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Viel Streit um wenig Geld

Bernd Gräßler27. November 2008

Die Erbschaftssteuer bringt dem deutschen Staat jährlich gerade einmal vier Milliarden Euro ein. Doch die Regierungskoalition streitet seit zwei Jahren über ein neues Gesetz, das jetzt zur Abstimmung steht.

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Testament wird geschrieben(Quelle: dpa)
Die Deutschen haben viel zu vererben. Doch höchstens in zehn Prozent aller Erbfälle verdient der Staat mitBild: picture-alliance/dpa

Der berühmte Familienstreit ums Erbe ist harmlos im Vergleich mit dem politischen Gerangel um das deutsche Erbschaftssteuerrecht. Anfang 2007 hatten die Karlsruher Verfassungsrichter der Regierung aufgetragen, die Erben von Bargeldvermögen nicht länger stärker zu schröpfen als die Erben von Grundstücken oder Betrieben. Das Ergebnis des Richterspruchs, das neue Erbschaftssteuergesetz, wird an diesem Donnerstag (27.11.2008) im Bundestag verabschiedet.

CSU in Sorge um Villen am Starnberger See

Mit dem Richterspruch entbrannte ein Streit ums neue Gesetz, in dem sich CDU, CSU und SPD über fast zwei Jahre verhakelten. Besonders die bayerische CSU erweckte den Eindruck, als stehe der Untergang des Abendlandes bevor, wenn Häuser und Grundstücke plötzlich zum tatsächlichen Verkehrswert versteuert werden müssten. Der kleine Häuslebauer in München, dessen Immobilie in den letzten Jahrzehnten sprunghaft an Wert gewonnen habe, dürfe nicht bestraft werden, klagte der neue CSU-Chef Seehofer. In Wirklichkeit gehe es der CSU um die Villen der Millionärswitwen am Starnberger See, lästerte die SPD.

Doch letztlich setzten sich die Bayern durch. Beispiel: Bis zu 1,5 Millionen Euro teure Einfamilienhäuser, wie man sie am ehesten in exklusiven Wohnlagen des südlichen Deutschland findet, können unter bestimmten Bedingungen auch künftig steuerfrei vererbt werden.

Ehegatten und Kinder sind Gewinner

Auch 90 Prozent aller vererbten Unternehmen würden künftig frei von Erbschaftssteuer bleiben, rühmt sich die CSU. Im Gegenzug drückten die Sozialdemokraten eine Regelung durch, wonach die Steuerfreiheit für Unternehmenserben an eine bestimmte Lohnsumme und damit den Erhalt von Arbeitsplätzen geknüpft ist. Ansonsten gilt: Ehegatten und Kinder sind mit besonders hohen Freibeträgen, die nicht besteuert werden, die Gewinner der Reform. Entferntere Verwandte sind die Verlierer.

Die Einigung stand zuletzt unter Zeitdruck: Die vom Bundesverfassungsgericht gesetzte Frist läuft zum Jahresende 2008 ab. Sollte das neue Gesetz bis dahin nicht unter Dach und Fach sein, dürfte der Staat gar keine Erbschaftssteuer mehr kassieren. Ähnliches passierte 1995, als die Verfassungsrichter die Neuordnung einer anderen Steuer, der Vermögenssteuer, anordneten, die Regierung jedoch darauf verzichtete. Konsequenz: die Vermögensssteuer fiel weg. Auch auf die Erbschaftssteuer zu verzichten - wie beispielsweise Nachbar Österreich und andere europäische Länder - erwog man kurzzeitig auch in Berlin.

Viele in den Unionsparteien CDU und CSU nennen die Erbschaftssteuer eine "Neidsteuer" und würden sie am liebsten ganz abschaffen. Sie untergrabe das Privateigentum, heißt es, und sie sei ein bürokratisches Monster. Der Aufwand für die Erhebung der Steuer fresse einen Großteil der Einnahmen wieder auf. "Unter dem Eindruck der erstarkenden Linken wagte aber niemand den offenen Schlagabtausch mit den Befürwortern der Erbschaftssteuer", schrieb die "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Linke will reiche Erben stärker schröpfen

Die Linke und die Gewerkschaften fordern seit langem, der Staat solle den Erben stärker in die Tasche greifen, zugunsten von Bildung, Kinderbetreuung und Umwelt.

Insgesamt werden in Deutschland jedes Jahr schätzungsweise Vermögen im Gesamtwert von 150 bis 200 Milliarden Euro vererbt. Für den Staat fallen dabei nur 4 Milliarden Steuern ab. Viel zu wenig sei das, findet beispielsweise die Gewerkschaft "verdi" und spricht von einer Steueroase für reiche Erben. 12 Milliarden könnte der Staat einnehmen, wenn Erben so besteuert würden, wie bisher in Frankreich. Erbschaftspolitik sei Gesellschaftspolitik, meint der Göttinger Soziologe Jens Beckert und verweist darauf, dass sich soziale Ungleichheit durch Erbschaften fortpflanze und vermehre.

Große Koalition mit kleinem Anspruch

Die schwarz-rote Koalition in Berlin jedoch neigt nicht zu radikalen Lösungen. Sie begnügt sich damit, die Auflagen der Verfassungsrichter zu erfüllen. Von Reform kann nicht die Rede sein, es geht lediglich um ein wenig mehr Balance. Ob ihr das gelungen ist, werden - die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat vorausgesetzt - möglicherweise erneut die Richter in Karlsruhe zu beurteilen haben. Denn schon meldet der prominente Verfassungsrechtler Paul Kirchhof Bedenken an: Die Höhe der Steuer für Betriebsserben von der Erhaltung von Arbeitsplätzen abhängig zu machen, beeinträchtige die Unternehmerfreiheit. Der Streit ums Erbe geht also weiter.