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Ein Zeichen der Versöhnung

18. Juni 2011

Im serbischen Backi Gracac erinnert ein Kreuz an 1944 ermordete Donauschwaben. Bei der Einweihung ruft der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, dessen Bruder damals getötet wurde, zum Dialog auf.

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Kerzen (Foto: Christoph Strack)
Eine Kerze erinnert an den 1944 ermordeten Bruder Josef ZollitschBild: Christoph Strack

"Wenn Erinnerungen wieder wach werden…" Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch sitzt im Innenhof eines kleinen Hauses in Backi Gracac, einem Flecken östlich der Donau irgendwo in Serbien, und sinniert. "Der Birnbaum ist noch der alte", sagt der 72-Jährige. "Daneben waren noch Reben, die sind nun nicht mehr da." Der serbische Hausherr zeigt den zugewucherten Brunnen, bietet dem Gast Kirschen zum Probieren an.

Die Erinnerungen, die beim 1938 geborenen Zollitsch wach werden, gehen über sechseinhalb Jahrzehnte. Bis zum Jahr 1945 lebte der junge Bub mit seiner Familie in ebenjenem Haus im damaligen Königreich Jugoslawien. Backi Gracac hieß damals noch Filipowa und war seit Jahrhunderten Heimat der überwiegend katholischen volksdeutschen Donauschwaben. Doch am 1. April 1945 kam die Deportation ins Lager, später die Flucht nach Ungarn, dann der Neubeginn in Deutschland.

Massaker an über 200 Männern

Erzbischof Zollitsch während der Feier (Foto: Christoph Strack)
Erzbischof Zollitsch während der FeierBild: Christoph Strack

Aber an diesem Freitag (17.06.2011) geht es vor allem um das schmerzhafte Gedenken an den 25. November 1944. Die Rote Armee hatte damals die deutsche Besatzungsarmee zurückgedrängt, ihr folgte die jugoslawische Volksbefreiungsarmee des Josip Tito. Sie verübte an jenem Novembertag in Filipowa das größte Massaker in der ganzen Region, tötete mindestens 212 Männer zwischen 16 und 60 Jahren. Darunter auch Zollitschs gerade 16-jährigen Bruder Josef.

"In unseren Ohren hallen immer noch die Schüsse von jenem 25. November 1944", sagt der Erzbischof. "Und auch nach über 66 Jahren sind die Wunden in unseren Herzen immer noch offen, sie sind nicht verheilt." Robert Zollitsch erlebte mit, wie die Partisanen die Zivilisten aus den Häusern holten, sie mit Schüssen und Schlägen aus dem Dorf hinaustrieben. Die 212 kehrten nie wieder zurück. Auf einer nahen Wiese schaufelten die Männer Gruben - ihre eigenen Gräber. Die Mörder quälten, erschlugen und verscharrten sie, mitten im Acker. Viele Jahrzehnte erinnerte kein Kreuz, kein Stein, kein Hinweisschild an die Stätte dieses Mordens.

Ein Kreuz auf der Heuwiese

Kreuz und Gedenktafel nach der Enthüllung (Foto: Christoph Strack)
Kreuz und Gedenktafel nach der EnthüllungBild: Christoph Strack

Nun endlich, nach langen Gesprächen mit der Kommune, steht ein Gedenkkreuz auf der Wiese. An diesem Freitag weiht Zollitsch das Kreuz ein, und Hunderte aus der ehemaligen Dorfgemeinschaft von Filipowa sind dazu auf die "Heuwiese" gekommen. Viele Zeitzeugen, auch nachgeborene Angehörige. Mehr als 500 Menschen sind es. Ein Moment der Traurigkeit und des Abschieds. "Heute kann ich endlich, endlich meinen Vater beerdigen", sagt eine 80-Jährige im schwarzen Kleid. "Auf diesen Moment habe ich immer gewartet." Sie sei die letzte, ihre Geschwister seien schon verstorben. Viele derer, die aus Deutschland, Österreich oder Ungarn, aber auch aus anderen Ländern gekommen sind, ringen in diesen Stunden um Fassung.

Zwei Greise gehen weinend und stockend zu jedem der drei Grabhügel, eine alte Dame sucht mit wachsender Verzweiflung unter den 212 aufgestellten Kerzen, die die Namen der Opfer tragen, jenen ihres verlorenen Angehörigen. "Ich war damals 15 Jahre", berichtet ein Mann. "Warum mussten mein 16-jähriger Bruder und mein Vater sterben?" Und während der Feier zur Einweihung von Kreuz und Gedenktafel sitzt Robert Zollitsch da nicht als Freiburger Erzbischof, nicht als Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Er ist der immer trauernde Bruder.

"Wo war Gott?"

Im Innenhof des Elternhauses (Foto: Christoph Strack)
Im Innenhof des ElternhausesBild: Christoph Strack

"Diese Frage begleitet uns bis heute: Wo war Gott an diesem furchtbaren Tag?" Zollitsch spricht von der Klage, dem Schrei zu Gott. Und dem Trost im Kreuz Jesu. Auch in jenem Kreuz, dass nun auf dem Feld zwischen Backi Gracac und dem benachbarten Odzaci steht. "Es ist kein Zeichen der Rache und Vergeltung, sondern ein Zeichen der Versöhnung und der Herausforderung für die Zukunft. Es erinnert an unsere Ermordeten und sagt zugleich: Tut alles dafür, dass so etwas nie mehr vorkommt, dass so etwas nie mehr passiert."

"Wir Donauschwaben", mahnt Zollitsch in seiner Predigt die Landsleute, "waren immer Menschen, ja Pioniere des Brückenbaus." Und so besuchen an diesem Freitag nicht wenige - wie der Erzbischof - nach der Feier und dem gemeinsamen Essen im Dorfzentrum die früheren Wohnhäuser und sprechen mit den serbischen Bewohnern. "Die Menschen, die jetzt hier wohnen, sind ja damals andernorts auch vertrieben und hier angesiedelt worden", sagt Zollitsch. Duschan Mirklac, der alte Hausherr, holt für den hohen Gast seine Tamboriza hervor und spielt traurig klingende Weisen.

Kirche im Dialog

Erzbischof Zollitsch segnet die Massengräber (Foto: Christoph Strack)
Erzbischof Zollitsch segnet die MassengräberBild: Christoph Strack

Doch das Gedenken an diesem Tag soll auch in die Zukunft weisen. Der serbisch-orthodoxe Bischof von Novi Sad, Irenäus, nimmt mit einigen seiner Geistlichen an den Feiern teil. Der katholische Erzbischof aus Deutschland und der orthodoxe Serbe umarmen sich herzlich auf der Heuwiese. Für ihn, sagt Irenäus, in gewandtem Deutsch, sei der 72-Jährige Zollitsch ein Mann des Dialogs und des Friedens. Die Konflikte der vergangenen Jahrzehnte auf dem Balkan dürften die Konfessionen und Religionen nicht auseinanderbringen. Und der Gast sichert seinen Gesprächspartnern zu, dass sich die Kirche in Deutschland um einen intensiveren Dialog bemühen werde.

Autor: Christoph Strack

Redaktion: Dirk Eckert