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"Eine Zivilgesellschaft wird zerstört"

Naomi Conrad8. Oktober 2013

Am Jahrestag der Ermordung der russischen Journalistin Anna Politkowskaja prangern Nichtregierungsorganisationen in Berlin die Verletzung von Menschenrechten in Russland an. Auch die Pressefreiheit sei nicht garantiert.

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Präsident Vladimir Putin eröffnet Fackel-Lauf in Sotschi (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die Welt, sagt der russische Journalist Sergej Solowkin, werde bestimmt in Sotschi eine "faszinierende Show" vorgegaukelt bekommen. Hinter den Kulissen aber spiele sich bereits jetzt "eine Tragödie" ab. Im Februar 2014 werden in der russischen Stadt an der Schwarzmeerküste die Olympischen Winterspiele abgehalten - und Aktivisten warnen vor Umweltzerstörungen und Misshandlungen von Wanderarbeitern, die in Sotschi Stadien und Unterkünfte bauen. Doch seine Kollegen in Sotschi müssten schweigen - zu groß sei die Angst vor Repressalien, sagt Solowkin, der 2002 in Folge eines versuchten Attentates aus seiner Heimatstadt fliehen musste.

Auch Ulrike Gruska von Reporter Ohne Grenzen mahnt, sich nicht von den bunten Bildern aus Russland blenden zu lassen. Der russische Staat lenke und kontrolliere die drei großen Fernsehkanäle des Landes. Bis auf wenige tapfere Ausnahmen gebe es kaum noch freie, unabhängige Berichterstattung in Russlands Fernsehlandschaft. So würden Anhänger von Präsident Wladimir Putin an allen "Schalthebeln" sitzen und sich und ihren Kollegen eine Selbstzensur auferlegen, fast alle Berichte würden vorher aufgenommen, um notfalls kritische Beiträge noch kurz vor der Ausstrahlung zu entfernen. Journalisten hätten gelernt, zu schweigen, wer allzu viel Kritik übe, sei längst entlassen worden, so Grunska, Autorin der Studie "Der Kreml auf allen Kanälen", die am Montag (07.10.2013) in Berlin vorgestellt wurde - dem Todestag der russischen Menschenrechtsaktivistin und investigativen Journalistin Anna Politkowskaja, die 2006 von unbekannten Tätern erschossen wurde.

Sergej Solowkin, (Foto: DW/Nikita Jolkver)
Sergej Solowkin: Journalisten schweigen aus AngstBild: DW/N. Jolkver

"Leute bekommen Angst"

Ein Anlass also, für Menschenrechtler in Berlin Bilanz zu ziehen: Die Verschärfung der Pressefreiheit reihe sich in eine ganze Palette von "unheimlichen Gesetzen", die in der dritten Amtszeit von Präsident Putin verabschiedet wurden, so Swetlana Gannuschkina von der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial: Von der Verschärfung des Versammlungsrechtes, über die Zensur des Internets, dem Gesetz gegen die Verbreitung von "Homosexueller Propaganda", bis hin zum Gesetz, das Nichtregierungsorganisationen wie Memorial zwingt, sich als "ausländische Agenten" zu registrieren, wenn sie Gelder aus dem Ausland erhalten und politisch aktiv sind. In Russland, so die Menschenrechtlerin, "erleben wir unter Putin, wie eine Zivilgesellschaft zerstört wird."

Das Agentengesetz diene "alleine dazu, dass sich Leute selbst diskreditieren müssen und ein stückweit Angst bekommen", bestätigt Peter Franck, Russlandexperte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Denn das Gesetz sei sehr vage ausgelegt und die Anwendung willkürlich: "Es kann jeden treffen, sogar einen Verein von Kranichschützern." Nichtregierungsorganistionen seien seit der Einführung des Gesetzes Anfang des Jahres permanent damit beschäftigt, sich zu verteidigen. Gannuschkina nickt. Auch Memorial warte auf den nächsten Gerichtstermin. Man wehre sich mit allen Mitteln gegen den Eintrag als "Agent." Denn "wir sind nicht bereit, uns einen gelben Stern anzuhängen", so die Menschenrechtlerin: "Wir wissen ja alle, was passiert, wenn man einen gelben Stern trägt."

Die russische Bürgerrechtlerin Swetlana Gannuschkina (Foto: picture-alliance/dpa)
Gannuschkina: "Wir sind nicht bereit, einen gelben Stern zu tragen"Bild: picture-alliance/dpa

"Lüge und Propaganda"

Einen Boykott der Olympischen Spiele wünscht sich Gannuschkina allerdings nicht. Politiker sollten aber darüber nachdenken, ob sie wirklich anreisen sollten, "weil sie das was in Russland passiert, legitimieren würden." Das: damit meint sie die Menschenrechtsverletzungen, die repressiven Gesetze und die Verschlechterung der Meinungsfreiheit in Russland. "Russlands Notsituation", so fasst es der russische Journalist Sergej Solowkin zusammen. Er hofft, dass ausländische Medien sich nicht von den bunten Bildern, der "Lüge und Propaganda", des Kremls blenden lassen, sondern selber genau auf die Missstände hinweisen. Denn seine Freunde in Sotschi müssen schweigen.