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"Ein Land im Aufbruch"

5. April 2011

Zwei Tage war Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) im Südsudan zu Besuch. Die bisher autonome Region soll in drei Monaten unabhängig werden. Über die Eindrücke seiner Reise sprach der Minister mit DW-WORLD.DE.

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Entwicklungsminister Niebel vor einer Werkbank in einer Werkstatt.
Bundesentwicklungsminister Niebel bei seinem Besuch im Südsudan.Bild: AP

DW-WORLD.DE: Herr Minister, seit Wochen hören wir überwiegend schlechte Nachrichten aus dem Südsudan. Ethnische Gewalt nimmt zu, ein Rebellen-General droht, er werde auf die Hauptstadt Juba marschieren. Deckt sich das mit den Eindrücken, die sie während ihrer Reise gesammelt haben?

Nein, das deckt sich nicht mit meinen Eindrücken. Ich habe gelernt, dass es ein Land im Aufbruch ist, wo man schon eine positive Grundstimmung erkennen kann, was diese Staatenbildung betrifft. Zugleich ist es aber auch ein Land mit großen Herausforderungen, die ich aber im Wesentlichen weniger in den militärischen Auseinandersetzungen sehe, sondern eher in den Strukturen.

Wie stabil wird denn dieser Staat, der am 9. Juli das Licht der Welt erblicken soll?

Ich glaube, wir haben alle Chancen, dass der Südsudan nicht zu einem „failed state“ werden kann. Dazu bedarf es einiger Unterstützung. Hier habe ich die große Sorge, dass es manchmal zu viel gutgemeinte Unterstützung gibt. Oder anders formuliert: dass ein Staat, der sich im Aufbau befindet, mit schwachen Verwaltungsstrukturen, von der geballten Macht der internationalen Gebergemeinschaft wohlmeinend erdrückt wird.

Es gibt immer wieder Warnungen, der Norden werde die Unabhängigkeit des Südens zu verhindern suchen. Was haben Ihnen der nordsudanesische Vizepräsident Taha und der Außenminister bei Ihrem Besuch in Khartum dazu gesagt?

Das war absolut nicht erkennbar, im Gegenteil. Sowohl der Außenminister als auch der Vizepräsident haben die Staatenwerdung des Südsudan komplett akzeptiert. Ich muss auch sagen, bei allem, was man am Nordsudan zu kritisieren hat: Das Verhalten des Nordsudans ist außerordentlich kooperativ gewesen. Sowohl vor dem Referendum, während des Referendums als auch jetzt in der Übergangsphase. Es gibt noch zu klärende offene Fragen, das ist richtig, deswegen wird seit dieser Woche in Addis Abeba wieder darüber verhandelt. Ob sie bis zur Staatsgründung geklärt werden können, wage ich zu bezweifeln, aber das wäre dann ja vielleicht auch eine gute Grundlage für ein neues Mandat für die Vereinten Nationen, in bestimmten Regionen als Moderator anwesend zu sein.

Nun haben sich nach Berichten an der gemeinsamen Grenze auf beiden Seiten Truppen in Stellung gebracht. Es hat Berichte über tausende Vertriebene gegeben, vor allem in der Region Abyei. Woher nehmen sie Ihren Optimismus, dass man das alles noch bis Juli klären kann und es keine neue Quelle für Gewalt zwischen Nord- und Süd ist?

Gerade die Region Abyei ist einer der Punkte, bei denen ich mir nicht sicher bin, dass es bis zum 9. Juli geklärt werden kann. Aber ich bin mir sicher, dass beide Seiten an einem friedlichen Ergebnis, an einer friedlichen Lösung, interessiert sind. Das haben beide glaubhaft versichert, aber ohne eine Idee zu haben, wie man eine Lösung herbei führen könnte. Das sage ich der Ehrlichkeit halber dazu. Das ist zum Beispiel einer der Punkte, wo eine internationale Überprüfung oder Moderation durchaus hilfreich sein könnte. Auch, wenn nach der Staatsgründung das Mandat der Vereinten Nationen ausgelaufen ist.

Nun ist Deutschland mit Militärbeobachtern an der UN-Mission beteiligt. Sehen Sie die Möglichkeit, dass Deutschland auf dieser Ebene sein Engagement in den nächsten Monaten noch aufstocken könnte, um dafür mehr zu tun, dass es eine friedliche Unabhängigkeit des Südens gibt?

Dazu kann ich Ihnen jetzt gar keine Auskunft geben. UNMIS ist eine Beobachtermission, die wir seit vielen Jahren mit Beobachtern versehen und wenn es ein neues Mandat der Vereinten Nationen geben sollte, dann müssen wir uns erstmal ansehen, welches Mandat es ist. Dann kann man erst entscheiden, ob man sich daran beteiligt und wenn ja, in welchem Umfang.


Zur Entwicklungshilfe: Seit dem Frieden von 2005 sind enorme Finanzmittel in den Südsudan geflossen. Trotzdem lesen wir in jedem Bericht aus der Region von den kaum 100 km asphaltierte Straße die es dort gibt. Es fehlt an Schulen, an Ausstattung, es gibt kaum Krankenhäuser. Warum hat die ausländische Entwicklungszusammenarbeit anscheinend noch relativ wenig erreicht?

Ich kann für den Bereich sprechen, für den die deutsche Entwicklungskooperation zuständig ist. Wir sind ja in erster Linie im Bereich der humanitären Hilfe mit dem Auswärtigen Amt und als Entwicklungsministerium im Bereich der entwicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe tätig. Wir sind der größte Geber im Wasserbereich und helfen beim Aufbau einer vernünftigen kommunalen Verwaltungsstruktur, in dem wir Schulungen durchführen. Wir tun das auch in Kooperation mit Hochschulen, damit eine vernünftige Verwaltung entsteht, die überhaupt in der Lage ist abzuwickeln, was ein Staat erledigen muss. In diesen Bereichen ist noch sehr viel zu tun. Aber wir sind gut voran gekommen, es gibt erste Strukturen im Bereich der lokalen Verwaltung, es gibt erste Fortschritte im Bereich der Wasserversorgung und es gibt im Bereich von entwicklungsorientierter Not- und Übergangshilfe auch gute Erfolge was berufliche Bildung und Reintegration von Binnenvertriebenen angeht. Das ist ein wichtiger Punkt, den man im Auge behalten muss, weil Binnenflüchtlinge natürlich ein großes Gefahrenpotenzial für die staatliche Stabilität mit sich bringen. Daher ist hier die Integration und auch die berufliche Qualifikation eine ganz zentrale Voraussetzung.

Warum ist es so schwierig, staatliche Strukturen herauszubilden, gerade im kommunalen Verwaltungswesen? Seit sechs Jahren ist man dran. Doch wenn man Berichte über den Südsudan liest, dann steht dort oft, dass in manchen Verwaltungen immer noch Korruption und Willkür herrschen, es immer noch große Probleme gibt.

Ja, und es kommt noch dazu, dass ungefähr 80 Prozent der Einwohner des Südsudan Analphabeten sind. Das ist nun mal ein Entwicklungsland, wo man auf unterstem Niveau begonnen hat. Im Südsudan herrschte über 50 Jahre Krieg, daher wurde in Bildung und Infrastruktur sowie in staatliche Strukturen über Jahrzehnte nichts investiert. Da brauchen Sie sich nicht vorzustellen, dass man nach fünf Jahren erster Autonomieversuche in der Lage ist, eine vernünftige Kommunalverwaltung auf die Beine zu stellen. Das dauert seine Zeit, und diese Zeit muss man sich auch nehmen, weil man sonst mit Sicherheit keinen Erfolg hat.

Sie haben sich immer für „gute Regierungsführung“ stark gemacht. Nun gibt es immer wieder Berichte über die schwindelerregende Korruption im Südsudan. Warum haben Sie sich trotzdem entschieden, zusätzliche Hilfsgelder in Aussicht zu stellen?

Erstens, weil wir der Regierung des Südsudan kein Geld in die Hand geben. Wir machen projektgebundene Förderung und arbeiten mit der KFW-Entwicklungsbank und der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit in den Projekten, die wir dann selbst entsprechend abrechnen. Wenn Sie zu Recht die Korruption in den Verwaltungen bemängeln, dann ist es ja das Beste, wenn wir die Ausbildung von Verwaltungsmitarbeitern unterstützen, die nicht korruptionsanfällig sind. Aber die fallen auch nicht von den Bäumen, sondern sie müssen erstmal Menschen haben, die überhaupt hinreichend des Lesens und Schreibens mächtig sind. Das sind die Voraussetzungen, damit sie eine qualifizierte Ausbildung beginnen können. Das dauert, und sie finden auch nicht so viele davon in einem Land mit achtzig Prozent Analphabeten.


Das Gespräch führte Daniel Pelz
Redaktion: Lina Hoffmann