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Ein Handschlag - ein Brückenschlag?

Thomas Bärthlein3. Januar 2002

Vor dem Südasiengipfel in Nepal und der Reise des britischen Premiers Tony Blair nach Indien und Pakistan ist im Kaschmir-Konflikt weder Kriegsangst noch Friedenseuphorie angebracht. Ein Kommentar von Thomas Bärthlein.

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Eine Atommacht droht der anderen mit Krieg - und als die Außenminister sich in Kathmandu begegnen, schütteln sie sich lächelnd die Hände. Indien und Pakistan tauschen routinemäßig, wie jedes Jahr, die Listen ihrer Atomanlagen aus, die im Kriegsfall nicht bombardiert werden dürfen - eine vertrauensbildende Maßnahme also.

Gleichzeitig geht das Artilleriefeuer an der Demarkationslinie
in Kaschmir weiter. Der internationale Beobachter reibt sich
verwundert die Augen: Steht Südasien nun vor einem Atomkrieg, oder befinden sich Indien und Pakistan schon wieder auf Entspannungskurs?

In Wirklichkeit besteht zu beidem - zu Kriegangst wie
Friedenseuphorie - wenig Anlass. Denn hinter den großen
diplomatischen Gesten verbirgt sich ein Gezerre um kleine
Zugeständnisse und Vorteile. Das hat viel damit zu tun, dass der Streit um Kaschmir so alt ist - er besteht nämlich seit 1947 -, und dass es so wenig Bewegung gibt.

So fest gefahren ist er, dass sich indische und pakistanische Unterhändler bei Treffen in den letzten Jahren nicht einmal über eine Tagesordnung verständigen konnten: Pakistan will am liebsten vor allem - oder nur - über Kaschmir reden, Indien dagegen über alle möglichen Themen und zuletzt - vielleicht - über Kaschmir. Indien will auch - wenn überhaupt - über Kaschmir nur mit der pakistanischen Regierung sprechen, während Pakistan seit Jahrzehnten versucht, den Konflikt auf einer internationalen Ebene zu verhandeln, zum Beispiel im Rahmen der Vereinten Nationen. Zum eigentlichen Kernpunkt - soll Kaschmir zu Indien oder zu Pakistan gehören oder gar unabhängig werden? - dazu sind die Verhandlungen in 54 Jahren nicht vorgedrungen.

Pakistan hat es auch nicht geschafft, den Status Quo in Kaschmir durch Kriege zu verändern. Der Status Quo, das heißt: Der ehemalige Fürsten-Staat Jammu und Kaschmir ist seit 1947 geteilt, wobei das zentrale Kaschmir-Tal mit seiner mehrheitlich muslimischen Bevölkerung auf der indischen Seite ist. Das hat Pakistan nie verwunden. DER Staat der südasiatischen Muslime - so Pakistans Selbstverständnis - war ohne Kaschmir einfach unvollständig. "Pakistan" heißt übersetzt "das Land der Reinen" - aber man kann es auch als eine Art Abkürzung für die Provinzen des Landes lesen: "Pa" für Panjab zum Beispiel, "K" steht für Kaschmir.

Nachdem Kaschmir also nicht zu erobern war, hat sich Pakistan seit 1989 darauf verlegt, kaschmirische Separatisten militärisch und politisch zu unterstützen. Und hat dabei in den letzten Jahren immer mehr auf terroristische Gruppen mit Kontakten zu Bin Laden und den Taliban gesetzt.

Alle Berichte der letzten Tage deuten nun darauf hin, dass es der pakistanischen Regierung wirklich ernst ist mit einer Abkehr von diesem islamistischen Abenteuer. Offiziell werden die Verhaftungen von Terroristen in Islamabad mit Befürchtungen über die innere Sicherheit begründet. Das ist gar nicht so falsch: Die Taliban sind ja nicht in Afghanistan entstanden, sondern in diesem islamistischen Milieu in Pakistan. Auf Dauer kann die große Mehrheit der gemäßigten Kräfte im pakistanischen Establishment nicht die Auseinandersetzung mit den Extremisten meiden.

Indien kann Islamabads Vorgehen gegen Terroristen jetzt als einen ersten Erfolg verbuchen. Aber eben nur als einen kleinen Erfolg. Dem Frieden in Kaschmir stehen noch ganz andere Hindernisse im Weg: zum Beispiel eine halbe Million indische Sicherheitskräfte im Kaschmir-Tal, die viele dort als Besatzungsmacht empfinden.

Insofern bleibt auch internationale Vermittlung gefragt: kein "Feuerwehr-Einsatz", der einen Atomkrieg verhindert, sondern Bemühungen um dauerhafte Entspannung in der Region. Dass US-Präsident George W. Bush jetzt den britischen Premierminister Blair gebeten hat, die Mittler-Rolle zu übernehmen, ist ein gutes Zeichen.

Kommentatoren aus Südasien wundern sich in diesen Tagen über Panikmache in den westlichen Medien. Indien und Pakistan seien doch "verantwortungsbewusste" Atommächte. Mag sein. Mag auch sein, dass mancher westliche Journalist zu leichtfertig mögliche Kriegs-Szenarien ausmalt.

Aber Tatsache ist auch, dass es nur wenige vertrauensbildende Maßnahmen zwischen Indien und Pakistan gibt, die eine ungewollte Eskalation verhindern helfen. Die Möglichkeiten reichen von "roten Telefonen" bis zu effektiv überwachten Waffenstillständen an der
Demarkationslinie. Hier wäre internationale Vermittlung hilfreich.

Außerdem bleibt die Frage nach dem Status Kaschmirs offen. Da die verfeindeten Brüder über die Jahrzehnte nicht weitergekommen sind, sollte Indien sein Mauern gegen internationale Vermittler auch in diesem Punkt aufgeben. In Pakistan hat ein Umdenken eingesetzt; jetzt sollte sich auch Neu-Delhi bewegen.