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Ein Rückschlag für die einheitliche Strafverfolgung in Europa

Daphne Antachopoulos19. Juli 2005

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Europäischen Haftbefehl zeigt, dass die gemeinsame Strafverfolgung in Europa noch auf wackeligen Beinen steht, meint Daphne Antachopoulos in ihrem Kommentar.

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Es war dann doch nicht der große Wurf, wie ihn manche in Brüssel befürchtet hatten. Die Richter in Karlsruhe erklärten zwar die rechtliche Umsetzung des Europäischen Haftbefehls in Deutschland für verfassungswidrig. Den Europäischen Haftbefehl an sich und seine rechtliche Grundlage griffen sie jedoch nicht an.

EU-Beschluss im Schnellverfahren

Der EU-Haftbefehl beruht auf einem EU-Rahmenbeschluss des EU-Ministerrates aus dem Jahr 2002. Er war zwar einstimmig beschlossen worden, allerdings im Schnellverfahren und ohne die EU-Kommission und das Europäische Parlament zu beteiligen. Diese mangelnde demokratische Legitimierung hatte der Beschwerdeführer Mamoun Darkazanli gerügt. Doch das spielte für die Karlsruher Richter nicht die entscheidende Rolle. Der Rahmenbeschluss der EU sei in Ordnung - nur das deutsche Parlament habe nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, den eben dieser Beschluss biete.

So dürfe man einen Deutschen nur dann ausliefern, wenn seine Tat einen maßgeblichen Auslandsbezug habe, wenn er sie also zum Beispiel im Ausland begangen hat, urteilte das Gericht. Dann nämlich müsse er damit rechnen, auch im Ausland dafür zu Verantwortung gezogen zu werden. Ansonsten müssten deutsche Gerichte die Möglichkeit haben, die Auslieferung eines Deutschen zu verweigern. Im Rahmenbeschluss der EU war so viel Spielraum auch deutlich vorgesehen.

Rote Karte fürs Parlament

Damit zeigte das Gericht dem deutschen Parlament klar die rote Karte: Schließlich hatten die Parlamentarier zuvor extra das Grundgesetz geändert, um eine Auslieferung eines Deutschen überhaupt zu ermöglichen. Für eine gründliche Prüfung hatten sie wohl zu wenig Zeit. Diese Zeit hat sich jetzt das oberste deutsche Verfassungsgericht in Karlsruhe genommen. Das Gericht hat damit wieder einmal eine politische Entscheidung korrigiert und konkretisiert.

Wobei auch jetzt aus Karlsruhe zu vernehmen war: Könnte es sein, dass die Parlamentarier den Weg des geringsten Widerstandes gehen und oberflächliche Gesetze erlassen, weil sie wissen, dass Karlsruhe sie aufheben wird? Schließlich gehen die Forderungen aus Karlsruhe nicht über das hinaus, was ohnehin schon durch den EU-Rahmenbeschluss möglich gewesen wäre. Bezeichnend ist, dass sich bereits Abgeordnete aus Regierung und Opposition zufrieden und erleichtert zum dem Urteil geäußert haben.

Auswirkungen auf Europa

Doch das Urteil hat auch Bedeutung für Europa. Zwar haben die Richter den Europäischen Haftbefehl nicht als Mittel der Strafverfolgung angegriffen. Auch seine Rechtsgrundlage - ein Beschluss des EU-Ministerrats - reicht als Grundlage für weitgehende Gesetzesänderungen der Nationalstaaten aus. Aus Brüssel war demnach auch Erleichterung zu vernehmen. Das nach den Anschlägen von London schnell zusammengeschnürte Anti-Terror-Paket kann auf die gleiche Art und Weise über den Ministerrat durchgewunken werden. Angesichts der Attentate von London und den fortlaufenden Drohungen neuer Terrorakte in Europa wäre ein Abwatschen auch der Brüsseler Politik wohl ein schlechtes Signal zum falschen Zeitpunkt gewesen.

Ein schlechtes Signal

Trotzdem zeigt das Urteil, dass die gemeinsame Strafverfolgung auf europäischer Ebene auf wackeligen Beinen steht. Es reicht eben nicht, einen schnell gefassten EU-Beschluss auf nationaler Ebene schnell umzusetzen. Solange es keine Übereinstimmung in der europäischen Justizpolitik gibt, solange es riesige Unterschiede in der Strafverfolgung und der Rechtsprechung gibt, werden solche Beschlüsse immer brüchig sein. Damit ist das Urteil trotz allem ein schlechtes Signal für Europa: Denn es zeigt, dass die Instrumente der EU-Mitgliedsstaaten im Kampf gegen den Terror keineswegs sicher und einheitlich sind. Der Beschwerdeführer Mamoun Darkazanli ist jedenfalls wieder auf freiem Fuß. Erst wenn das deutsche Parlament ein neues - diesmal verfassungsgemäßes - Gesetz zum Europäischen Haftbefehl verabschiedet hat, kann das zuständige Gericht in Hamburg eine Auslieferung nach Spanien versuchen. Wenn Mamoun Darkazanli sich dann noch in Deutschland befindet.