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Zu Gast im Museumsweinberg

Richard A. Fuchs25. Juni 2014

Riesling, Spätburgunder oder Chardonnay: Diese Rebsorten kennt beinahe jeder. Anders sieht es mit Putzscheere oder Gelber Orleons aus - kaum einer hat von diesen alten Rebsorten schon gehört. Doch das könnte sich ändern.

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Museumsweinberg mit Holzpfählen statt modernen Drahtanlagen, mit alten Rebsorten statt neuer Züchtungen (Foto: DW/ R.Fuchs).
Bild: DW/R. Fuchs

"Rettet die Reben!" - mit diesem Satz sorgte Jochen Beurer im Jahr 2009 in seinem Dorf Stetten im Remstal für Aufregung. Denn als der Biowinzer begann, mittelalterliche Rebsorten mit Methoden von anno dazumal anzubauen, hielten viele ihn für einen Spinner. Inzwischen scheint der 41-Jährige aber auch seine schärfsten Kritiker überzeugt zu haben, denn sein Museumsweinberg ist zu einem grünen Freiluftmuseum der besonderen Art geworden.

"Gemischter Satz" statt sortenreine Weine

Museumsweinberg in Stettem im Remstal und alte Trockenmauer rekonstruiert; (Foto: DW/ R.Fuchs).
Neben dem Anbau alter Rebsorten werden auch alte Weinterrassen rekonstruiertBild: DW/R. Fuchs

Insgesamt 17 vom Aussterben bedrohten Rebsorten hat Jochen Beurer eine neue Heimat gegeben. Nicht irgendwo, sondern auf einem steil abfallenden Stück Rebterrasse, direkt unterhalb des Wahrzeichens der Region, der alten Burgruine Y-Burg, pflanzt er die Urahnen der heutigen Reben an. Statt Riesling, Chardonnay oder Trollinger wachsen dort Sorten, die schon mit ihrem Namen von einer längst vergangenen Zeit erzählen: Putzscheere, Blauer Kölner, Gelber Orleons oder Heunisch, das sind nur einige der exotischen Namen, für deren Erhalt sich Beurer stark macht. "Heunisch ist eine Rebsorte, die als Ur-Rebe des heutigen Rieslings gilt, bei der man also Genmaterial auch im Riesling oder im Chardonnay findet."

Eigentlich ist Jochen Beurer für seine sortenreinen Rieslinge bekannt. Im Museumsweinberg dagegen ist alles anders. "Früher war der Gemischte Satz im Weinberg der Normalfall", erklärt der Rekultivierungs-Fan. Das bedeutet, dass auch Beurer jetzt wieder eine Vielzahl verschiedener Rebsorten in einen Weinberg pflanzt. Damit landen, wie im Mittelalter üblich, weiße und blaue Trauben bei der Weinlese in einem Bottich, werden gemeinsam verarbeitet und gemeinsam getrunken. Für die mittelalterlichen Winzer sei das eine Frage der Ertragssicherung gewesen, erklärt Beurer. "Wenn die Spätfröste da waren, dann sind ein paar Stöcke verfroren, während andere durchkamen." Das sicherte dem Winzer auch in schlechten Jahren das Überleben.

Zwei Generation, ein Museumsweinberg: Jochen (rechts) und Siegfried Beurer (Foto: DW/ R.Fuchs).
Zwei Generation, ein Museumsweinberg: Jochen (rechts) und Siegfried BeurerBild: DW/R. Fuchs

Bohnen, Tulpen und Zwiebeln gehörten früher auch zum Weinberg

Doch damit nicht genug: Neben unterschiedlichsten Rebsorten wurden früher zwischen die Rebstöcke auch allerlei Zier- und Nutzpflanzen gesetzt. "Da hat man Bohnen, Zwiebel, Knoblauch und Tomaten gepflanzt, aber auch Tulpen, Osterglocken oder Traubenhyazinthen", erzählt Ebbe Kögel. Er ist Heimatforscher im Ort und arbeitet derzeit mit dem Projekt "Dorfgedächtnis" an einem Dokumentarfilm über die Arbeit im Weinberg.

Und noch etwas ist auf dem 1400 Quadratmeter großen Museumsstück anders als im heutigen Weinbau. Statt die Rebstöcke in geraden Linien entlang von Drahtgestellen zu pflanzen, wie heute üblich, herrscht im Museumsweinberg scheinbar Anarchie. Jeder Rebstock steht einzeln, umringt von hohem Gras und allerlei Kräutern. "Klar hätte man diese alten Rebsorten jetzt auch ganz normal im Spalier pflanzen können", sagt der Vater von Jochen Beurer, Altwinzer Siegfried Beurer. Doch schnell war klar, dass die Beurers einen echten mittelalterlichen Weinberg wollten. Und dazu gehöre eben auch, findet Siegfried Beurer, die historischen Anbaumethoden wiederzuentdecken.

Mit Pfeifengras wurden die Triebe von Hand angebunden

Eine Schlüsselrolle spielen dabei drei Holzpfähle, die jeden Rebstock stützen. Statt an Drahtseilen werden die Triebe der Reben an diese Pfähle gebunden. "Das ist die alte württembergische Drei-Schenkel-Erziehung", erklärt Siegfried Beurer. Die Schenkel, wie die Pfähle auch genannt werden, stützen die Rebe, wenn sie weiter austreibt. So ufert sie nie nach rechts oder links aus, erklärt
Sohn Jochen weiter. "Wichtig ist hier auch, dass man konsequent arbeitet, also nur mit Pfeifengras die grünen Triebe hochbindet." Zum Einsatz kommen so nur natürliche Materialien, Kunststoffband und Draht bleiben außen vor.

Im Museumsweinberg werden die Reben mit drei Pfählen statt modernen Drähten angebunden (Foto: DW/ R.Fuchs).
Drei Pfähle, viel Arbeit: Weinbau im Mittelalter war KnochenarbeitBild: DW/R. Fuchs

Ein Siebtel des Museumsweinbergs bewirtschaftet der Familienbetrieb nach dieser traditionellen Reben-Erziehungs-Methode. Der Nachteil: Jeder Trieb der Rebe muss einzeln an die Schenkel angebunden werden. Und je größer der Rebstock wird, desto öfter muss das wiederholt und nach oben verschoben werden. Das braucht mindestens die doppelte Arbeitszeit wie in modernen Reb-Anlagen. Für die Rekultivierungs-Fans aus dem Remstal, dennoch kein Grund zum Aufgeben. "Ich würde hier keine Zeit stoppen", sagt Jochen Beurer.

Drahtanlagen wie hier unter der Y-Burg im Remstal sind im Weinbau heute Standard (Foto: DW/ R.Fuchs).
Drahtanlagen wie hier unter der Y-Burg im Remstal sind im Weinbau heute StandardBild: DW/R. Fuchs

Ganz ohne Technik große Weine machen

300 Flaschen will der Winzer vom 2014er Museumswein in den Keller bringen. Keine gerade große Ausbeute, angesichts der beschwerlichen Knochenarbeit, die der historische Weinberg der Familie abverlangt. Dennoch ist für Jochen Beurer und seine Familie das Rekultivierungs-Projekt ein Erfolg. "Dass man ohne große Technologie doch auch Wein machen kann", sagt Jochen Beurer, "das ist das eigentlich Faszinierende an diesem Projekt."