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Elektronische Heimat

Nadja Baeva5. November 2005

Ethnoportale in Deutschland boomen wie anderswo auch. Zwei Beispiele zeigen, wie überraschend wichtig diese "geschützte" Kontaktmöglichkeit sein kann.

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Bild: dpa

Fast jeder Kiosk in Deutschland bietet auf den Ständern ausländische Zeitungen und Zeitschriften an. Und was man im Viertel nicht bekommt, ist dann meist auf dem Hauptbahnhof zu haben. In den deutschen TV-Kabelnetzen haben sich die Migranten einige Kanäle gesichert. Nun sind die Einwanderer auch in der deutschen Internetwelt präsent.

Wie vieles im Web ist auch dieser Trend aus den USA gekommen: Dort haben die Plattformen der Chinesen, der Inder und der jungen Schwarzen mittlerweisen Millionen von Mitgliedern. Heute gibt es auch in Deutschland eine ganze Menge Ethnoportale, die Deutsch-Türken, Russlanddeutschen, Griechen, Italiener und Polen für sich entdeckt haben.

Einfach nur ein schöner Name

Im Chat auf "germany.ru" kennt man Marina Knauf unter dem Namen "kiska", was auf Russisch so viel wie "Kätzchen" bedeutet. Jeden Abend loggt sich die Russlanddeutsche auf der Webseite ein, um mit ihren Landsleuten über Alles und Nichts zu plaudern. "Für mich ist das einfach ein Ort, wo ich die Gleichgesinnten treffen kann, Leute, die meine Sprache sprechen", erklärt die Russin. "Das bedeutet schon viel in einem fremden Land."

Das Bedürfnis, sich mit seinen Landsleuten auszutauschen, haben offensichtlich noch viele andere, denn die Webseite "germany.ru" hat 300.000 registrierte Mitglieder. Täglich wird die Seite von etwa 30.000 Menschen besucht - die meisten sind Jugendliche, die in Deutschland leben.

Das, was sich heute als eine erfolgreiche Geschäftsidee herausgestellt hat, war am Anfang nur Spaß, erinnert sich "germany.ru"-Gründer Andreas Brückmann: "Im Jahre 1999 habe ich einfach so, ohne groß zu überlegen, die Adresse 'germany.ru' in Russland registriert. Ich hatte damals wirklich keine Idee, was ich mit dieser Adresse machen werde. Die Adresse war einfach schön."

Aber was sollte man daraus machen? Wenn "germany" - dann sollte die Webseite etwas über Deutschland beinhalten, wenn "ru" - dann auf Russisch, dachte sich der umtriebige Spätaussiedler aus St. Petersburg. So waren die ersten Inhalte auf dem Portal über Deutschland und in russischer Sprache.

Geld und Kontakte

Etwa zur selben Zeit und ebenfalls in Köln hatten drei türkische Brüder die gleiche Idee: eine Heimatecke im Internet für ihre Landsleute zu schaffen. "Uns ist aufgefallen, dass es für ethnische Zielgruppen keine Portale gab. So etwas muss es aber geben bei so vielen Türken in Deutschland. Wir haben uns Beispiele in Amerika angeschaut. Da gab es Portale für Asiaten, für Latinos und andere. Die haben wir uns als Vorbild genommen und deswegen die Idee dann umgesetzt," erzählt Tamer Kulmac, einer der Geschäftsführer. Der Name für die erste türkische Webseite in Deutschland war schnell gefunden: "Vaybee!", was soviel bedeutet wie "Wow!" oder "Klasse!". Heute ist "Vaybee.de" mit 400.000 Mitgliedern das erfolgreichste türkische Portal in Deutschland.

Auch "germany.ru" ist zur meistbesuchten Seite unter den russischen Nutzern in Westeuropa geworden. Beide Projekte sind zweisprachig und haben einen ähnlichen Weg hinter sich. Damals, vor sechs Jahren, haben sie mit Foren und Chats begonnen. "Es sollte eine Community sein - das war die ursprüngliche Idee. Dann hat sich das Ganze weiter entwickelt. Da wir ja auch ein Unternehmen sind, das Geld verdienen muss, wurden drum herum Geschäftsmodelle entwickelt." Kulmac nennt ein Portal für Singles, einen Online-Shop, in dem erster Linie Musikprodukte angeboten werden, und ein Reiseportal. "Da haben wir sogar viel mehr deutsche Kunden als türkische."

Bei "germany.ru" findet man die gleiche Angebotspalette. Nur statt Reisen zu verkaufen, organisiert Andreas Brückmann Konzerte russischer Rockgruppen in Deutschland. Das Portal muss sich ständig weiterentwickeln, denn die Pioniere sind nicht lange ohne Konkurrenz geblieben. Mittlerweile gibt es hier Tausende von Seiten für alle ethnischen Minderheiten.

Aber auch nach sechs Jahren stellt Andreas Brückmann fest, dass die Interessen der Nutzer immer noch die gleichen sind. Nach wie vor suchen viele im Internet menschliche Kontakte, erzählt der Russlanddeutsche. "Wir haben mehrere Umfragen gemacht. Fast 40 Prozent der Nutzer suchen nach einem Freund oder einer Freundin. Wir haben schon, denke ich mir, Tausende von Hochzeiten gefeiert - ich werde regelmäßig von Leuten, die ich gar nicht kenne, eingeladen." Und "germany.ru"-Kinder soll es auch schon viele geben, berichtet Brückmann.

Ohne Schleier

Fremd in einem neuen Land, ohne Freunde, ohne Sprache - kein Wunder, dass so viele Zuwanderer neue Kontakte im Internet suchen. Aber auch Deutsch-Türken, die die Sprache beherrschen und sich in Deutschland auskennen, greifen gerne zur Tastatur. Die Umfragen, die die Mitarbeiter von "Vaybee.de" durchgeführt haben, haben sogar etwas gezeigt, was man gerade bei Türken nicht erwartet hätte: Etwa 40 Prozent der Nutzer des Portals sind Frauen, im Internet eine überdurchschnittliche Quote. Weil sich im Netz freier kommunizieren lässt als in der realen Welt, vermutet "Vaybee.de"-Geschäftsführer Kulmac: "Das Internet ist einfach für unsere Nutzergruppe die ideale Form, weil es für die türkische Bevölkerung in Deutschland weniger soziale Strukturen, Kontaktmöglichkeiten als für die deutsche Bevölkerung gibt. Bekanntschaften machen, flirten, daten - das ist ein wichtiger Grund, warum die Frauen in einer sicheren Umgebung anonym einfach den Dienst nutzen."