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Stammzellforschung

14. September 2011

Medikamente im großen Stil an menschlichen Zellen testen, statt an tierischen: daran arbeiten Forscher aus Israel und Bonn. Sie nutzen Stammzellen und wollen die Biotechnologiebranche für ihr Projekt begeistern.

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Stammzellen in Petrischalen, die gegen das Licht gehalten werden (Foto: DW/Marlis Schaum)
Bild: DW

Die heiße Luft wabert um das nüchterne Hochhaus an der Küste von Haifa, in dem Michals Labor untergebracht ist. Drinnen ist es kühl, das Radio dudelt vor sich hin, durch das Fenster sieht man das Mittelmeer und den blauen Himmel. Und dann sagt Michal einen Satz, der seit Jahren das Motto ihrer Arbeit ist und nach dem man sofort eine Stammzelle sein möchte: "Stammzellen brauchen viel Zärtlichkeit, Liebe und Zuneigung."

Kaum jemand weiß so gut wie Michal Amit, wie man das Stammzellen am besten gibt. Die 43 Jahre alte Forscherin hat sich an der Universität Technion in Haifa darauf spezialisiert, Stammzellen zu kultivieren – sie bei der richtigen Temperatur im richtigen Gefäß in der richtigen Nährlösung zu halten. So, dass sie sich immer weiter teilen, ohne ihr enormes Potential zu verlieren: ihre Fähigkeit, sich in jede Art von Zelltyp entwickeln zu können, aber erst dann wenn Forscher das wollen. Hört sich leicht an, ist aber enorm schwierig. Es dauert Monate, bis ein neuer Labormitarbeiter eingearbeitet ist und die Feinheiten der Kultivierungstechniken kennt.

Stammzellenkühlschrank (Foto: DW/Marlis Schaum)
StammzellenkühlschrankBild: DW

Die Stammzellen-Labor-Pension

Michal und ihr Team kultivieren Stammzellen nicht nur in Petrischalen, sondern auch in so genannten Spinner Flasks: kleine Glasflaschen, in denen größere Mengen Stammzellen in einer Flüssigkeit gehalten werden können. In noch größeren Mengen wachsen sie in einem Bioreaktor heran, einem Plastikschlauch, der ständig bewegt wird. Unter anderem werden hier Stammzellen aus Embryonen gepäppelt und zur Vermehrung gebracht, was Forschern in Deutschland verboten ist.

Diese Stammzellen werden aus wenige Tage alten Embryonen gewonnen, die bei der künstlichen Befruchtung übrig geblieben sind. Maximal 14 Tage dürfen diese Embryonen alt sein, dann werden sie zerstört, die Stammzellen entnommen und kultiviert. Nach christlicher Auffassung wird damit potentielles Leben zerstört, im Judentum sieht man das anders. "Im Judentum, und übrigens auch im Islam, beginnt das Leben erst, wenn sich der Embryo in der Gebärmutter eingenistet hat und zum Fötus wird", erklärt Josef Itskovitz, der das Stammzell-Forschungszentrum am Technion leitet, zu dem auch Michals Labor gehört. "Unsere Religion erlaubt es uns, Gott zu helfen. Deshalb wird die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen auch von den Rabbinern und der Öffentlichkeit in großem Maße unterstützt."

Ethisch einwandfreie Zellen

Weniger umstritten sind dagegen die so genannten induzierten pluripotenten Stammzellen, die IPS-Zellen, die aus den Zellen erwachsener Menschen gewonnen werden, zum Beispiel aus Hautzellen. Mit Hilfe von Genen werden diese Hautzellen reprogrammiert, so dass sie den embryonalen Stammzellen wieder ähnlich sind. Sie haben dann fast das gleiche Alleskönnerpotential wie die embryonalen Zellen. Allerdings nur fast. Die IPS-Zellen sind nicht ganz so berechenbar, sie mutieren gerne mal, aber auch sie werden im Labor von Michal Amit gezüchtet und kultiviert und hier kommt Simone Haupt ins Spiel.

Stammzellforscherinnen Simone Haupt, Universität Bonn (vorne im Bild) und Michal Amit, Universität Technion, Haifa (Foto: DW/Marlis Schaum)
Stammzellforscherinnen Simone Haupt, Universität Bonn (vorne im Bild) und Michal Amit, Universität Technion, HaifaBild: DW

Sie hat großes Interesse an diesen IPS-Zellen, und zwar an rauen Mengen von IPS-Zellen, die alle die gleiche Qualität haben, dank Michals Kultivierungstechniken. Deswegen arbeiten die Bonner Biologin und ihr Team mit dem von Michal zusammen im Projekt 'IPS Neuro'. "Wir möchten eine industrielle Plattform schaffen, um sowohl induzierte pluripotente Stammzellen, als auch davon abgeleitete Nervenzellen in großem Maßstab herstellen zu können. Diese möchten wir bei der Entwicklung von Medikamenten verwenden", erklärt Simone Haupt.

Tests an der kranken Nervenzelle

Das israelische Team kultiviert in großen Mengen IPS-Zellen, friert sie ein und verschickt sie an die Partner am Institut für Rekonstruktive Neurobiologie der Uni Bonn. Die Bonner rund um Simone Haupt bringen die IPS-Zellen dann dazu, sich in bestimmte Nervenzellen zu verwandeln, sich auszudifferenzieren. An diesen Nervenzellen sollen Medikamente gegen neurologische Erkrankungen getestet werden.

Bis jetzt nimmt man dafür vor allem tierische Zellen, sagt Simone Haupt, "aber idealerweise hätte man natürlich gerne eine menschliche Nervenzelle, am besten sogar eine Nervenzelle, die genau die Krankheit hat, für die man die Medikamente sucht."

Stammzellen (Foto: DW/Marlis Schaum)
Große Mengen an IPS-ZellenBild: DW

Simone Haupt und Michal Amit haben ein Interesse daran, Techniken zu entwickeln, mit denen viele Zellen hergestellt werden können. Das sei die Grundvoraussetzung, um überhaupt an so etwas wie Therapien zu denken. "Man braucht Methoden, die standardisiert sind, man möchte immer wieder die gleiche Qualität generieren, und das ist das Ziel, das wir hier verfolgen."

Noch mindestens zwei Jahre wird das Projekt über Drittmittel der EU und der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Die Ideen, die die Teams entwickeln, soll die Biotechnologiebranche direkt aufgreifen können.

Embryonale Stammzellen spielen bei all dem aber auch noch eine Rolle, sagt Simone Haupt: "Alles, was wir mit IPS-Zellen machen, müssen wir anhand von embryonalen Stammzellen überprüfen. Diese Zellen kennen wir gut und an ihnen müssen sich die IPS-Zellen messen lassen."

Autorin: Marlis Schaum
Redaktion: Judith Hartl