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Ein Jahr erster Militärrabbiner

21. Juni 2022

Zsolt Balla ist seit einem Jahr der erste Militärbundesrabbiner in der deutschen Geschichte. Er kümmert sich um ethische Unterweisung und koschere Verpflegung. Aber vor allem will er Seelsorger sein.

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Zsolt Balla wird erster Militärbundesrabbiner
Bild: Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/ZB/dpa/picture alliance

"Bis ich neun Jahre alt war, hatte ich keine Ahnung, dass ich jüdisch bin", erzählt Zsolt Balla. Heute ist der 43-Jährige schon seit 13 Jahren orthodoxer Rabbiner. Seit einem Jahr baut der gebürtige Ungar, der 2002 nach Deutschland kam, als erster Militärbundesrabbiner die jüdische Seelsorge bei der Bundeswehr auf.

"Zusammenzugehen, zusammen eine Zukunft aufzubauen - das ist die Aufgabe der jüdischen Militärseelsorge", sagt Balla. Dabei habe das Judentum "sehr viel zu geben". Das gelte "nicht nur für jüdische Soldaten, sondern für jeden Soldaten". Die Seelsorger sollten für jeden Angehörigen der Bundeswehr da sein, der ein Gespräch wünsche. Mit dieser Grundhaltung steht er für das neue jüdische Leben in Deutschland. Er ist einer der beiden ersten in Deutschland ausgebildeten orthodoxen Rabbiner nach 1938, die im Land ordiniert wurden.

Wie viele Juden gibt es in der Bundeswehr?

Dabei ist die Zahl der Bundeswehr-Angehörigen jüdischen Glaubens nicht bekannt. Seit langem spricht das Verteidigungsministerium offiziell von rund 300 jüdischen Soldaten. Lange vor der Amtseinführung des ersten Militärrabbiners zweifelte die Zeitung "die tageszeitung" diese Zahl durchaus begründet an. Denn niemand kann die Zahl der Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland halbwegs genau beziffern. Das eine ist die Zahl derer, die offiziell Mitglieder einer jüdischen Gemeinde sind. Das andere sind jene, die in ihrer Familie vielleicht keine oder kaum mehr bekannte religiösen Bindungen erlebt haben oder die sich keiner Gemeinde anschließen.

Dazu passt Ballas eigener Weg. Als Kind in Ungarn las Balla gern die Bibel, aber die "extended version", wie er bei einem Besuch der Bundeswehr-Universität Ende Mai sagte, die christliche Bibel mit Altem und Neuem Testament. Sie sei sein Lieblingsbuch gewesen. Als er mit neun Jahren seiner Mutter verkündete, er wolle zur religiösen Unterweisung in die christliche Bibelschule gehen, begann diese mit dem Sohn das Gespräch und berichtete von der jüdischen Geschichte der Familie. Einer jüdischen Familie ohne gelebte religiöse Tradition. 

Vor 20 Jahren, am 20. Juni 2002, kam Balla als studierter Ingenieurwissenschaftler nach Deutschland, "eigentlich nur für ein Wochenende" in einer jüdischen Einrichtung. Er habe bis dahin ein "absolut stereotypes Bild" von jüdischem Leben in Deutschland gehabt, sagt er. "Und plötzlich traf ich junge Menschen, gut ausgebildet. Und in ihrer Freizeit engagierten sie sich in jüdischem Lernen."

Bald zehn Militärrabbiner

Nun leistet der Sohn eines einstigen Artillerie-Kommandeurs der ungarischen Volksarmee seit einem Jahr Aufbauarbeit für weitere Rabbiner. Irgendwann sollen zehn orthodoxe oder liberale Geistliche an Standorten als Ansprechpartner zur Verfügung stehen und zudem auch sogenannten Lebenskundlichen Unterricht geben, den die Bundeswehr für Soldatinnen und Soldaten als ethische Qualifizierung vorsieht. Balla bewertet die Etablierung der jüdischen Militärseelsorge durch einen Staatsvertrag der Bundesregierung mit dem Zentralrat der Juden Ende 2019 und seine Einführung als erster Militärbundesrabbiner als "große historische Veränderung". Er spricht von "ungeheurer Dankbarkeit, in einem Land leben zu dürfen, das sich seiner Vergangenheit gestellt hat".

Erster Militärrabbiner eingeführt - Zsolt Balla und Annegret Kramp-Karrenbauer
Balla (rechts) bei seiner Amtseinführung mit der damaligen Verteidigungsministerin Annegret Kramp-KarrenbauerBild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

In der Tat war seine feierliche Amtseinführung am 21. Juni vorigen Jahres einer der großen, auch bildstarken Momente des Festjahres "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland", das an diesem Donnerstag zu Ende geht. Die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, hohe Repräsentanten der Bundeswehr, die Spitze der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland, die Militärbischöfe der großen Kirchen nahmen damals an der Feier in Leipzig teil. Seitdem erhält der Rabbiner auch als offizieller Repräsentant zahlreiche Einladungen.

Derzeit beschäftigt sich Balla, der auch jüdischer Gemeinderabbiner in Leipzig ist, nach eigenem Bekunden derzeit "viel mehr mit nichtjüdischen Soldaten. Aber die Zeit kommt, da werden wir uns hauptsächlich um jüdische Soldaten kümmern." Er hoffe, dass die Aufbauphase der Militärseelsorge "sehr schnell" gehen werde. Und er spürt jetzt schon, wie häufig ihn Soldatinnen unabhängig davon, ob sie eine religiöse Bindung haben, mit ethischen Fragen ansprechen.

Bald nach dem russischen Angriff auf die Ukraine positionierte sich Balla bei der Bewertung militärischer Gewalt. Für das Judentum, erörterte er in der "Jüdischen Allgemeinen", stehe "der Schutz des Lebens über allem – auch über dem Frieden". Dazu könne der Einsatz von Waffen gehören. Und er zitierte den Schoa-Überlebenden Rabbiner Gábor Lengyel: "Wir deuten das 'Nie wieder' unterschiedlich: Viele Nichtjuden meinen 'Nie wieder Krieg', Juden hingegen meinen 'Nie wieder Vernichtung'." 

Internationale Vernetzung der Rabbiner

In München gibt es bereits einen weiteren, übrigens nicht orthodoxen Militärrabbiner, in Hamburg wird wohl in Kürze ein Kollege folgen. Ein konkretes Beispiel für die anstehenden Aufgaben ist die Sorge um die Versorgung jüdischer Soldaten im Auslandseinsatz mit Lebensmitteln, die nach den jüdischen Speisegesetzen erlaubt sind. Wer das für schwierig hält: Die US-Armee versorgt alle ihre Soldaten im Ausland mit "koscherer" Verpflegung. Bei der Vollversammlung der Europäischen Rabbinerkonferenz Anfang Juni in München saß der deutsche Vertreter mit Kollegen aus mehreren Ländern, auch aus den USA, zusammen.

Deutschland Charlotte Knobloch und Zsolt Balla in der Hochschule der Bundeswehr in München
Rabbiner Balla mit der Rektorin der Universität der Bundeswehr in München, Merith Niehuss, der früheren Präsidentin des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, und dem Religionswissenschaftler Robert Langer (v.r.n.l.) Bild: Universität der Bundeswehr München/Siebold

Das passt dazu, dass sich Balla vor allem als Seelsorger versteht. Er sei nicht für Antisemitismusbekämpfung oder politische Bildung in der Truppe zuständig, sondern für Seelsorge an Juden und Jüdinnen in der Truppe.

Balla sagt übrigens auch, dass er für Imame in der Bundeswehr sei - "unbedingt". Über das technische Regelungsmöglichkeiten dafür wisse er aber nichts zu sagen. Die Muslime seien in Deutschland anders organisiert als die Juden. Ihm sei es aber selbst schon passiert, das ein muslimischer Soldat mit ihm das seelsorgerliche Gespräch gesucht habe. Nach wie vor hat die Bundesregierung keine Regelung erreicht, die besonders die geistliche Versorgung muslimischer Soldaten vorsieht.