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Der Fall Marwa El-Sherbini

10. Juli 2009

Der Mord an Marwa El-Sherbini während einer Gerichtsverhandlung hat zu einer breiten Diskussion über Islamfeindlichkeit in Deutschland geführt. Was ist genau passiert? Eine Chronologie der Ereignisse.

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Hochzeitsfoto von Marwa El-Shabini und ihrem Ehemann (Foto: dpa)
Das Hochzeitsfoto der getöteten ÄgypterinBild: dpa

Begonnen hatte alles im August 2008 mit einem Streit auf einem Kinderspielplatz in Dresden. Der Russlanddeutsche Alex W. war dort mit seiner Nichte. Als ihn die Ägypterin Marwa El-Sherbini bittet, die Schaukel, auf der er sitzt, für ihren dreijährigen Sohn frei zu machen, rastet er aus: "Schlampe", "Islamistin", "Terroristin", das sind die Ausdrücke mit denen er die 31-jährige Kopftuchträgerin beschimpft. Marwa El-Sherbini will sich das nicht gefallen lassen und zeigt Alex W. an.

Bluttat im Gerichtssaal

Das Amtsgericht Dresden verurteilt den 2003 eingewanderten Russlanddeutschen zu einer Geldstrafe von 780 Euro wegen Beleidigung. Auch während dieser Verhandlung soll er sich mehrfach in rassistischer Weise geäußert haben. Am 1. Juli 2009 es kommt dann zum Revisionsverfahren am Dresdner Landgericht. Und hier geschieht die Bluttat.

Gerade hat Marwa El-Sherbini ihre Zeugenaussage beendet, da wird sie von Alex W. mit einem großen Messer attackiert. Immer wieder sticht er auf sie ein. Der Ehemann versucht, seiner Frau beizustehen, auch er wird lebensgefährlich verletzt. Ein herbeigeeilter Polizist, der im Nebensaal einen anderen Prozess verfolgt, hält irrtümlich den Ehemann für den Angreifer und schießt ihm in den Oberschenkel. Die im dritten Monat schwangere Marwa El-Sherbini stirbt noch im Gerichtssaal, der schwer verletzte Ehemann wird ins Krankenhaus gebracht, der dreijährige Sohn wird Augenzeuge der mörderischen Attacke.

Die Reaktion der Öffentlichkeit

Am ersten Tag berichten viele Medien im Tenor: "Angeklagter tötet Zeugin". Am zweiten Tag werden die fremdenfeindlichen und rassistischen Aspekte deutlich. "Es war eindeutig eine ausländerfeindliche Tat eines fanatischen Einzelgängers", sagt der Dresdner Oberstaatsanwalt Christian Avenarius. "Ausländerhasser zerstörte Familieglück", titelt die "Bild"-Zeitung. Auf den spezifisch islamfeindlichen Aspekt der Beleidigungen "Islamistin - Terroristin" geht kaum ein Medium ein.

Portraitaufnahme Ayyub Axel Köhler (Foto:dpa)
Der Vorsitzende des Zentralrates der Muslime, Ayyub Axel KöhlerBild: picture-alliance/dpa

Die muslimischen Gruppierungen in Deutschland nehmen dieses Manko sehr deutlich wahr. Der Zentrale Rat der Muslime titelt am 5. Juli 2009 auf seiner Internetseite: "Aus Islamhass getötet." Der Koordinationsrat der Muslime, in dem die vier größten muslimischen Verbände vertreten sind, veröffentlicht am 7. Juli 2009 eine gemeinsame Stellungnahme. Darin heißt es: "Marwa ist auch Opfer der Hetze und Verleumdungen, die spätestens seit der Zeit der Entscheidung zum Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst und auf einschlägigen Internetseiten betrieben wird. (…) Die Politik muss endlich die Islamphobie in unserem Land ernst nehmen."

Die Reaktion der Bundesregierung

Porträt Thomas Steg (Foto: AP)
Regierungssprecher Thomas Steg bemühte sich, die Wogen zu glättenBild: AP

Die Muslimischen Verbände beklagten auch die spärlichen und verspäteten Reaktionen von Seiten der Medien und der Politik. Eine Kritik, die die Bundesregierung nicht auf sich sitzen lassen wollte, zumal am Montag (06.07.2009) bei der Beerdigung von Marwa El-Sherbini in ihrem Heimatland Ägypten die Emotionen hochgekocht waren.

Am Mittwoch (08.07.2009) ging Regierungssprecher Thomas Steg dann noch einmal ausführlich auf die Vorwürfe ein: "Die Bundesregierung hat reagiert. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer, hat gegenüber dem Ehemann die Anteilnahme der Bundesregierung zum Ausdruck gebracht. Sie hat kondoliert. Sie hat den Abscheu über diese schreckliche und grauenvolle Tat zum Ausdruck gebracht. Die Bundesregierung hat nicht geschwiegen."

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich inzwischen selbst eingeschaltet und will mit dem ägyptischen Staatspräsidenten Hosni Mubarak auf dem G8-Gipfel im italienischen L'Aquila über den Fall reden. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich wollte zusammen mit dem ägyptischen Botschafter in Deutschland den verletzten Ehemann im Krankenhaus besuchen.

Autorin: Rachel Gessat
Redaktion: Hartmut Lüning / Kay-Alexander Scholz