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"Historischer Augenblick"

22. Juli 2008

Die Festnahme Radovan Karadzics wird international gewürdigt. Der beabsichtigte EU-Beitritt Serbiens bleibt dennoch umstritten. Noch sind nicht alle mutmaßlichen Kriegsverbrecher hinter Gittern.

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Trotz Tarnung mit Rauschebart gefasst: Radovan Karadzic (Quelle: AP)
Trotz Tarnung mit Rauschebart gefasstBild: AP

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat die Festnahme des ehemaligen bosnischen Serbenführers und mutmaßlichen Kriegsverbrechers Radovan Karadzic als gute Nachricht für die gesamte Balkan-Region begrüßt. "Dies ist ein historischer Augenblick. Die Opfer dürfen wissen: Massive Menschenrechtsverletzungen bleiben nicht ungestraft", erklärte die Kanzlerin am Dienstag (22.07.2008) in Berlin. Dem jugoslawischen Präsidenten Boris Tadic bescheinigte Merkel, mit "diesem mutigen Schritt die europäische Berufung Serbiens unterstrichen" zu haben.

Karadzic-Festnahme Ticket in die EU?

Jubel in Sarajewo nach der Verhaftung (Quelle: AP)
Jubel in Sarajewo nach der VerhaftungBild: AP

Die Europäische Union hatte die Kooperation Serbiens mit dem UN-Tribunal in Den Haag zur Voraussetzung für Beitrittsverhandlungen gemacht. EU-Erweiterungskommissar Olli Rehn sagte am Dienstag am Rande eines Treffens der EU-Außenminister in Brüssel: "Meiner Ansicht nach sollte dies Auswirkung auf die Beziehungen zwischen Serbien und der EU haben". Die Frage, ob das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) zwischen Serbien und der EU nun in Kraft treten könne, wollte er aber nicht genauer beantworten: "Wir müssen jetzt die nächsten Schritte in der europäischen Ausrichtung Serbiens besprechen."

Serbien hatte das Abkommen mit der EU Ende April 2008 unterzeichnet. Dieses tritt jedoch nur bei einer "vollständigen Zusammenarbeit" Belgrads mit dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Kraft. EU-Chefdiplomat Javier Solana zeigte sich zuversichtlich, dass das UN-Tribunal die volle Zusammenarbeit bald feststellen werde.

Der deutsche Außenminister Steinmeier und andere EU-Vertreter zeigten sich ebenfalls erleichtert wegen der Festnahme, blieben aber zurückhaltend gegenüber einer schnellen Annäherung an Serbien. Der französische Außenminister Bernard Kouchner, dessen Land derzeit den EU-Vorsitz innehat, sprach zwar von einer "neuen Seite" in den Beziehungen mit Serbien. Er verwies jedoch darauf, dass Karadzics frühere rechte Hand, Ratko Mladic, weiter auf freiem Fuß sei. Auch Steinmeier äußerte die Hoffnung, dass Serbien "weiter nach Kriegsverbrechern sucht".

Serbien will in die EU - und das Kosovo behalten

Serbiens Außenminister Vuk Jeremic bezeichnete die Verhaftung als Teil einer "sehr ehrgeizigen europäischen Tagesordnung" der serbischen Regierung. "Wir haben das gestern demonstriert: Wir wollen Mitglied der EU sein", sagte er am Dienstag am Rande des EU-Außenministertreffens. Die neue serbische Regierung sei "der Stärkung des internationalen Rechts sehr verpflichtet": "Sowohl was unsere Zusammenarbeit mit dem Tribunal in Den Haag angeht, als auch was die Verteidigung unserer Souveränität über das Kosovo betrifft."

USA: passender Zeitpunkt

Die US-Regierung erklärte, den Opfern der Kriegsgräuel in Bosnien während der 90er Jahre könne am Besten gehuldigt werden, indem die Schuldigen zur Verantwortung gezogen würden. Der Zeitpunkt der Verhaftung nur wenige Tage nach der Gedenkfeier für die mehr als 7000 Opfer des Massakers in Srebrenica sei "besonders passend". Ein "großer Verbrecher" sei "von der öffentlichen Bühne entfernt" worden, sagte der frühere US-Balkanbeauftragte Richard Holbrooke.

Die Regierung Großbritanniens würdigte die Festnahme als wichtigen Schritt zur Überwindung der Kriegsfolgen auf dem Balkan. "Diese Verhaftung wird helfen, ein Jahrzehnt von Konflikten in der Region zu beenden", sagte Außenminister David Miliband am Dienstag.

Feiern in Bosnien, Protest in Belgrad

Duo Infernale: Radovan Karadzic und Ratko Mladic (Quelle: dpa)
Duo Infernale: Radovan Karadzic und Ratko MladicBild: AP

Nach Ansicht des muslimischen Vertreters im bosnischen Staatspräsidium, Haris Silajdzic, stärkt Karadzics Verhaftung das "Vertrauen in die Justiz. Auch die Organisation "Mütter von Srebrenica" begrüßte die Festnahme. Damit werde den Opfern des Massakers von Srebrenica "endlich Gerechtigkeit getan", sagte Kada Hotic, eine der Sprecherin der Organisation. In Srebrenica feierten dutzende Muslime die Nachricht auf den Straßen. Auch in der Hauptstadt Sarajevo gab es zahlreiche Freudenkundgebungen.

In Belgrad hatten sich in der Nacht nach der Festnahme Dutzende Anhänger von Karadzic vor dem Gerichtsgebäude versammelt, in dem er dem Untersuchungsrichter vorgeführt wurde. Mehrere Anhänger wurden festgenommen, nachdem sie auf Reporter losgegangen waren. Karadzic wird von vielen Serben immer noch als Patriot verehrt.

War Karadzic vom Staat gedeckt worden?

Karadzic war der meistgesuchte mutmaßliche Kriegsverbrecher des Balkankonflikts. Der ehemalige Präsident wurde vom Internationalen Gerichtshof in Den Haag vor allem wegen des Massakers in Srebrenica gesucht, bei dem 1995 etwa 8000 Muslime ermordet wurden. Das Massaker ist das schwerste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Karadzic ist wegen Völkermords, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 angeklagt. 1997 tauchte er unter. Nach Darstellung des UN-Tribunals ist der Psychiater ebenso wie sein Militärkommandant Ratko Mladic von Helfershelfern in der serbischen Armee, in der Politik und im Geheimdienst gedeckt worden. (leix)