1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Ein Klavier, ein Klavier!

Ingun Arnold30. Oktober 2002

Musikinstrumentenbau hat in Deutschland Tradition. Doch immer weniger Instrumente werden im Inland verkauft: Die Exportquote beträgt bis zu 70 Prozent. Auf den heimischen Markt drängt dagegen die Konkurrenz aus Fernost.

https://p.dw.com/p/2lu8
(Hand-)Made in GermanyBild: Heinz J. Kalscheuer

In Deutschland gibt es etwa ein Dutzend namhafte Klavierhersteller – alles Familienbetriebe, die bereits in dritter oder vierter Generation Tasteninstrumente bauen. Vieles ist nach wie vor Handarbeit.

Nur ein Unternehmen – die Berliner Firma Bechstein – ist an der Börse notiert. "Die Modelle bleiben jahrzehntelang gleich. Es gibt keine Wechsel wie in der Automobilbranche", erläutert Heinz-Dieter Schmitz, Obermeister der Musikinstrumentenmacher-Innung Nordrhein & Westfalen/Süd. "Auch, wenn es paradox klingt: Deutsche Hersteller behaupten sich gerade wegen ihrer niedrigen Produktionszahlen. Was hergestellt wird, wird auch verkauft."

Eingeschlagene Stimmnägel
Blick auf die Stimmnägel eines FlügelsBild: Heinz J. Kalscheuer

Dabei hat es der Klavierfachhandel in Deutschland mit eigenwilligen Kunden zu tun. "Der Trend geht zum hochwertigen Spitzenfabrikat – oder zum Einsteigermodell. In jedem Fall weg von der Mittelklasse", berichtet Christian Blüthner, Geschäftsführer der Julius Blüthner Pianofortefabrik in Leipzig und Vorsitzender des Fachverbands der Deutschen Klavierindustrie, im Gespräch mit DW-WORLD. Trotz Wirtschaftsflaute werden hohe Summen in die Hausmusik investiert: Ein Klavier aus dem "Topsegment" kostet um die 20.000 Euro. Ein "preiswertes" Instrument gibt es ab 3000 Euro, die so genannte Mittelklasse für 10.000 bis 15.000 Euro.

Das Klavier als Exportschlager

Amerika und Westeuropa sind traditionell starke Abnehmer für Musikinstrumente aus Deutschland. "Diejenigen Hersteller, die international vertreten sind, haben nach wie vor eine 'gesunde kaufmännische Bilanz‘. Diejenigen, die sich nur aufs Inlandsgeschäft in Deutschland konzentrieren, haben dagegen zu kämpfen", blickt Christian Blüthner auf das laufende Geschäftsjahr zurück.

Der größte Wachstumsmarkt liegt derzeit in Osteuropa und Asien. Schätzungen zufolge liegt allein in China der Bedarf an Klavieren bei 500.000 pro Jahr. Obwohl die europäischen Instrumente wegen der Einfuhrzölle von 45 Prozent sehr teuer sind, steigt die Nachfrage. So hat die deutsch-amerikanische Firma Steinway im vergangenen Jahr bereits 150 Flügel nach China exportiert – zu einem durchschnittlichen Preis von 40.000 Euro.

Vom großen Instrumenten-Kuchen will auch Yamaha etwas abhaben: Das Unternehmen mit Stammsitz im japanischen Hamamatsu ist der weltgrößte Hersteller von Musikinstrumenten. Yamaha setzt vor allem auf Süd- und Osteuropa – auch, wenn sich dort bislang kaum einer ein neuwertiges Instrument leisten kann.

Klaviere aus dem Großkonzern

Neue Saiten aufziehen
Vieles im traditionellen Klavierbau ist HandarbeitBild: Heinz J. Kalscheuer

Geigen, Bratschen, Celli, Flöten, Klarinetten und Oboen, dazu Tasteninstrumente aller Art – es gibt so gut wie kein Instrument, das Yamaha nicht herstellt. "Die billigen Klaviere kommen vom Fließband aus China und Indonesien. Aber auch die teureren sind sehr schnell fertig - allzu viel Handarbeit kann da nicht gemacht werden", urteilen die Branchenkenner Schmitz und Blüthner einhellig. "Die Absatzzahlen für klassische Klaviere sind stark rückläufig", druckst Peter Seherr-Thoss, Deputy Sales Manager bei Yamaha, herum. Er redet nicht gerne darüber, sucht die Ursachen in "der sinkenden Zahl von Klavierschülern und der konservativen Klavierpädagogik". Christian Blüthner wird da deutlicher. "Da gibt es ein Währungsproblem", erläutert er. "Der Yen hat sich verteuert. Die Einnahmen in Euro decken die Yen-Kosten nicht."

Wenn das so weitergeht, kann es für Yamaha ungemütlich werden. Denn die Firma ist in Europa verhältnismäßig stark präsent – wenn auch nicht unbedingt auf dem "klassischen" Klaviermarkt. Stattdessen hat sich Yamaha eine andere Marktlücke auserkoren: den Musikunterricht. Europaweit lernen ungefähr 40.000 Schüler in mehr als 600 "Keyboard Schulen" – allein in Deutschland gibt es davon 200. Außerdem bietet Yamaha Keyboards und Blasinstrumente als "Klassensätze für öffentliche Schulen" an. Die Bindung der zukünftigen Klavierkäufer an die Marke aus Fernost beginnt frühzeitig, doch ein Keyboard macht noch lange kein Klavier. "An dieser Stelle hat es Deutschland komplett verschlafen, die Marke 'Made in Germany' als Qualitätsmarke zu etablieren", ärgert sich Christian Blüthner über verpasste Chancen.