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"Elektroauto? Nehmen Sie doch lieber ein Fahrrad!"

Ruth Krause, Anne-Sophie Brändlin23. Juli 2015

Deutschland ist Autobauerland - denkt man. Im Bereich der Elektroautos müssen wir allerdings noch aufholen.Neun Dinge, die zwei DW-Reporter beim Praxistest gelernt haben.

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Elektroauto Berlin Brandenburger Tor
Bild: picture-alliance/dpa/Sebastian Kahnert

Deutschland ist bekannt für Autos. Für Mercedes, Porsche und für eine Autobahn ohne Geschwindigkeitsbegrenzung. Aber wer probiert, in Deutschland ein Elektroauto zu fahren, bekommt einen anderen Blick auf die Deutschen und ihre Autos. Diese neun Dinge haben wir bei einem Selbstversuch gelernt:

1. Kaum einer kauft Elektroautos

VW, Porsche, Mercedes, BMW - alle großen deutschen Hersteller haben auch Elektroautos im Sortiment. Aber ein Elektroauto selbst kaufen? Für die meisten Deutschen kommt das laut Statistik nicht in Frage: Nur 0,6 Prozent aller in Deutschland verkauften Neuwagen im ersten Quartal 2015 waren Elektroautos. Zum Vergleich: Norwegen schaffte es auf circa 20 Prozent.

2. Weit kommt man damit selten

Unser Ursprungsplan war, in drei Tagen 700 Kilometer quer durch Deutschland zu fahren. Diesen Plan hatten wir genau so lange im Kopf, bis wir Reichweiten recherchierten: 60 Kilometer, 140 Kilometer, 200 Kilometer - das sind die üblichen Zahlen. Falls es ein reines Elektroauto ist, bleibt es danach stehen, ein Hybridauto schaltet auf Benzin um. Nur der Tesla - der Porsche unter den Elektroautos - kommt auf knapp 500 Kilometer Reichweite. Doch den kann man nicht mieten, nur kaufen: Für etwa 100 000 Euro.

3. Hier sind sie eine Rarität, in anderen Ländern Alltag

100.000 Euro? Das ist nicht bei jedem Autokäufer im Budget. Während der Tesla in Deutschland deshalb eine Rarität ist, gehört er in anderen Städten zum Alltag. In Amsterdam und Wien gibt es ihn auch als Taxi - zum ganz normalen Taxitarif.

4. Leihen ist mühsam

Amsterdam Taxifahrt mit dem Tesla
Na also, geht doch! Die Reporterinnen vor einem Taxi-Tesla in Amsterdam.Bild: DW/R. Krause

Bei unserer Suche nach Fahrzeugen mit einer möglichst hohen Reichweite bleiben eigentlich nur Hybridfahrzeuge, die irgendwann auf Benzin umstellen. Doch die gibt es nicht zur Einwegmiete, sondern müssen immer am selben Ort abgegeben werden und zudem meist Tage oder Wochen im Voraus gebucht werden. Wir erkundigten uns im Kundencenter bei Sixt, dem Marktführer. Rückfrage des Kundebetreuers:

"Muss es unbedingt ein rein elektrisches oder ein Hybrid-Auto sein?" Denn, wortwörtlich: "Verreisen mit dem Elektroauto funktioniert nicht." Stattdessen empfiehlt der Mitarbeiter ein sparsames Dieselfahrzeug. Wir lehnen ab - aus Umweltgründen. Er kontert: "Sie wollen klimafreundlich verreisen? Nehmen Sie doch ein Fahrrad!" Ernsthaft?

5. Laden kann eine Odyssee werden

Nach zwei Tagen erfolgloser Suche bekommen wir von VW einen Golf GTE, einen Hybrid mit einem Elektromotor und circa 60 Kilometern Reichweite. Alles prima, bis es ans Laden geht, denn unser Auto steht da, wo Autos eben stehen: Auf einem Parkplatz, 50 Meter von der Steckdose in unserem Hotelzimmer entfernt. Selbst wenn wir eine Kabeltrommel dabei hätten und gewillt wären, das Kabel durch Hotellobby und Treppenhaus in den dritten Stock zu verlegen, bräuchten wir auch noch einen extrem gutmütigen Hotelbesitzer, der uns die ganze Nacht seinen Strom zapfen lässt. Zuhause in Köln lösen wir das Problem anders: Nach eineinhalbstündiger Suche nach einer Ladestation, stellen wir das ladende Auto vor der eigenen Haustür ab. Im Parkverbot, acht Stunden lang.

Uns schwant: Ladestationen sind ausschlaggebend für die Zukunft der Elektroautos. Und auch da sieht es nicht gut aus in Deutschland: Die Website "chargemap.com" findet für Berlins 3,5 Millionen Einwohner nur 190 Ladestationen im Umkreis von 20 Kilometern. Andere europäische Großstädte sind da weiter: Paris kommt bei Chargemap auf 1286 Stationen.

BdT Deutschland 25 Jahre VW aus Sachsen
Elektrostecker statt tropfender ZapfpistoleBild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

6. Die Industrie setzt zu wenig Anreize

Bis 2020 möchte die Bundesregierung eine Million Elektroautos auf die Straße bringen. Im Moment sind es knapp 19.000. Woran liegt es nun, dass sich Elektroautos in Deutschland so schleppend durchsetzen? Anja Smetanin vom VCD, dem ökologischen Verkehrsclub Deutschland, meint: "Es fehlen die Impulse aus der Industrie. Im Autohaus und in der Werbung sehen Sie nicht die Alternativen, sondern da sehen Sie die großen Benziner." Denn damit, so Smetanin, mache die Industrie ihren Gewinn.

7. Die Politik hinkt hinterher

Den zweiten Hauptgrund sieht Smetanin in der aktuellen Politik: "Die Bundesregierung setzt zu wenig Anreize." Deutschland könne ihrer Meinung nach Vorreiter sein, auch bei der Entwicklung von nachhaltigen Verkehrsmitteln. Aber: "Es fehlen die konkreten Maßnahmen und der Wille, den CO2-Ausstoß zu reduzieren." Auf unsere Frage an Bundesumweltministerin Barbara Hendricks, welche Verbesserung im Bereich Elektromobilität geplant sind, bleibt sie vage: "Diskutiert wird gerade, die steuerlichen Abschreibe-Bedingungen für Dienstkraftfahrzeuge zu verbessern, wenn sie zumindest einen Plug-In-Hybridantrieb haben." Diese steuerliche Entlastung für Hybridfahrzeuge würde zwar einen Marktanreiz setzen, ist aber noch nicht von der Bundesregierung beschlossen.

8. Es gibt Lösungen

BdT Deutschland 25 Jahre VW aus Sachsen
Parkverbot und offenes Küchenfenster: So laden wir den Golf GTE.Bild: DW/C. Nasman

Trotz aller Widrigkeiten gibt es Menschen, die Versuchen, den Elektroautos zum Durchbruch zu verhelfen - nicht nur die großen Automobilhersteller. Das Berliner Start-up "Ubitricity" hat ein mobiles Ladegerät entwickelt, mit dem der Autofahrer unterwegs an jeder Steckdose Strom zapfen kann, ohne Strom schnorren zu müssen.

Das Ladegerät erfasst, wie viel Strom gezapft wurde, wie viel dieser kostet, speichert die Daten online und später bekommt der Autobesitzer die Rechnung nach Hause - das mobile Ladegerät funktioniert also ungefähr wie ein Mobiltelefon. Alles, was dafür notwendig wäre, sind zusätzliche Steckdosen an zugänglichen Stellen. Zum Beispiel an Laternenpfählen, denn da fließt ja sowieso Strom. Das, so schätzt Ubitricity-Gründer Knut Hechtfischer, kostet ein Zehntel einer gewöhnlichen Ladestation.

9. Wir sollten die Lösungen durchsetzen. Für die Umwelt - und für uns

Für neue Lösungen zu kämpfen, lohnt sich. Denn wenn man es einmal geschafft hat, die Vorplanung hinter sich zu bringen - und man in einem Elektroauto, egal welcher Marke, sitzt - kommt die Entlohnung: geräuschloses Fahren, ohne Abgase und tropfende Zapfpistolen. Den deutschen Autostolz - die Autobahn, Mercedes und VW, kann man dann einfach noch mehr genießen.