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Ein wahres Eldorado für Al-Kaida

Nils Naumann13. April 2012

Im Süden des Jemen kontrollieren Al-Kaida-nahe Gruppen ganze Landstriche. Die Extremisten haben den Machtkampf im Land genutzt, um ihren Einflussbereich auszubauen. Immer mehr Menschen fliehen.

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Mutmaßliche Al-Kaida Mitglieder vor einem jemenitischen Gericht (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Flughafen Sanaa. An der Gepäckausgabe drängeln sich die Menschen. In der Menge steht ein junger Mann im traditionellen arabischen Gewand. Wäre sein langer Bart nicht blond und sein Arabisch nicht gebrochen, er würde kaum auffallen. Der junge Mann ist Franzose und er ist einer der wenigen westlichen Ausländer unter den Fluggästen.

Bis vor einigen Jahren war der Jemen ein beliebtes Touristenziel, doch das ist vorbei. Die Sicherheitslage hat sich massiv verschlechtert. Die meisten westlichen Ausländer haben das Land verlassen. Heute kommen vor allem radikale Konvertiten, fromme Islam-Studenten und Nachwuchs-Terroristen in den Jemen.

Freiraum für Terroristen

Das Land an der Südspitze der Arabischen Halbinsel hat sich zu einem Rückzugsraum muslimischer Extremisten entwickelt. Die US-Geheimdienste halten die im Jemen aktive Organisation "Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel" für einen der aktivsten Ableger des Terrornetzwerks.

Omer Faruk Abdulmutallab vor einem US-Gericht (Grafik: EPA/JERRY LEMENU)
Omer Faruk Abdulmutallab vor einem US-GerichtBild: picture-alliance/dpa

Von hier kamen Ende 2010 die Paketbomben, die an Bord mehrerer Flugzeuge gefunden wurden. Und hier schlüpfte auch der Nigerianer Omer Faruk Abdulmutallab unter, bevor er 2009 versuchte, sich in einem Flugzeug nach Detroit in die Luft zu sprengen.

"Im Jemen gibt es keinen starken Zentralstaat", erklärt der Politikwissenschaftler und Nahost-Experte Peter Pawelka die Anziehungskraft des Landes auf Terroristen. "Diese Gruppen können sich dort große Freiräume erkämpfen, in denen sie ihre Ausbildung und ihre Ideologisierung vorantreiben."

Überforderte Armee

Die Armee des Jemen ist nach Einschätzung des jemenitischen Verteidigungsministers Mohammed Nasser Ali nicht in der Lage, die Al-Kaida-Zellen allein zu besiegen: "Für den Kampf gegen Al-Kaida brauchen wir internationale Unterstützung". Seit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Abd Rabbo Mansur Hadi im Februar haben islamistische Gruppen rund 250 Militärs getötet. Mansur Hadi hatte bei seiner Amtsübernahme ein massives Vorgehen gegen Al-Kaida angekündigt. Daraufhin nahmen die Angriffe der Islamisten deutlich zu.

Neben "Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel" hat sich in den vergangenen Monaten eine weitere Gruppe im Land etabliert. Sie nennt sich "Ansar al Scharia" (Anhänger des islamischen Rechts). Der jemenitische Terrorexperte Nabil al Bukairi vergleicht sie mit den afghanischen Taliban. "Anders als die Al-Kaida-Terroristen wollen die Kämpfer von Ansar al Scharia keine Anschläge im Westen verüben. Ideologisch unterscheiden sie sich zwar nicht von Al-Kaida, doch ihr Ziel ist nicht der globale Dschihad, sondern der Aufbau eines eigenen Staates."

Al Kaida Mitglieder im Zinjibar Distrikt (Foto: dpa)
Auf dem Vormarsch: Al-Kaida- Mitglieder im Zinjibar-DistriktBild: picture-alliance/dpa

Eine erste Etappe auf diesem Weg haben die Terroristen im Jemen bereits geschafft. Im März 2011, als die Anti-Regierungs-Demonstrationen in Sanaa und anderen Städten ihren Höhepunkt erreichten, nutzten die Terroristen die Gunst der Stunde und fielen in der Stadt Dschaar ein. Kurz darauf nahmen sie auch die Küstenstadt Zindschibar ein. Inzwischen sammeln die "Ansar al Scharia"-Kämpfer in den von ihnen kontrollierten Städten die Steuern ein, organisieren die Stromversorgung und haben islamische Gerichte eröffnet. Beobachter sprechen von einem talibanartigen Miniaturstaat. Die USA haben bereits reagiert. Sie verstärkten ihre Drohnen- und Raketenangriffe in der Region.

Druck von allen Seiten

Der Konflikt mit Al-Kaida ist nur eine der vielen Fronten im Jemen. Im Norden haben sich schiitische Houthi-Rebellen gegen die Regierung erhoben, im Süden gibt es Abspaltungstendenzen und in den östlichen Regionen wollen sich die Stämme nicht der Regierung unterordnen. Gleichzeitig gärt der Konflikt zwischen Anhängern und Gegnern des abgetretenen Präsidenten Saleh weiter. "Ich sehe nicht", sagt der Jemen-Experte Peter Pawelka, "dass sich die geschwächte Zentralregierung irgendwo richtig durchsetzen kann. Ich sehe den Jemen immer weiter im Chaos versinken."

Kämpft einen Mehrfrontenkrieg: die jemenitische Armee (Foto: Jemen Saeed Al soofi)
Kämpft einen Mehrfrontenkrieg: die jemenitische ArmeeBild: DW

Deswegen müsse das Land von außen stabiliert werden, fordert Pawelka. "Der Jemen braucht eine Zentralgewalt, die das ganze Land kontrolliert. Wenn das nicht geschieht, haben wir einen Brandherd, der von dort in andere Teile der Region ausstrahlt." Doch wie genau die Zentralregierung gestärkt werden könnte, da ist auch Pawelka ratlos: "Dagegen ist die Quadratur des Kreises ein Kinderspiel!"

Humanitäre Katastrophe

Auch Matthias Leibbrand, Geschäftsführer des im Jemen aktiven Hilfswerkes "Vision Hope International", befürchtet den Zerfall des Staates. Die Lage der Bevölkerung habe sich durch die Krise massiv verschlechtert. Die Lebensmittelpreise seien allein im vergangenen halben Jahr um fast die Hälfte gestiegen. "In vielen ländlichen Regionen", so Leibbrand, "hungert beinahe die Hälfte der Kinder". Das Land stehe vor einer humanitären Katastrophe.

Auch die Zahl der Binnenflüchtlinge hat sich deutlich erhöht. Allein aus den Regionen in denen Al-Kaida nahe Gruppen operieren, sind nach Angaben von Hilfsorganisationen mehr als 130.000 Menschen vertrieben worden.

Durch die Auseinandersetzungen wird es immer schwieriger, Hilfe zu organisieren. Die Straßen des Landes sind extrem unsicher. Bei Transporten über Land muss mit Überfällen gerechnet werden.

Ausländer riskieren Angriffe von Extremisten und Entführungen. Die meisten Hilfsorganisationen haben deswegen ihre ausländischen Mitarbeiter komplett abgezogen und arbeiten nur noch mit jemenitischen Helfern.