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Auf den Spuren von Hartmut Hopp

29. Juli 2011

Hartmut Hopp war einer der führenden Colonia-Dignidad-Köpfe. Die deutsche Sekte in Chile existiert nicht mehr. Hopp scheint nun nach Deutschland geflohen zu sein – und sich hier vor Strafverfolgung verstecken zu können.

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Beamte in Chile (Foto: Service of Public Ministery of Chile)
In Chile steht Hopp kurz vor einer VerurteilungBild: Fiscalía Maule

Weder die Behörden der Stadt Krefeld noch das deutsche Außenministerium konnten bislang bestätigen, dass der 66-jährige Arzt Hartmut Hopp sich wirklich in Deutschland aufhält. Alle Indizien weisen jedoch auf die Stadt Krefeld bei Düsseldorf hin. Hier ist eine sektenähnliche religiöse Gemeinschaft ansässig, zu der einige ehemalige Mitglieder der Colonia Dignidad Verbindungen haben. Einige von ihnen sind bereits hierher emigriert. Hier wohnt auch Hopps Adoptivsohn Michael, der als Geigenlehrer an einer Musikschule arbeitet. Hopp junior, der mittlerweile eine eigene Familie gegründet hat, distanzierte sich von seinem Adoptivvater.

Hartmut Hopp war Mitglied der Colonia Dignidad im Süden Chiles, zu Deutsch "Kolonie der Würde", die 1961 von einer deutschstämmigen Sekte gegründet wurde. Dem Führungskreis unter Paul Schäfer werden schwere Verbrechen während der Pinochet-Diktatur vorgeworfen, darunter Missbrauch, Folter, Zwangsarbeit und Mord.

Flucht vor der chilenischen Justiz

Kurz nachdem Ende Mai Hopps Flucht aus Chile bestätigt worden war, meldete seine Schwiegertochter der Presse, dass er sich in Deutschland aufhalte. Ihr zufolge hat er sich mit seiner Frau wiedergetroffen, die Chile kurz vor ihm verlassen hat. Der Arzt unterlag einem Ausreiseverbot, da gegen ihn in Chile ein Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer illegalen Vereinigung läuft. Zudem stand er kurz vor einer Verurteilung als Komplize bei Missbrauchsverbrechen gegen Minderjährige. Sein damaliger Vorgesetzter Paul Schäfer, Leiter der deutschen Enklave im Süden Chiles, hatte diese Verbrechen begangen und war 2006 zu 20 Jahren Haft verurteilt worden.

Zusammen mit 15 Angeklagten – allesamt ehemalige Mitglieder des Führungskreises der Colonia Dignidad, sowie die Adoptivtochter von Schäfer – hatte Hopp eine Verurteilung zu fünf Jahren Haft zu erwarten. Nur die letztinstanzliche Urteilsverkündung des Obersten Gerichtshofs stand noch aus.

Die Flucht Hopps ist bis heute ein Rätsel. Es wird vermutet, dass er mit einem Hubschrauber über die Anden nach Argentinien geflogen ist, um von dort aus einen Flug nach Europa zu nehmen. Der vorsitzende Richter am Berufungsgericht in Santiago, Jorge Zepeda, der den Prozess gegen Hopp leitet, hat einen internationalen Haftbefehl gegen ihn erlassen.

Untergetaucht in Deutschland

Das Gelände der Villa Baviera, früher Colonia Dignidad (Foto: Archivo Villa Baviera)
Das Gelände der Villa Baviera, früher Colonia DignidadBild: Archivo Villa Baviera

Die Behörden in Krefeld äußerten gegenüber einer Lokalzeitung, dass sie nichts über den Aufenthaltsort von Hopp wissen. "Angesichts der chilenischen Bemühungen, Herrn Hopp zu verfolgen, untersuchen die deutschen Behörden, ob er einen Wohnsitz in Deutschland angemeldet hat", erklärte ein Sprecher der chilenischen Botschaft. Das Außenministerium habe zu diesem Zeitpunkt jedoch keinerlei Informationen über seinen Aufenthaltsort.

Es ist anzunehmen, dass Hartmut Hopp der Meldepflicht nicht nachgekommen ist und sich heimlich in Deutschland oder in einem anderen Land aufhält. Wahrscheinlich ist zudem, dass er nicht über Deutschland in die Europäische Union eingereist ist, da sein Pass dann hätte registriert werden müssen.

In Chile werden nun die anderen Beschuldigten, die ebenfalls auf Kaution frei sind, stärker überwacht. Die Bewohner der Villa Baviera – wie die ehemalige Colonia Dignidad heute heißt – fühlen sich von den Ereignissen ebenfalls betroffen. Denn nun erwachen die dunklen Erinnerungen an die alte Siedlung wieder zum Leben. Martin Matthusen, aus der zweiten Generation der Deutschen, die hier wohnen, erzählt: "Es ist, als kehrten wir zu dem Staat im Staat zurück, der hier früher existiert hat und in dem jeder tat, was ihm gefiel, ohne Rücksicht auf die Gesetze."

Deutsch-chilenisches Justizversagen

Wolfgang Kneese (Foto: Wolfgang Kneese)
Wolfgang Kneese ist 1966 aus der Colonia Dignidad entkommenBild: Wolfgang Kneese

Als deutscher Staatsbürger kann sich Hopp in diesem Land sicher fühlen. "Deutschem Recht zufolge ist es grundsätzlich nicht möglich, einen deutschen Staatsbürger in Länder außerhalb der Europäischen Union auszuliefern", so ein Sprecher der chilenischen Botschaft. "Diese Vorschrift ist im Grundgesetz festgeschrieben und hat damit verfassungsähnlichen Charakter."

Die deutschen Behörden werden Hopp also nicht an die chilenische Justiz ausliefern, obwohl es einen internationalen Haftbefehl gegen ihn gibt. So könnte es zu der paradoxen Situation kommen, dass Hopp zwar in Chile verurteilt wurde, aber in Deutschland frei leben kann. Diese Rechtslage hat auch ein anderer früherer Anführer der Colonia Dignidad bereits ausgenutzt: Albert Schreiber flüchtete 2004 nach Deutschland und lebte dort unbehelligt bis zu seinem Tod 2008.

"Ich glaube, dass Hartmut Hopp mit allen Mitteln versuchen wird, der Justiz aus dem Weg zu gehen", so Hernán Fernández, der Anwalt der Missbrauchsopfer. "Seine Rückführung ist nur möglich, wenn er außerhalb Deutschlands festgenommen wird." Für die Angeklagten der Colonia Dignidad habe sich Deutschland in ein Gebiet der Straffreiheit verwandelt, meint er. Und nennt als Beispiel den Fall Schreiber.

Wolfgang Kneese, der 1966 aus der Colonia Dignidad entkommen konnte, sieht die Ereignisse kritisch: "Paul Schäfer flüchtete aus Deutschland nach Chile, als er wegen sexuellen Missbrauchs angeklagt war. Jetzt flüchten die Deutschen aus Chile wieder hierher, um dem Gefängnis zu entgehen. Sie können das Gesetz nutzen, um sich zu verteidigen, dabei sind sie doch Kriminelle. Die Rechtsprechung funktioniert nicht. In 40 Jahren hat sich nichts geändert: Hopp läuft frei herum und niemand kümmert sich darum."

Auch die deutsche Justiz könnte handeln

Obwohl es rechtlich unmöglich ist, Hopp auszuliefern, könnte er vor einem deutschen Gericht zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn es um deutsche Opfer geht, "kann das deutsche Strafrecht auch auf Taten, die im Ausland passiert sind, angewendet werden", so die deutsche Botschaft in Santiago de Chile. "Sobald der Aufenthaltsort von Hartmut Hopp bekannt ist, werden die zuständigen Ämter ein Gerichtsverfahren gegen ihn einleiten."

Eine wichtige Vorgeschichte ist die von Albert Schreiber. Die Staatsanwaltschaft von Memmingen im Freistaat Bayern hatte ein Gerichtsverfahren gegen ihn eingeleitet, wegen des Todes eines Oppositionsführers während der chilenischen Diktatur. Der Oppositionelle war von Agenten der chilenischen Geheimpolizei in die Colonia Dignidad gebracht worden und verschwand dort. Doch man schaffte es nicht, Schreiber zu verurteilen.

Für Hernán Fernández ist es am wahrscheinlichsten, dass Hopp von nun an innerhalb der deutschen Grenzen "gefangen" bleiben wird, um der chilenischen Gerichtsbarkeit zu entgehen. In Deutschland ein Verfahren gegen ihn in einzuleiten, würde lange Zeit in Anspruch nehmen.

Neue Vorwürfe in Chile

Ermittelnde Beamten in Chile (Foto: Service of Public Ministery of Chile)
Schwächen auch bei der chilenischen JustizBild: Fiscalía Maule

Der Fall Hopp deckt auch die Schwächen der chilenischen Justiz auf. "Wir vermuten, dass Hopp bei der Ausreise von anderen Personen unterstützt wurde", so Fernández. Wolfgang Kneese ist überzeugt, dass der Flüchtige gefälschte Pässe hat.

Mauricio Richards, der Staatsanwalt der Region Maule, in der auch die Villa Baviera liegt, erhob nach der Flucht Hopps eine Anklage wegen Rechtsmissachtung gegen ihn. In Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei durchsuchte er Hopps Büro im Krankenhaus und seinen Schlafraum in der Colonia Dignidad. Obwohl Hopp selbst nicht mehr hier wohnte, machte er regelmäßige Visiten als Arzt für die dort noch lebenden Senioren. Anfang Mai untersuchte Richards den Ort, beschlagnahmte Dokumente und Beweise und befragte die Personen, die Hopp zuletzt gesehen haben.

"Man muss bedenken, dass bereits andere Prozesse gegen ihn laufen", so der Staatsanwalt. "Nun wurde parallel eine Untersuchung eingeleitet, um Ordnungswidrigkeiten aufzudecken, die im Zusammenhang mit seiner Flucht aus Chile begangen worden sein könnten. Wir untersuchen, ob er wirklich das Land verlassen hat, wie er ausgereist ist und ob er oder Dritte dabei Ordnungswidrigkeiten begangen haben."

Richards ermittelt in einer weiteren Angelegenheit zu Gesundheitsverletzung mit Arzneimitteln. Eine ehemalige Bewohnerin der Siedlung versichert, dass sie gezwungen wurde, Medikamente zu nehmen, die ihre Gesundheit schädigten. Die Frau lebt seit einigen Jahren nicht mehr in der Villa Baviera, wo sie wegen angeblicher Epilepsie behandelt wurde.

In der Colonia wurden Medikamente und Drogen zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt: um Leute zur Arbeit anzutreiben, um sie unterwürfig zu machen und um sie zu bestrafen. Als Arzt war Hopp vermutlich verantwortlich für die Durchführung dieser Taten.

Die lange Liste der Verbrechen

Paul Schäfer (Foto: dpa)
Paul Schäfer gründete die Colonia DignidadBild: dpa - Bildfunk

Dieter Maier, Autor zahlreicher Artikel und Bücher über die Colonia Dignidad, berichtet von weiteren Verbrechen. "Hopp ging noch einen Schritt weiter und missbrauchte Frauen. Paul Schäfer ließ ihn gewähren und bediente sich seiner medizinischen Fähigkeiten. Die Bewohner haben ihn mehrmals rausgeworfen, aber er kam immer wieder." Maier ist sicher, dass Hopp sich durchzuschlagen weiß. Schließlich spreche er Englisch, Spanisch und Deutsch und sei viel gereist. "Außerdem hat er Geld", so Maier. "Er ist Mitverwalter der Schwarzen Kasse der Colonia und hat somit Zugang zu den Konten auf den Saint-Kitts-Inseln. Die Flucht von Hopp überrascht mich nicht. Um der Haftstrafe zu entgehen und an das Geld zu kommen, betrog er die Anderen."

Als rechte Hand von Schäfer war er einer der wenigen Siedlungsbewohner mit exzellenten Kontakten nach außen. Er hatte Medizin in den USA studiert und reiste regelmäßig. Er ist einer von jenen, die über Millionenkonten im Ausland verfügen. Über Jahre hinweg war er eine Art Außenminister der Colonia.

"Er beging so viele Verbrechen, dass Schäfer ihn in der Hand hatte und er nicht flüchten konnte", meint Kneese. "Aber jetzt fühlt er sich frei und hat viel Geld, Geschäfte, Häuser und Konten im Ausland." Kneese versichert, es sie nicht unmöglich, Hopp zu finden. Es reiche aus, die von Erika Heimann gekauften und gemieteten Grundstücke ausfindig zu machen. Erika Heimann war die Buchhalterin der Colonia Dignidad. Sie reiste ebenfalls kurz vor Hopps Flucht nach Deutschland aus.

"Dies ist nur ein weiterer Skandal in dieser Reihe von Skandalen um die Colonia Dignidad", so Kneese. "Hopp ist ein intelligenter Mensch, der seine Intelligenz dazu nutzt, Böses zu tun. Aber er hat nicht das Rückgrat, für die Verbrechen gerade zu stehen, die er in Chile begangen hat."

Autorin: Victoria Dannemann

Redaktion: Mirjam Gehrke