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Eine Taufe im Land der Gauchos

16. August 2014

Argentinien hat viele arme Gegenden. Hier wird die Kirche aktiv, auch die evangelische. Jan Schäfer hat die soziale und geistige Arbeit miterlebt und berichtet von einem Moment der Hoffnung bei den Hoffnungslosen.

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Argentinien Buenos Aires Slum
Bild: Daniel Garcia/AFP/Getty Images

Dienstfahrt in die Slums

Den wohlhabenden Vorort im Norden von Buenos Aires haben wir hinter uns gelassen. Nach und nach verschwinden die Villen. Und damit auch die hohen Mauern, die Kameras und die Wächter vor den Häusern. Die Häuser werden einfacher. Sie stehen dichter beieinander. Keines hat mehr als ein Stockwerk. Am Steuer sitzt Sabino, ein evangelischer Pfarrer wie ich. Ein Pfarrer der evangelischen Kirche in Argentinien. Sein Dienstwagen ist ein klappriger VW-Derby, fast 20 Jahre alt. „Den klaut keiner“, sagt Sabino. Und das ist auch gut so, denn abschließen geht schon lange nicht mehr.

Unser Ziel ist eine sogenannte Villa precaria. Was im Deutschen schön nobel wie Villa klingt, ist in Argentinien genau das Gegenteil. Eine Villa precariaist ein Wohngebiet aus Hütten und einfachen selbst zusammengebauten Häusern. Vor wenigen Wochen – bei der Fußballweltmeisterschaft – war immer wieder von den Favelas die Rede. Genau das ist eine Villa precaria. Und dorthin geht unsere Fahrt.

Sabino arbeitet schon lange mit den Menschen dort. Viele Pfarrer der evangelischen Kirche in Argentinien tun das, engagieren sich in Villas. Sie arbeiten mit Jugendlichen und jungen Familien. Beraten bei Fällen von häuslicher Gewalt. Sie bieten Workshops an für Kinder und Jugendliche. Sie kämpfen gegen die Kriminalität und den verbreiteten Drogenkonsum. Die ganz Armen schnüffeln Klebstoff.

Mehr als Geld

Sabino und seine Kollegen versuchen zu helfen: bei der Suche nach Arbeit und einer besseren Zukunft. Dieser Einsatz für die Armen der Stadt ist normal in den evangelischen Gemeinden Argentiniens. Dabei wurden die meisten Gemeinden von Deutschen gegründet. Sie leben in der Regel gut und gut bürgerlich. Aber sie geben nicht nur Geld an Brot für die Welt und oder die Diakonie. Sie geben auch Zeit. Die Gemeinden gehen auf die Menschen außerhalb zu. Reiche und Arme begegnen sich.

Eine Taufe aus der Plastikschüssel

Sabino parkt vor einem einfachen Haus. Es ist aus Steinen gemauert. Hier lebt eine junge Familie. Die junge Frau ist kaum 20 Jahre alt, auf dem Arm hält sie ein Baby, an der Hand einen Jungen, er ist vielleicht drei oder vier. Der Vater ist ebenfalls kaum älter als 20. Seine Arbeitsstelle als Maler hat er durch die Vermittlung Sabinos bekommen. Bei Sabinos letztem Besuch hat die Mutter den Wunsch geäußert das Baby taufen zu lassen, evangelisch. Heute soll es passieren. Eine Haustaufe. Die Paten sind zwei Brüder der Mutter. Das kleine Haus ist ärmlich, aber sauber. Alle sitzen auf einfachen Plastikstühlen um den Tisch in der Mitte. Von der Decke strahlt eine einzelne Glühbirne. Mate wird gereicht, das argentinische Nationalgetränk, eine Art Tee aus den Blättern der Stechpalme. Und dann erklärt Sabino die Bedeutung der Taufe. Die Eltern kleben an seinen Lippen. Es wird feierlich. Aus seiner Tasche holt er die Bibel, eine Kerze, ein Kreuz. Die Kerze wird entzündet, Bibel und Kreuz auf den Tisch gestellt. Als Taufschale fungiert eine Plastikschüssel. Sabino liest das Taufevangelium, er fragt die Eltern und Paten, Wasser fließt, dreimal. Sabino segnet Kind und Eltern und den kleinen Bruder. Wir alle beten das Vaterunser. Danach ist Stille. Niemand sagt ein Wort. Zu ergriffen sind alle, spüren, dass etwas Besonderes passiert ist. Die Taufe dieses jungen Erdenbürgers lässt inmitten der Armut einen Funken der Hoffnung wachsen auf ein anderes, besseres Leben.

Nach einer Weile löst Sabino die Stille auf. Sorgfältig packt er Bibel und Kreuz wieder ein. Nur die Kerze brennt weiter auf dem Tisch. Auf den Gesichtern der Eltern und Paten löst sich die Anspannung. Vor allem die Mutter strahlt nun über das ganze Gesicht. Sie lädt uns zum Essen ein und selbstverständlich nehmen wir an. Das Wenige, was da ist, wird geteilt: es gibt Brot und Reis mit Bohnen. Heute scheint es allen besonders gut zu schmecken.

Nach einer weiteren Stunde nehmen wir Abschied. Noch an der Tür verspricht Sabino bald wiederzukommen. Die Familie weiß, er wird Wort halten. Für sie ist er die Verbindung in eine andere Welt ohne Gewalt, ohne Not und ohne Armut. Für sie und ihr Kind verkörpert er die Hoffnung auf ein besseres Leben, dass sie mit dem Glauben an Jesus Christus verbinden.

Zum Autor:
Geboren 1965 in Siegen und aufgewachsen in Koblenz. Nach dem Studium in Mainz, Marburg und Bonn arbeitete er seit 1996 als Pfarrer im Taunus, in den USA und in Frankfurt/Main. Seit 2009 ist er als Pfarrer im Schuldienst an einer Berufsschule in Frankfurt/Main tätig. Jan Schäfer ist verheiratet.

Evangelischer Pfarrer Jan Schäfer, Frankfurt am Main
Pfarrer Jan SchäferBild: privat