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Politik

Ein Hilferuf per App

Victoria Dannemann
6. Oktober 2019

In Lateinamerika gibt es kostenlose Apps, die über eine Panikfunktion verfügen, um ausgewählten Kontakten oder der Polizei einen Hilferuf zu senden. Damit sollen sich besonders Frauen besser schützen können.

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Symbolbild | Businessfrau hält Smartphone
Bild: picture-alliance/dpa/PhotoAlto

Über 2300 Frauen wurden in Lateinamerika nach den Angaben der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) 2018 getötet. Und unter den 25 Ländern mit der höchsten Rate an Femiziden finden sich laut Angaben von UN Women allein 14 aus Lateinamerika. Angesichts dieser Situation suchen Frauen nach Mitteln und Strategien, um sich selbst zu schützen.

Obwohl viele lateinamerikanische Länder in den letzten Jahren Gesetze verabschiedet haben, die geschlechtsspezifische Gewalt und Belästigung auf der Straße oder am Arbeitsplatz unter Strafe stellen, ist die Region laut den Vereinten Nationen nach wie vor eine der gefährlichsten für Frauen weltweit. Die höchste Femizidrate der Welt hat El Salvador mit 6,8 Frauenmorden pro 100.000 Einwohner, gefolgt von Honduras mit einer Quote von 5,1.

"Eine Studie der argentinischen NGO für Frauenrechte 'Ahora que sí nos ven' besagt, dass 90 Prozent der Frauen in öffentlichen Verkehrsmittel oder Taxis ihr Smartphone nutzen, um mit Bekannten in Verbindung zu bleiben", erklärt Damaris Ruiz, Koordinatorin für Frauenrechte bei der lateinamerikanischen Sektion von OXFAM, im Gespräch mit der DW.

Auch mobile Smartphone-Anwendungen können Frauen vor möglicher Gewalt schützen. "In Lateinamerika und der Karibik sind eine Vielzahl von Apps für Frauen entstanden, die sich weit verbreitet haben. Es gibt auch einige Regierungen, die sich an der Entwicklung beteiligt haben - nachdem feministische Organisationen eine Lösung eingefordert hatten", bekräftigt die Expertin.

Technische Helfer

In mehreren lateinamerikanischen Ländern gibt es mittlerweile kostenlose mobile Anwendungen, die über eine Paniktaste verfügen, um ausgewählten Kontakten oder anderen Nutzern die sich in der Nähe befinden, einen Hilferuf zu senden. Die App sendet die Geodaten und die Empfänger können schnellstmöglich an den Ort kommen, wo die gefährdete Frau sich befindet und ihr helfen.

Straße in Bogotá
In Bogotá hilft die Anwendung SafetiPin, Viertel und Straßen zu lokalisieren, die für Frauen sicherer sind.Bild: DW

Es gibt mehrere Apps, die nach dieser Methode arbeiten, wie zum Beispiel No More (Spanien), We Help (Mexiko), Botón de Pánico Ni una menos (Argentinien), #NiUnaMenos (Peru) und Antonia (Chile). Eine weitere ähnliche App ist No estoy sola, die vom Amt für Frauenrechte der Stadt Juarez entwickelt wurde und in ganz Mexiko verbreitet ist. Smartphones, auf denen diese App installiert ist, müssen nur geschüttelt werden, um den Alarm zu aktivieren. "Oftmals gibt es Situationen, in denen keine Zeit bleibt, um eine Nachricht zu schreiben", sagt Ruiz.

Einen anderen Weg, das Auslösen des Alarms zu erleichtern, wurde bei der App Mujer Segura Alerta Rosa (Mexiko) gefunden: Nutzerinnen tragen ein Armband mit einem Panikknopf, der das Signal an eine Polizeistelle sendet. Diese Art des Hilferufs setzt bei den Frauen aber ein grundsätzliches Vertrauen in die lokalen Polizeikräfte voraus, was nicht in allen Ländern Lateinamerikas selbstverständlich ist. Beispielsweise in Mexiko gab es in jüngster Vergangenheit Vergewaltigungsfälle durch Polizeibeamte. 

Einige Apps versuchen darüber hinaus weitere Hilfestellung zu leisten. So gibt es Apps, die einen vertraulichen Weg herstellen, um eine Anzeige zu erstatten, Informationen zu geschlechtsspezifischer Gewalt anbieten und den Zugang zu rechtlicher und psychologischer Beratung ermöglichen. Beispiele hierfür sind Junt@s (Peru), Ellas App (Kolumbien, Mujer Alerta (Mexiko) und SofiApp (Kolumbien).

"Diese Anwendungen dienen nicht nur dazu, den aktuellen Standort zu teilen und bei einer Gefährdung eine Nachricht zu senden, sondern finden auch Wege, die Lücke in der Berichterstattung und den Maßnahmen der Justiz zu schließen", stellt Damaris Ruiz fest.

Sichere Viertel markieren

Mit der App Vive segura (Mexiko-Stadt) können Frauen Belästigungen in öffentlichen Verkehrsmitteln oder an öffentlichen Orten direkt zur Anzeige bringen. Eine indische App namens SafetiPin hat eine ähnliche Funktion, gibt aber zudem den Nutzerinnen die Möglichkeit, Stadtteile und Straßen auf einer Karte als sicher oder unsicher zu markieren. SafetiPin gibt es auch in Kenia und seit 2014 auch in Bogotá, Kolumbien.

"Wir haben festgestellt, dass es bei der Gewalt gegen Frauen Variablen gibt, die von enormer Bedeutung sind - wie zum Beispiel die mangelnde Präsenz von Sicherheitskräften in dunklen Umgebungen, und dass nachts in Bogotá hauptsächlich Männer unterwegs sind. Von zehn Personen sind neun Männer", sagt Carlota Alméciga, ehemalige Leiterin der Abteilung Wissensmanagement in der Stadtverwaltung von Bogotá. In vielen Großstädten Lateinamerika mangelt es aufgrund von Missmanagement, Korruption und mangelnder Finanzierung an Polizeikräften. 
 

Überfüllter S-Bahn in Buenos Aires
Horror für viele Frauen: Eine überfüllte S-Bahn in Buenos Aires.Bild: Eilis o'Neil

Mit deutscher Unterstützung durch die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) geht nun die zweite Phase zu Ende, in der die Abdeckung des gesamten Stadtgebiets innerhalb von SafetiPin ermöglicht wurde. "Die Karten sind öffentlich zugänglich und ermöglichen den Frauen, sichere Wege in ihrem Umfeld zu wählen", erklärt Alméciga.

Transportmittel für Frauen

Die Applikation Laudrive in Mexiko, sowie Sara Ladies & Teens in Argentinien, bieten eine Art Uber-Service mit Frauen am Steuer für weibliche Fahrgäste an. "Dieser Service bietet Sicherheit, Komfort und Ruhe für beide Seiten: Schon vor der Reise wissen sowohl Fahrerin als auch die Kundin, mit wem sie fahren werden", sagt Felipe Martínez, Chef von Sara LT, gegenüber der DW. Der Fahrdienst für Frauen wird demnächst in Kolumbien und Mittelamerika starten, Peru und Uruguay sollen folgen. Wie hilfreich diese App ist zeigen Zahlen aus Argentinien: 14 Prozent der Frauen geben in einer Studie der NGO 'Ahora que sí nos ven' an, dass sie sich mitunter von Fahrern belästigt fühlen.

Für diejenigen die kein mobiles Internet haben, sind die Möglichkeiten eingeschränkter. Nach Ansicht der OXFAM-Expertin Damaris Ruíz ist die digitale Kluft in vielen Ländern Lateinamerikas noch sehr groß.

Frauen greifen in diesem Fall auf einfache Strategien und Empfehlungen zurück: Niemals alleine unterwegs sein, das Nummernschild des Taxis merken, während der Fahrt mit einem Freund oder einer Freundin telefonieren. Jede Vorsichtsmaßnahme ist wichtig, wenn es um die eigene Sicherheit geht.