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Literatur

Elke Schmitter: "Frau Sartoris"

Aygül Cizmecioglu hm
7. Oktober 2018

Wie weit würde eine verheiratete Frau gehen, um sich wieder lebendig zu fühlen? In ihrem Debütroman zeichnet die Journalistin Elke Schmitter das faszinierende Porträt einer Ehebrecherin aus der deutschen Provinz. 

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Symbolbild Trennung
Bild: imago/Steinach

Hier stand ein Klassiker Pate, ohne Frage! Frau Sartoris wirkt wie die jüngere Schwester der weltberühmten Madame Bovary. Gustave Flauberts berühmte Ehebrecherin löste im 19. Jahrhundert noch einen handfesten Skandal aus. Eine Frau, die sich den gesellschaftlichen Konventionen widersetzt und ihren Gefühlen folgt – zu viel Mut, zu viel weibliche Selbstbestimmung für die damalige Zeit. Die Leser waren über die "moralische Schwäche" der Hauptfigur entsetzt, das Buch wurde gar zensiert.

Langeweile vor dem Fernseher

Das musste Elke Schmitter rund 150 Jahre später nicht mehr befürchten – zum Glück! Gleich in ihrem ersten Roman ist sie so kühn, eine Figur in den Mittelpunkt zu stellen, die sich an großen Vorbildern misst. Gleichzeitig transportiert sie Fragen um Emanzipation und Freiheit elegant in die Gegenwart. 

"Frau Sartoris" von Elke Schmitter

Frau Sartoris blickt zurück auf ihr Leben. Es ist ein Leben in der westdeutschen Provinz. Ihre erste große Liebe wird eine veritable Enttäuschung. Sie verliebt sich in den Sohn eines Gutsbesitzers, doch die Beziehung übersteht den Sommer nicht. Der reiche Erbe heiratet lieber standesgemäß und serviert die arme Margarethe mit einem schnöden Abschiedsbrief ab. Welche Schmach, welch Herzschmerz!

Wie zum Trotz heiratet sie einen gemütlichen Sparkassenangestellten. Sie bekommen eine Tochter, und das Leben fließt in seiner Mittelmäßigkeit so dahin – samt Vereinsabenden, Kegeln und abendlicher Routine vor dem Fernseher.  

"Die Holzschale aus Spanien, in der die Salznüsse waren; ein kleiner Krug aus Zinn, in dem Zahnstocher staken; der Untersetzer aus Kork."

Neue Liebe mit Provinz-Casanova 

Elke Schmitter zeichnet ganz beiläufig das Sittenbild der jungen Bundesrepublik. Familienabende auf der gepolsterten Sofagarnitur, gelangweilte Hausfrauen, unglückliche Mütter - bundesrepublikanischer Alltag in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Denn Frau Sartoris ist dem Gleichmaß überdrüssig, sie will mehr von ihrem Leben – echte Liebe, Leidenschaft. Ein verheirateter Provinz-Casanova, so glaubt sie, könnte die Lösung sein. Sie verliebt sich und beginnt eine Affäre mit ihm. 

Natürlich endet alles in einer Tragödie. Der bis ins Detail geplante, gemeinsame Ausbruch scheitert an der Feigheit des Geliebten. Doch im Gegensatz zu Madame Bovary ergibt sich Frau Sartoris nicht leidend ihrem Schicksal. Hier gibt es zum Schluss noch einen echten Knalleffekt. 

Porträt Elke Schmitter
Seit den 1980er Jahren arbeitet Elke Schmitter als Kulturjournalistin für große deutsche ZeitungenBild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Wie Elke Schmitter mit großer dramaturgischer Sicherheit diese Katastrophe schon von Anfang in ihre Geschichte hineinwebt und nicht in die Klischeefalle tappt, das ist – gerade für einen Debütroman – außergewöhnlich. Ihr gelang ein Buch, das den Wunsch weckt, die Routine im eigenen Leben aufzubrechen – und sei es nur für einen Moment. 


Elke Schmitter: "Frau Sartoris" (2000), Berlin Verlag

Elke Schmitter ist Journalistin und Buchautorin. Geboren wurde sie als Kaufmannstochter 1961 in Krefeld. Nach dem Studium arbeitete sie anfangs beim S. Fischer Verlag, und wechselte dann als Redakteurin  ins Feuilleton der "Tageszeitung" (taz). Kurzzeitig war sie dort Chefredakteurin. Danach arbeitet sie als freie Autorin für die "Süddeutsche Zeitung  und die "Zeit". Seit 2001 ist sie Kulturredakteurin beim "Spiegel".