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Einmal auswandern und zurück - manchmal

Uta Steinwehr
7. Dezember 2019

Ob wegen Arbeit oder Liebe - es wandern mehr Deutsche aus, als aus dem Ausland zurückkehren. Die meisten von ihnen sind Fachkräfte, darum schlagen einige Ökonomen Alarm. Aber die Rückkehrer bringen auch Knowhow mit.

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Deutschland 2006 | Wegweiser vor dem Auswärtigen Amt
Wohin soll's denn gehen? Der Wegweiser vor dem Auswärtigen Amt in Berlin bietet einige Optionen.Bild: Imago Images/M. Popow

In den vergangenen zehn Jahren sind rund 180.000 Deutsche pro Jahr ins Ausland gezogen, während durchschnittlich 129.000 Bundesbürger wieder nach Deutschland zurückkehrten. Das ist ein erstes Ergebnis einer Studie der Universität Duisburg-Essen und des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung, die sich mit deutschen Auswanderern und Rückkehrern befasst. Rund drei Viertel dieser Migranten sind hoch qualifiziert.

In Medien und sozialen Netzwerken ist umgehend diskutiert worden, wie zuverlässig die Zahlen seien. Sie resultieren aus der Meldestatistik beim Statistischen Bundesamt - allerdings hat sich die Datenerhebung in dem Zeitraum geändert und die Zahlen lassen sich somit nicht auf das Jahr genau bestimmen. Darum gibt die Studie bewusst nur den Durchschnittswert des Jahrzehnts an, erklärt Andreas Ette, Leiter der Forschungsgruppe beim Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung.

Braindrain: ja oder nein?

Die Mehrzahl der Auswanderer lebt nur eine begrenzte Zeit im Ausland. Statistisch bleibt aber pro Jahr ein Minus von rund 51.000 Menschen, die nicht nach Deutschland zurückkehren. "So ein negatives Wanderungssaldo der eigenen Staatsangehörigen gibt es im Prinzip in allen Industriestaaten", erklärt Ette. Von einem Braindrain, dem Verlust hochqualifizierter Fachkräfte, kann nach seiner Einschätzung aber erst gesprochen werden, wenn deutlich mehr Hochqualifizierte auswandern als zurückkehren. "Hierfür sehen wir in unserer Studie aber kaum Belege", sagt Ette. Bei den deutschen Auswanderern haben demzufolge 76 Prozent einen Hochschulabschluss, bei den Rückkehrern sind es 68 Prozent.

Frankreich Vorlesungssaal in der Paul Verlaine Universität in Metz
Im Ausland studieren - zum Beispiel hier in Metz in Frankreich - gehört für viele heute schon fast zum guten TonBild: Imago Images/Danita Delimont/D. R. Frazier

Ette plädiert dafür, die gesamte Wanderungsbewegung zu betrachten, also auch die Einwanderung von ausländischen Fachkräften nach Deutschland. Diese Bilanz sei positiv. Dieses Argument unterstützt auch Werner Eichhorst von der Denkfabrik Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA): "Man kann nicht einfach sagen, wir verlieren jedes Jahr 51.000 Leute auf Dauer und deswegen hätten wir Engpässe auf dem Arbeitsmarkt." Der Wissenschaftler hält die Zahlen zu deutschen Auswanderern und Rückkehrern für "überschaubar". Bei etwa 45 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland entsprechen sie deutlich weniger als einem Prozent, rechnet er vor.

Gabriel Felbermayr, Präsident des Institut für Weltwirtschaft in Kiel, sieht die Zahlen kritischer: "Wir haben über die letzten zehn Jahre eine halbe Million Menschen ans Ausland verloren und drei Viertel davon sind hochgebildet. Das ist für eine Volkswirtschaft wie die deutsche, die stark auf gut ausgebildete Menschen angewiesen ist, keine gute Nachricht." Ausländische Einwanderer könnten das Minus nicht komplett ausgleichen, da sie nicht immer ausreichend qualifiziert seien.

Ob die deutschen Auswanderer in den Branchen arbeiten, in denen in Deutschland Fachkräftemangel herrscht oder bevorsteht, lässt sich noch nicht sagen, da die entsprechenden Daten noch nicht ausgewertet sind.

Darum wandern Deutsche (vorübergehend) aus

Welche Anreize müsste es für Deutsche geben, damit sie zurückkehren? Um das zu beantworten, muss zunächst klar sein, warum sie überhaupt gegangen sind.

In der neuen Studie befragten die Autoren mehr als 10.000 deutsche Auswanderer und Rückkehrer nach ihren Motiven. Der wichtigste Grund für das Leben im Ausland ist der eigene Job - für fast 58 Prozent der Befragten war das entscheidend. Ein wichtiger Punkt ist dabei auch das Geld. Im Schnitt verdienen die Auswanderer im Monat netto fast 1200 Euro mehr. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die Lebenshaltungskosten in anderen Ländern höher als in Deutschland sein können, bleibt ein Plus.

Infografik Warum ziehen Deutsche in Ausland? (Foto: DW)

Für knapp 46 Prozent der Befragten ist der Lebensstil relevant. Darunter fallen in der Studie Faktoren wie besseres Klima, eine andere Lebensart oder das Sammeln neuer Erfahrungen. Mehr als jeder Dritte gibt familiäre oder partnerschaftliche Gründe an - also zum Beispiel, dass die Lebensgefährtin oder der Lebensgefährte aus einem anderen Land stammt. 30 Prozent der Befragten gingen wegen des Berufs des Partners oder der Partnerin in Ausland; 20 Prozent fürs Studium. Am wenigsten relevant war die Unzufriedenheit mit dem Leben in Deutschland.

Das sind Anreize für die Rückkehr

Werner Eichhorst vom IZA spricht von einem Standortwettbewerb nicht nur um Unternehmen, sondern auch um Fachkräfte. "Gerade die international mobilen Höherqualifizierten können sich ihren Job aussuchen und entscheiden: Wie passen die Karrieremöglichkeiten mit der Einkommensperspektive, aber auch mit dem privaten Umfeld zum jeweiligen Lebensabschnitt?" Hier zählen Stichworte wie Kinderbetreuung oder Wohnsituation. Die Politik, so Eichhorst, müsse dafür sorgen, dass es nicht nur für Unternehmen günstige Bedingungen gibt, sondern auch für Beschäftigte.

Deutsche Rentner suchen ihr Glück im Ausland

Felbermayr hält besonders den finanziellen Aspekt für ausschlaggebend: "In Deutschland sind Steuern und Abgaben hoch und die Löhne für Hochqualifizierte relativ niedrig." Der Wirtschaftswissenschaftler schlägt vor, sich skandinavische Länder zum Vorbild zu nehmen und Heimkehrer für eine bestimmte Zeit von Sozialversicherungsbeiträgen zu befreien oder die Abgaben zumindest zu reduzieren. Ähnliches könnte er sich bei der Einkommenssteuer vorstellen.

Für den Ökonom geht es gerade im akademischen Bereich auch um Arbeitsbedingungen. "Die Chancen sind im Ausland größer, voranzukommen, einen Durchbruch zu erzielen, sich einen Namen zu machen, als dass das in Deutschland der Fall wäre, weil diese Forschungseinrichtungen oft besser ausgestattet sind." Als positives Beispiel nennt Felbermayr die Schweiz. Dort seien die Universitäten für ausländische Professoren in den vergangenen zehn bis 15 Jahren viel attraktiver geworden, weil viel Geld investiert worden sei. "Das kann man nachmachen."

Punkten mit Sicherheit und Weltoffenheit

Auch Eichhorst sieht deutsche Hochschulen nicht unbedingt als guten Arbeitgeber. Die Jobsicherheit sei nicht sehr groß. An Universitäten werden teils Verträge mit einer Laufzeit von nur drei Monaten ausgegeben. Für den akademischen Bereich schlägt Eichhorst daher vor, mehr unbefristete Stellen zu schaffen oder zumindest deutlich längere Vertragslaufzeiten, denn das habe "viele Leute aus Deutschland vertrieben". Punkten könne Deutschland aber in anderen Fragen von Sicherheit wie der Rechtssicherheit oder der sozialen Absicherung. Das spiele gerade für Familien eine Rolle.

Unternehmen könnten sich auch selbst attraktiv machen, denn Eichhorst gibt zu bedenken: "Personen, die schon relativ früh im Leben ins Ausland gegangen sind, haben eine größere Neigung, im Laufe des Berufslebens noch einmal eine Phase im Ausland zu verbringen." Erfahrungen wie ein Auslandssemester, Reisen oder einen Schüleraustausch können den Lebensstil internationaler ausrichten. "Daraus entstehen Erwartungen oder Ansprüche, dass Unternehmen eine gewisse Weltläufigkeit haben." Deutsche Arbeitgeber könnten seiner Ansicht nach höherqualifizierte Absolventen gewinnen oder gar längere Zeit im Unternehmen halten, wenn sie den Angestellten eine Zeit im Ausland ermöglichen.

Trotz allem sieht keiner der Experten einen Grund dafür, den Wegzug Deutscher ins Ausland zu verhindern. "Personen, die im Ausland gewesen sind, sammeln Eindrücke, Erfahrungen und Fähigkeiten im Umgang mit anderen Kulturen, die, wenn sie zurückkommen, für ihre Karriere, aber auch die Wirtschaft von Nutzen sein können", sagt Eichhorst. Das ist ein Gewinn für alle.

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