prägte entscheidend die Richtung, die die moderne Architektur in den USA später nehmen sollte. Im Alter von 63 Jahren wechselte Gropius dann zum Architekturbüro TAC (The Architects Collaborative), gleich neben dem Harvard-Campus.

Der kreative Einfluss von Gropius auf beide Institutionen war stark geprägt von seiner Bauhaus-Vergangenheit. Diese revolutionäre, multidisziplinäre Schule hatte er nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland gegründet - als Beitrag zur Moderne und zum international ausgerichteten Architekturstil, der sich Anfang der 1920er Jahre entwickelte.

Im Zuge des hundertjährigen Bestehens der Bauhaus-Schule wird das architektonische Erbe von Walter Gropius 2019 mit einer Reihe von Vorträgen und einer Präsentation von fast 200 Werken von 74 Künstlern in Harvard gefeiert. Dabei geht es auch um andere große Architekturprojekte des berühmten Bauhaus-Lehrers.

Entwurf für die deutsche Botschaftsresidenz

Im Dezember 1968 wechselte William Roesner, ein ortsansässiger Architekt und Absolvent des Massachusetts Institute of Technology (MIT), zum Architekturbüro TAC, eine der Top-Adressen für kreative Architekten in den USA. In Zusammenarbeit mit Gropius wurde er mit einem Entwurf für eine neue deutsche Botschafterresidenz in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires beauftragt. Roesners erster Entwurf basierte auf 16 schmalen Säulen, die das gesamte Gebäude tragen sollten. Er wurde verworfen.

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Roesners erster Entwurf der Botschafterresidenz enthielt 16 schlanke Säulen, die jedoch abgelehnt wurdenBild: Archivo Williams

Überhaupt gab es einige Probleme rund um das Botschafts-Projekt. Der Plan der deutschen Bundesregierung, die neue Residenz an der Plaza Alemania zu errichten, stieß auf wachsenden Widerstand beim Bürgermeister und bei den Stadtratsmitgliedern von Buenos Aires. Sie waren besorgt, dass die groß angelegte Struktur des Gebäudes den Blick auf den umliegenden Park verbauen könnte.

Die Aufgabe von Roesner bestand nun darin, ein weniger auffälliges Baukonzept für die zukünftige Botschaft  zu entwerfen, angelehnt an Vorentwürfe eines Kollegen. Auf Roesners ersten Entwurf, eine unterirdischen Anlage mit grünem Dach und vielen Lichtschächten, reagierte Gropius eher reserviert. "Wir wollen keinen Bunker", sagte der Maestro höflich mit seinem tiefen deutschen Akzent, den er sein Leben lang beibehalten hatte. "Wir müssen das Haus zwischen die Bäume stellen."

In dieser Zeit schien das Projekt allerdings eher an der Politik zu scheitern, als an der Designphilosophie. Und das konnte der kampferprobte Architekt Gropius in seinen späten Jahren nicht gebrauchen.

Politik gegen Architektur

Das Problem entstand bereits 1964. Damals hatten sich der deutsche Bundespräsident Heinrich Lübcke und der argentinische Präsident Arturo Illia darauf verständigt, die kleine Villa der Bundesregierung gegen eine größere, repräsentativere Liegenschaft an der Plaza Alemania im Stadtteil Palermo von Buenos Aires zu tauschen.

Zwei Jahre später wurde Illia durch einen Militärputsch von General Juan Carlos Onganía gestürzt, die Pläne für die deutsche Residenz wurden auf Eis gelegt. Inmitten dieser politischen Umwälzungen wandte sich der argentinische Architekt Amancio Williams an Gropius, um ihn für eine Kooperations-Partnerschaft zum den Bau der neuen Residenz zu gewinnen. Gropius lehnte ab, mit dem Hinweis auf hohe Arbeitsbelastung und umfangreiche Reisen.

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Williams (l.), Gropius und Cvijanovic brainstormten zwei Wochen lang jeden Tag über den Entwurf.Bild: Archivo Williams

Die Arbeit mit Gropius

Zu dieser Zeit war der hochbetagte Architekt gerade damit beschäftigt, die neue Universität in Bagdad - sein in vielerlei Hinsicht ehrgeizigstes Projekt - und das Bauhaus-Archiv in Berlin zu entwerfen. Seine früheren Erfahrungen mit dem Militärputsch im Irak könnten ein Grund für seine anfängliche Zurückhaltung gewesen sein. Erst als sich die Bundesregierung 1968 direkt an ihn wandte, erklärte er sich bereit, den Auftrag anzunehmen - in Zusammenarbeit mit seinem Kollegen Williams.

Im November 1968 verbrachten Gropius und sein engster Mitarbeiter Alexander Cvijanovic zwei Wochen in Buenos Aires, um mit ihren argentinischen Mitarbeitern die Ideen für die Residenz zu besprechen. Zurück am Reißbrett entwarf Roesner dann jenes Gebäude mit großzügigen Räumen, die auf 16 schlanken, 10 Meter hohen Säulen thronten und einer Empfangshalle, die sich unter der Erde befand, um einen unverstellten Blick auf den Park zu ermöglichen.

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Architektonischer Entwurf von Roesner mit Blick auf den HaupteingangBild: Archivo Williams

Ein Prozess ständiger Optimierung: Walter Gropius traf sich mit Roesner über einen Zeitraum von vier Monaten einmal pro Woche zu einer 10 bis 15-Minütigen Besprechung an dessen Arbeitstisch. "Es war immer so, dass ich aufsprang, er dann meinen Platz einnahm und ich auf seiner linken Seite stand", erinnert sich Roesner.

"Er hatte normalerweise eine Zigarre, und ich kann mich daran erinnern, wie er in Rauchwolken mit dem Finger auf die Veränderungen zeigte, die er wollte. Er sprach seine Ideen gleich aus, es gab nie Gekritzel." Seine Korrekturen brachte Gropius nicht zu Papier.

"Ich kann keine gerade Linie ziehen" 

Gropius' Zeichentalent war sehr begrenzt. Diese Schwäche hatte ihn bereits beunruhigt, als er noch neben Mies van der Rohe und Le Corbusier im renommierten Büro des Berliner Architekten Peter Behrens gearbeitet hatte, der wegweisende Entwürfe zu Papier brachte.

In einem Brief an seine Mutter Meldina, den er seinem Biographen Reginald Isaacs überlassen hat, schrieb Gropius: "Meine völlige Unfähigkeit, das Einfachste auf Papier zu zeichnen, ist sehr entmutigend, und ich schaue oft traurig auf meinen zukünftigen Beruf. Ich kann keine gerade Linie ziehen."

Bauhaus-Klassiker neu interpretiert

Vielleicht verließ sich der Architekt zu Beginn seiner Karriere - aus der Not heraus - auf die Zusammenarbeit mit anderen, die er später zu einer "Kunstform" machte. Kreative Teamarbeit wurde zum Leitmotiv dieses Mannes, der viele Ideen hatte, aber nicht immer die Mittel, um sie zu veranschaulichen.

"Jeder möchte ihn als einen der größten Designer der Welt sehen, aber er war es nicht. Er war einer der größten [Design-] Philosophen der Welt", sagte Sally Harkness, Mitbegründerin des renommierten Architekturbüros TAC einmal über Walter Gropius.

Auf der Zielgeraden zur Residenz

Gropius mochte Roesners erste Skizzen, bestand jedoch auf zwei wesentlichen Änderungen: vier große L-förmige Säulen anstelle mehrerer dünner Säulen und ein Fries, der wie ein ornamentales Band den unteren Teil des Gebäudes umranden sollte.

"L-förmige Säulen waren ein ästhetischer Aufruf, der den architektonischen Trend zum Brutalismus zu dieser Zeit widerspiegelte. Ich wollte einen eher eleganteren, strukturelleren Ausdruck", erinnerte sich Roesner. Die Idee, die oberen Wohnräume von Bäumen umgeben zu verstecken, stammte ursprünglich von Amancio Williams. Er hatte auf einem Waldstück für seinen Vater Alberto, einen prominenten Musiker und Komponisten, ein ähnliches Haus entworfen, das sich auf Säulen über einen Bach spannte.

Deutschland | Argentinien | Botschaft | Buenos Aires William Roesner, Architekt
TAC-Architekt William Roesner überprüft nochmal seine damaligen Entwürfe für die Residenz des BotschaftersBild: John Blau

Ein Projekt zum Scheitern verurteilt

Das endgültige Design der deutschen Botschaftsresidenz - eine Zusammenarbeit von Williams, Gropius und Roesner - sorgte in der internationalen Presse und in der Architekturbranche für Aufsehen. Die Opposition gegen die Umgestaltung der Plaza Alemania war noch schärfer geworden. Der Modernisierungaufschwung ließ schnell nach, erst recht nach dem plötzlichem Tod von Walter Gropius im Juli 1969.

Williams setzte sich erst 1971 wieder dafür ein, das Projekt mit dem neugewählten argentinischen Präsidenten Alejandro Agustín Lanusse weiter voranzutreiben. Der hatte Interesse gezeigt, doch ein Jahr später gab die Bundesregierung den Plan ganz auf. Dem neuen deutschen Botschafter Luitpold Werz hatte das extrem moderne Design sowieso nicht gefallen.

Und damit endete die Geschichte um das, was Cvijanovic, enger Mitarbeiter von Gropius, als "möglicherweise das schönste Gebäude" bezeichnete, das unter der Leitung des verstorbenen Bauhaus-Professors Walter Gropius entworfen wurde.

Die Ausstellung "Das Bauhaus und Harvard" läuft in den USA noch bis zum 28. Juli 2019 und ist in der Galerie des Harvard Kunst Museums in Cambridge, Massachusetts, zu sehen.