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Embryonen-Spuk

17. April 2010

Britische Wissenschaftler präsentieren der erstaunten Welt Embryonen mit drei Eltern und sprechen von einem Durchbruch im Kampf gegen Erbkrankheiten. Für Michael Lange ist es eher ein Klonexperiment durch die Hintertür.

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Michael Lange, Wissenschaftsjournalist und Biologe (Foto: DW)
Michael Lange, Wissenschaftsjournalist und BiologeBild: DW

Immer wieder sind es die Engländer. Auf der Insel wurde vor über 30 Jahren das erste Retortenbaby geboren, hier entstanden die weltweit ersten so genannten Designerbabies mit ausgewählten Erbinformationen, und auch die Dolly-Klontechnik, der so genannte Kerntransfer, hat von Schottland kommend in Newcastle in Nordengland ein neues zu Hause gefunden. In der abgelegenen Kleinstadt versuchten Wissenschaftler bereits um die Jahrtausendwende erfolglos menschliche Embryonen aus reifen Körperzellen zu klonen. Das sorgte weltweit für Empörung, so dass seit dem südkoreanischen Klonskandal um "Klonkönig" Hwang Woo Suk weitere Versuche unterblieben.

Bekämpfung von Erbkrankheiten nur ein Vorwand?

Geklonter menschlicher Embryo (Foto: AP/RBN Online/Life Science Center)
Der erste geklonte menschliche Embryo stammt auch aus den Forschungslaboren der Newcastle UniversityBild: AP/RBM ONLINE/LIFE SCIENCE CENTER

Dass nun Spezialisten aus Newcastle eine Methode vorstellen, die Erbkrankheiten verhindern soll, die durch fehlerhafte Mitochondrien, das sind Zellorganellen mit eigener Erbsubstanz, die als Energiekraftwerke der Zelle fungieren, verursacht werden, ist kein Zufall. Denn dabei setzten die Forscher auf die gleiche Technik, die als Klonversuche am Menschen bezeichnet wurden und mehrfach scheiterten. Jetzt jedoch verwendeten sie statt einer reifen Körperzelle eine frisch befruchtete Eizelle. Alle weiteren Schritte sind identisch mit dem Klonen. Das Verfahren führt wie beim Klonen zu einem Embryo mit fremden Mitochondrien. Die neuen Mitochondrien stammen von einer anonymen Eizellenspenderin. Die Forscher tauschen also beim Zellkerntransfer Mitochondrien aus. Und so lässt sich das verpönte Klonen als Methode zur Verhinderung von Mitochondrien-Krankheiten verkaufen. Ein Vorwand?

Dass bisher kaum jemand diese Mitochondrien-Krankheiten kennt, verwundert nicht, denn diese nur von der Mutter vererbten Krankheiten sind äußerst selten. Die Aussage der Forscher, dass eines von 250 Kindern daran leidet, ist nur vordergründig richtig. Die meisten Betroffenen sind durch kleine Erbgutfehler in den Mitochondrien nur wenig beeinträchtigt und kommen für die Behandlung nicht in Frage. Schwere Fälle wie Herzkrankheiten oder Muskelschwund durch fehlerhafte Mitochondrien sind hingegen extrem selten, so dass es nicht einmal verlässliche Zahlen gibt.

Mitochondrien (Foto: Louisa Howard)
Mitochondrien sind Organellen mit eigener Erbsubstanz. Als 'Kraftwerke' liefern sie der Zelle das energiereiche Molekül Adenosintriphosphat

Genmanipulation am Menschen

Andererseits birgt der Zellkerntransfer erhebliche Risiken. Wenn ein Zellkern verpflanzt wird, wie beim Klonen, dann ist das ein rabiater Eingriff in das Leben eines gerade entstehenden Embryos. Gesundheitsschäden, wie sie bei geklonten Mäusen, Rindern oder Schafen auftreten, sind zu erwarten oder jedenfalls nicht auszuschließen. Außerdem ist das Verfahren – ganz nebenbei - eine Genmanipulation am Menschen. Denn in den Mitochondrien stecken 0,1 Prozent des menschlichen Erbguts, und das wird bei der Übertragung eines Zellkerns in die bereitgestellte Eizelle ausgetauscht. Der Embryo erhält also 0,1 Prozent seines Erbmaterials (16 Gene) von einer anonymen Eizellenspenderin. Das wäre eine Keimbahntherapie, wie sie weltweit geächtet wird.

All das dürfte auch in Großbritannien für Diskussionsstoff sorgen. Aber vielleicht geht es ja gar nicht um medizinisch sinnvolle Forschung, sondern um eine wissenschaftliche Kuriosität, die alle unbeteiligten Beobachter ein wenig gruseln lässt. Ein Fachartikel, der ein paar Seiten weiter in der gleichen Ausgabe des Fachblatts "Nature" zu lesen war, fand hingegen kaum Beachtung. Über einhundert Forschungsinstitute und Kliniken des weltweiten Krebsgenom-Konsortiums präsentieren neue Anstrengungen, um die Krebsbehandlung in Zukunft effektiver zu gestalten und unnötige Fehlbehandlungen zu verhindern. Millionen Menschenleben könnten durch diese Forschung gerettet werden, millionenfaches Leid gelindert werden. Aber wen interessiert das schon, wenn es einen Embryo mit zwei Müttern zu bestaunen gibt?

Autor: Michael Lange
Redaktion: Judith Hartl