1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Embedded in Syrien

Juri Rescheto15. April 2016

Der Krieg in Syrien bestimmt die Schlagzeilen. Dennoch wagen sich ausländische Beobachter auf eigene Faust kaum noch ins Land. Die russische Armee hat jetzt Journalisten mitgenommen. Auch ein DW-Korrespondent war dabei.

https://p.dw.com/p/1IWcv
Syrien Krieg Kämpfe in Aleppo
Bild: picture-alliance/dpa/Sputnik/M. Voskresenskiy

Es ist schwarz, düster und laut. Notbeleuchtung und Scheinwerfer sind aus. Handys und Laptops verboten. Wir rasen. Zum Boden. Steil und in Kurven. Zum Schluss aber landen wir sanft wie eine Feder. "Die Russen haben's drauf" - geht mir durch den Kopf und nimmt mir die erste Angst weg.

Es ist eine außergewöhnliche Reise nach Syrien. Außergewöhnlich, weil auf Einladung des russischen Militärs. Sagen wir es offen: Wenn man sich auf eine solche Reise einlässt, dann im Bewusstsein, dass die russischen Militärs nur das zeigen, was sie zeigen wollen. Schließlich ist die russische Armee aktiver Kriegsteilnehmer, kämpft an der Seite von Assads Truppen. Doch die Chance auf so eine besondere Perspektive, die ergibt sich für einen Reporter nur selten. Deshalb reise ich mit.

Syrien russische Kampfjets
Unterwegs mit russischen Truppen in Syrien: der Moskauer DW-Korrespondent Juri ReschetoBild: DW/J. Rescheto

Der russische Luftaffenstützpunkt in Hmeimim im Westen Syriens gleicht einem Hochsicherheitstrakt. Selbst der Gang aufs Klo - in kleinen Gruppen und in Begleitung eines höflichen Scharfschützen. Wir bleiben hier nicht lange. Nach einer Nacht der Schlaflosigkeit und Ungewissheit auf dem langen Flug von Russland nach Syrien geht es an diesem frühen Morgen gleich weiter, zum nächsten Militärflughafen. Diesmal mit Hubschraubern. Zwei Stunden in der Luft durch Zentralsyrien. Durch Gebiete, die von Dschihadisten kontrolliert werden: IS, Al Nusra, Al Kaida. Wir fliegen tief. Sehr tief. Manchmal nur 20 Meter über der Erde, zeigen uns die Piloten auf ihren Messgeräten. Mir kommt es tiefer vor, als würden wir jeden Moment die Wüste berühren.

Kronzeugen russischer Hilfe

"Der Hubschrauber, - erklärt Igor Konaschenkow, Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums beim dröhnenden Lärm des Propellers - der Hubschrauber ist wendig und schnell, aber er ist auch ein leichtes Ziel für den Feind. Wenn er natürlich entdeckt wird. Tief zwischen den Hügeln kann man sich besser verstecken."

Palmyra, die antike Stadt ist unsere erste Station. Und spektakulärste. Ein Jahr lang in der Hand des IS drohte den weltberühten Ruinen die Zerstörung. Jetzt soll ein Dutzend westlicher Journalisten, die mit mir zusammen "embedded", also gemeinsam mit der russischen Armee reisen, sehen, was die Russen hier tun. Nur Gutes, aus Sicht der Russen. Sie halfen den Assad-Truppen Palmyra vom IS zurückzuerobern. Als Aufklärer, Ausbilder und Technikberater. Jetzt beseitigen sie Minen. Tödliche Fallen, die der IS hinterlassen hat. Überall. In Wänden und Decken, hinter Säulen und selbst am Boden unter der Asphaltdecke. Als wir eintreffen, sind schon ein Dutzend Minenräumer da. Zentimeter für Zentimeter tasten sie den Boden ab. Wir dürfen ihnen so lange bei der Arbeit zusehen wie nötig. Die Bilder sollen für sich sprechen, sie gehen um die Welt.

Syrien DW Reporter Juri Rescheto in Palmyra , Rescheto mit Helm und kugelsicherer Weste
Kein Schreibfehler, heißt wirklich so: Hmeimim, Russlands Militärstützpunkt in SyrienBild: picture alliance/dpa/Russian Defence Ministry

Im Schutz der Scharfschützen

In einer so genannten Kapsel geht's dann weiter. Kapsel nennt man hier das gepanzerte Personenfahrzeug. Es ist stickig und eng, man sieht die Welt draußen durch kleine runde Öffnungen, groß wie Tennisbälle.

Wir erreichen Al Qaryatayn, eine kleine Stadt in der Wüste, in der noch vor vier Tagen die Terrormiliz IS herrschte. Die Stadt muss einmal schön gewesen sein. Viel ist von dieser Schönheit nicht übrig geblieben. Al Qaryatayn, dessen Name "zwei Dörfer" bedeutet, gleicht heute einer Geisterstadt. Noch vor einem Jahrt lebten hier 14.000 Einwohner. Die meisten von ihnen Sunniten und syrische Christen. In einer Nacht im August vergangenen Jahres kamen die Terroristen des IS. Sie entführten 250 Menschen und besetzten die Stadt.

Jetzt bewegen sich hier eine Handvoll westlicher Reporter, beschützet von einer Handvoll russischer Scharfschützen.

Symbolische Gesten

Ob Zufall oder nicht, aber am Markrplatz werden gerade die Hilfspakete aus einem russischen Militär-LKW verteilt, als wir eintreffen. Etwa 100 Menschen, meist Männer, stehen geduldig in der Schlange. Sie sehen erschöpft aus. 15 Tonnen Lebensmittel hat Russland nach eigenen Angaben bereits an die Bedürftigen geliefert. "Russland ist mit euch!" - sagt ein russischer Offizier und zeigt mir die Tüte. "Das steht auf Russisch und auf Arabisch. Jeder erhält zwei Kilo Reis, zwei Konservendosen Rindfleisch, zwei Dosen Fischkonserven, Sardinen und zwei Kilo Zucker." Zwei Fahnen wehen über dem LKW, eine russische und eine syrische. Symbolträchtig. Einprägsam.

Syrien Palmyra Reportage
Gefahr überall - der IS hat das historische Palmyra vermintBild: DW/J. Rescheto

Syrer, mit denen wir uns unterhalten sprechen voller Dankbarkeit über die Assad-Truppen und die russische Armee. Beide sehen sie als ihre Befreier. "Ich bin sofort zurück gekommen, erzählt der 72-jährige Abdurahim Abdalla, - als ich erfuhr, dass der IS weg ist." Die Dschihadisten übernahmen die Kontrolle über Al Qaryatayn im August 2015. Herr Abdalla trägt ein Beduinentuch auf dem Kopf und einen einzigen sichtbaren Zahn im Mund. Der Mann verließ seine Heimatstadt, zog zu den Verwandten nach Damaskus. Viele der 14.000 Einwohner taten das Gleiche. Wer blieb, weil er nicht fliehen konnte, musste an den IS zahlen. "Wer nicht zahlen konnte, wurde entführt, gefoltert, getötet" - erzählt uns Vater Jack. Jack Murat ist Priester der syrisch-katholischen Kirche von Al Qaryatayn.

Syrisches Mosaikbild

Über dem Eingang zur Kirche weht jetzt die syrische Fahne. Damit den Besuchern klar ist, wer hier jetzt das Sagen hat. Noch vor vier Tagen hatte der IS seine Kommandozentrale in dieser christlichen Stätte. Nur so ist zu erklären, dass die Kirche von Al Qaryatayn weitgehend unbeschadet blieb. Mit Ausnahme von Altar und anliegendem Friedhof.

An Gottesdienst ist erst mal nicht zu denken. Immerhin aber sind die Heiligen Schriften noch da. Sie liegen am Boden und in Wandregalen. Kerzen brennen. Eine verwelkte Rose. Man hat hier auf uns gewartet. Man freut sich. Ein hoher Geistlicher spricht vom Neuanfang und der Hoffnung. Seine Worte klingen pathetisch, aber seine Freude ist echt. Wie wirken die Verbrechen der IS-Terroristen, die im Namen des Islam handeln, auf das Zusammenleben von Christen und Muslimen aus? Das möchte ich von einer zierlichen Frau wissen, die im hinteren Teil der Kirche leise betet. "Wir in Syrien haben schon immer zusammen gelebt," antwortet sie. "Etwas anderes kann ich mir gar nicht vorstellen. Syrien ist wie ein Mosaikbild und wir alle sind seine Steine. Wenn einer dieser Steine wegfällt, leidet das ganze Bild darunter."

Syrien Zivilisten kehren nach Palmyra zurück
Rückkehr in eine geschundene Stadt - Zivilisten auf dem Weg nach PalmyraBild: Getty Images/AFP/L. Beshara

Folterkammer in der Kirche

In den Wirtschaftsräumen der Kirche liegen viele Steine. Sie kommen vom großen Loch in der Wand. Es entstand offensichtlich bei der Rückeroberung durch syrische Truppen. Und Schuhe. Viele Schuhe. "Sie kommen von den Terroristen," sagt Vater Jack. Teekessel, Geschirr, Wasserbehälter, verstreut und verstaubt am Boden, sollen die Terrormilizen benutz haben. In den Katakomben der Kirche richtete der IS ein Gefängnis ein und eine Folterkammer. "Die Kirche ist der friedlichste Ort der Welt," seufzt Vater Jack leise. "Sie strahlt nur Gutes aus. Wenn ich aber weiß, was ausgerechnet hier angerichtet wurde, blutet mein Herz."

Unter Begleitung russischer Spezialeinheiten verlassen wir Al Qaryatayn. Ich bin froh, diesen Schutz zu haben, denn täglich wird die vereinbarte Feuerpause gebrochen. Das bekommen auch wir zu spüren, als wir plötzlich Schießereien hören. Schwarzer Rauch steigt auf. "Wir müssen uns beeilen," - sagt General Konaschenkow. Der Weg zurück nach Hmeimim geht schneller. Wir fliegen mit Nachtsichtgeräten in den russischen Hochsicherheitstrakt. Mitten in Syrien.