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Eine Geschichte vom Glücklichwerden

Katrin Schlusen14. Juni 2013

Judith Kerr flüchtete als Kind mit ihrer Familie vor den Nazis nach London. Später schrieb die Autorin über ihre Erlebnisse das Jugendbuch "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl". Ein Porträt zu ihrem 90. Geburtstag.

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Judith Kerr (Foto: picture alliance)
Judith KerrBild: Picture-Alliance/Tagesspiegel

Januar 1933: Das jüdische Mädchen Anna flüchtet mit ihrem Bruder und ihrer Mutter aus Berlin in die Schweiz. Ihr Vater, ein bekannter Intellektueller, erwartet sie dort. Die Familie musste fast alles zurücklassen - auch das rosa Kuschelkaninchen von Anna. Es ist der Beginn einer Exilgeschichte. Aufgeschrieben hat sie die Schriftstellerin Judith Kerr. Der Roman "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" verkaufte sich 1,3 Millionen Mal. "Er ist einer der Klassiker im Kinderbuch-Segment", heißt es aus ihrem deutschen Verlag.

Ein Buch, das mit einer erschütternden Geschichte verknüpft ist. Der Roman erzählt, auch wenn die Protagonisten andere Namen tragen, die Geschichte von Judith Kerrs Kindheit. Er gilt als einer der ersten Romane für Jugendliche, die sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen.

"Ist es nicht herrlich, Flüchtling zu sein?"

Judith Kerr wurde als zweites Kind des jüdischen Theaterkritikers Alfred Kerr und seiner 31 Jahre jüngeren Frau Julia in Berlin geboren. 1933 flüchtete die Familie vor den Nationalsozialisten ins Ausland. Es begann eine dreijährige Odyssee durch Europa: Schweiz, Frankreich, Belgien und schließlich England. Als die einst wohlhabende Familie in London ankommt, sind die Eltern finanziell am Ende. Sie und ihr Bruder Michael dagegen empfinden die Flucht als Abenteuer. "Als mein Vater und ich aus dem Fenster schauten, da sah man die Dächer von Paris und ich sagte: 'Ist es nicht herrlich, Flüchtling zu sein?'", erinnerte sich Judith Kerr 2011 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk.

Nach dem Krieg wurde der Vater - mittlerweile 81 Jahre alt - zu einer Theaterpremiere nach Hamburg eingeladen. Das Publikum applaudierte für ihn, den berühmten Theaterkritiker. Für Kerr die Würdigung, auf die er so lange warten musste. Nachts im Hotel erlitt er einen Schlaganfall, von dem er sich nicht mehr erholte. Er nahm Schlaftabletten, um sein Leben selbst zu beenden. In dem letzten Brief an seine Tochter heißt es: "Du musst glücklich werden. Tu es."

Alfred Kerr (Foto: picture alliance)
Späte Würdigung für den Vater: der Theaterkritiker Alfred Kerr (Foto von 1927)Bild: picture-alliance / akg-images

Karriere als Kinderbuchautorin

Aber wie wird man mit einem so schweren Erbe glücklich? Judith Kerr gab sich alle Mühe, in England - ihrer neuen Heimat - anzukommen. Sie studierte mit einem Stipendium an der "Central School of Arts and Crafts" in London. Nach der Ausbildung arbeitete sie unter anderem als Lektorin für die BBC. Dort lernte sie den Drehbuchautor Nigel "Tom" Kneale kennen - die große Liebe ihres Lebens. 1958 brachte sie ihre Tochter Tacy zur Welt, zwei Jahre später folgte ihr Sohn Matthew.

Ihr erstes Bilderbuch "Ein Tiger kommt zum Tee" erschien 1968 in England. 1971 schrieb sie dann ihren berühmten Jugendroman "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl". Die Idee bekam sie durch ihre Kinder. Sie wollte zeigen, wie es wirklich war als Kind im Krieg. Für die deutsche Übersetzung - die übrigens von Annemarie Böll, Frau des Literatur-Nobelpreisträgers Heinrich Böll, angefertigt wurde - bekam sie 1974 den Deutschen Jugendbuchpreis. Zwei Fortsetzungen folgten. Als Nächstes widmete sie sich dem Kater Mog und seinen Abenteuern.

"Das hätte ihn wirklich gefreut"

Zusammen mit ihrem Bruder - mittlerweile ein Richter am britischen "High Court" - stiftete sie 1990 zu Ehren des Vaters den Alfred-Kerr-Darstellerpreis, der seitdem jährlich während des Berliner Theatertreffens verliehen wird. Judith Kerr denkt auch heute noch jeden Tag an ihre Eltern: "Ich hätte meinem Vater gerne gesagt, dass ich wirklich glücklich bin - das hätte ihn wirklich gefreut."

2006 starb ihr Mann Tom. Als Erinnerung an ihn brachte sie das Bilderbuch "My Henry" heraus. Heute lebt sie im Londoner Vorort Barnes. Ausruhen will sie sich nicht. In diesem Jahr wird sie in Großbritannien eine Autobiografie veröffentlichen. Es stehen mehrere Reisen an, unter anderem nach Deutschland. Ihre Assistentin ließ durchblicken, dass die Autorin gerade wieder an einem neuen Buch arbeitet.

Jubiläumsausgabe "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl", 256 Seiten, ab 12 Jahren, ISBN 978-3-473-54398-4