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Zerfall der UdSSR

17. August 2011

Viele Menschen in Russland bedauern heute die Auflösung der Sowjetunion vor 20 Jahren. Dabei haben auch die Russen etwas gewonnen, was sie heute zu wenig schätzen, meint Ingo Mannteufel.

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Themenbild Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW

Die Auflösung der Sowjetunion vor 20 Jahren war ein fundamentales Ereignis, das den Gang der Geschichte tiefgreifend beeinflusst hat. Es war zugleich aber auch ein Ergebnis von überaus komplexen Prozessen, die sowohl damals als auch heute noch aufgrund vieler verschlossener Archive in ihren Details schwer zu durchschauen sind.

Portrait von Ingo Mannteufel (Foto: DW)
Ingo Mannteufel, Leiter der Russischen Redaktion der Deutschen WelleBild: DW

Es ist daher fast unmöglich, eine ausgeglichene, objektive und für jedermann unstrittige Bewertung vorzunehmen. Oft ist sogar einfach nur von der "Schuld Gorbatschows" oder "der Politik der Amerikaner" zu hören. Dabei wird unterstellt, dass es eine Möglichkeit gegeben habe, "die Sowjetunion in einer erneuerten Form" zu erhalten. Das ist unsinnig und unlogisch, denn "die" Sowjetunion ist gerade deshalb untergegangen, weil sie sich im Kern als nicht reformierbar und demokratisierbar erwies.

Mythos über den Erhalt der Sowjetunion

Die Sowjetunion trug den Keim für ihre Auflösung vom ersten Tag ihrer Entstehung in sich. Denn ihre Gründung vollzog sich 1922 durch einen undemokratischen und gewaltsamen Akt. Es ist schon fast eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die antizaristische, kommunistische Bewegung im Bürgerkrieg nach dem Ersten Weltkrieg die nach Freiheit und Unabhängigkeit strebenden Völker des Russischen Imperiums wieder mit Gewalt in einen von Moskau gelenkten Staat zwängte.

Während die Vielvölkerreiche Österreich-Ungarn und das Osmanische Reich zusammenbrachen, stoppten die Bolschewiki auf dem Territorium des ehemaligen Russischen Imperiums den Zerfall. Da aber eben diese Vereinigung in der UdSSR niemals auf einer demokratischen Grundlage erfolgte, war klar, dass mit der Forderung nach Demokratie die Existenz der Sowjetunion in ihren Grundfesten in Frage gestellt werden würde. Besonders deutlich war dies in den baltischen Staaten, die erst 1941/45 wieder von der Sowjetunion okkupiert worden sind.

Demokratie und Freiheit

Die Ursachen für den Zerfall sind folglich viel tiefer zu suchen, als nur in einer angeblich verfehlten Politik Gorbatschows nach 1985. Das Ende der Sowjetunion ist viel besser aus der Perspektive von Entkolonialisierung, Demokratisierung und Befreiung von den Fesseln einer totalitär-kommunistischen Ideologie zu verstehen.

Und aus dieser sicherlich sehr westlich geprägten Sicht haben auch die Russen mit dem Ende des sowjetischen Kommunismus etwas gewonnen, nämlich ihre Befreiung von einer falschen und beengenden Ideologie. Es ist bedauerlich, dass dies die Mehrheit der Russen nicht so hoch schätzt, sondern eher angesichts aktueller sozialer Probleme nostalgisch zurückblickt. Wahrscheinlich bedarf es weiterer 20 Jahre, also einer weiteren Generation, bis in Russland diese andere Perspektive Anklang findet. Dabei sollten wir nicht vergessen: Auch viele Deutsche haben erst 1985 verstanden, dass die Niederlage im Zweiten Weltkrieg eine Befreiung Deutschlands war.

Autor: Ingo Mannteufel
Redaktion: Markian Ostaptschuk