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Politik

Entschädigung für Colonia-Dignidad-Opfer

17. Mai 2019

Über Jahrzehnte litten die Bewohner der Colonia Dignidad unter der Gewaltherrschaft ihres Gründers Paul Schäfer. Nun hat Deutschland den Opfern Hilfe zugesagt. Politiker begrüßen das Urteil. Doch es gibt auch Kritik.

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Chile Villa Baviera Colonia Dignidad
Bild: picture-alliance/dpa/EPA/EFE/M. Ruiz

Rund 240 Opfer der ehemaligen Siedlung Colonia Dignidad in Chile können auf finanzielle Unterstützung aus Deutschland rechnen. Jeder der Betroffenen kann bis zu 10.000 Euro erhalten. Das gaben Vertreter einer aus Parlamentariern und Mitgliedern der Bundesregierung gebildete Kommission am Freitag in Berlin bekannt. Das vorgestellte Hilfskonzept legt auch einen Fonds "Pflege und Alter" auf. Er soll die Opfer unterstützt, die keine Leistungen aus dem deutschen Sozialversicherungssystem erhalten.

Das Hilfesystem sei ein erster Schritt, hieß es aus der Kommission. Geplant sei, die Auszahlungen möglichst niedrigschwellig und unbürokratisch erfolgen zu lassen. Auch sollen an dem Ort eine Gedenkstätte und ein Dokumentationszentrum entstehen.

Die sektenartig organisierte Siedlung Colonia Dignidad, 350 Kilometer südlich der chilenischen Hauptstadt Santiago der Chile gelegen, war 1961 durch den Deutschen Paul Schäfer gegründet worden. Der im Jahr 2010 verstorbene, aus freikirchlichen Kreisen stammende Laienprediger hatte seinen Anhängern ein "urchristliches Leben im Gelobten Land" versprochen. Tatsächlich aber installierte er auf dem entlegenen Gelände ein diktatorisches Regime. Die Mitglieder der Sekte schottete er von der Außenwelt ab. Zu den Verbrechen zählten unter anderem Freiheitsberaubung, Zwangsarbeit und Sklaverei, Kindesmissbrauch, Körperverletzung, Folter und Verabreichung von Psychopharmaka ohne medizinische Indikation.

Paul Schäfer Gründer von Colonia Dignidad in Chile
"Pädophiler Sadist": Paul Schäfer, Gründer der Colonia Dignidad, hier eine Aufnahme aus dem Jahr 2005 Bild: dpa - Bildfunk

"Horror-Kolonie mit einem pädophilen Sadisten an der Spitze"

"Wir wissen, dass viele Betroffene aus alters- oder gesundheitlichen Gründen schnelle Hilfe benötigen", kommentierte der SPD-Politiker Niels Annen, Staatsminister im Auswärtigen Amt, die Entscheidung. Das nun gefundene Konzept werde wirksam helfen können. "Es erkennt die Leiden der so genannten Colonia Dignidad ausdrücklich an und es benennt unsere moralische Verantwortung."

Auch die Grünen-Politikerin Renate Künast, ehemalige Fraktionsvorsitzende ihrer Partei, begrüßte die Entscheidung. Es sei eine Besonderheit, dass es einen eigenen Fonds für Hilfe im Alter und Pflege gebe. "Denn diese Menschen haben größtenteils keine Altersvorsorge." Kritisch äußerte sie sich zur in Deutschland lange Zeit gängigen Praxis, die Verbrechen Schäfers und deren Folgen für die Opfer zu ignorieren. "Tatsache ist doch, und das war Ausgangspunkt für unsere Arbeit, dass deutsche Behörden weggesehen haben, sogar noch unterstützt haben", so Künast.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand bezeichnete die Colonia Dignidad als "Horror-Kolonie mit einem pädophilen Sadisten an der Spitze". Diese war "ganz sicher ein brutaler Ort, ein menschenverachtender Ort. Menschen wurden erniedrigt, sie wurden gequält, missbraucht und als Zwangsarbeiter ausgebeutet." Zusammen mit anderen Parlamentariern hatte er 2016 die frühere Siedlung besucht und dort auch Gespräche mit ehemaligen Opfern geführt. "Die menschlichen Begegnungen mit den Überlebenden sind uns allen sehr nahegegangen", so Brand. "Diese menschliche Nähe wollen wir auch bei der Umsetzung der Hilfe gewahrt wissen, darauf werden wir achten."

Colonia Dignidad - Opfer bis heute

Kritik: "Opfer brauchen nachhaltige Hilfe"

Wenig zufrieden mit dem bislang Erreichten ist hingegen Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika. Es sei gut und richtig, dass es für die Opfer nun Anerkennung gebe. Allerdings hätten es nachhaltigere Hilfen werden müssen. Die nun gefundene Unterstützung sei eher eine Anerkennungs-Einmalzahlung als ein Hilfsfonds. "Was die Opfer aber brauchen, ist nachhaltige Hilfe für die Bewältigung ihres Lebensabends. Das heißt eine Renten- und eine Krankenversicherung. Denn was sollen die Opfer machen bis zu dem Zeitpunkt, wo die Pflegesituation eintritt?" 

Darum seien die nun beschlossenen Zahlungen zwar ein erster kleiner Schritt in die richtige Richtung, berührten aber längst nicht den Kern der gesamten Aufarbeitung. "Wenn diese finanzielle Hilfe das einzige bleibt innerhalb der umfangreichen Aufarbeitung, die gefordert wurde, dann ist das sehr ernüchternd und ein Trauerspiel."

Außerdem, kritisiert Stehle, sei die Opfergruppe der chilenischen Kinder aus der Umgebung der Colonia Dignidad, die auf deren Gelände sexuell missbraucht wurden, in dem Konzept nicht explizit erwähnt. 

Chile Colonia Dignidad
Im Gedenken an die Oper: Kundgebung auf dem ehemaligen Gelände der Colonia DignidadBild: Asocacion por la Memoria y los Derechos Humanos Colonia Dignidad

Arzt der Colonia Dignidad in Deutschland freigesprochen

Die Verbrechen Schäfers und seines Umfelds hatten bis diesen Monat auch die deutsche Justiz beschäftigt. In der vergangenen Woche hatte die Staatsanwaltschaft Krefeld nach rund siebeneinhalb Jahren ihre Ermittlungen gegen den in Deutschland lebenden ehemaligen Arzt der Colonia Dignidad, Hartmut Hopp, eingestellt.

Wegen Beihilfe zum sexuellen Kindesmissbrauch war Hopp in einem Prozess in Chile zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Dem Vollzug der Strafe entzog er sich durch Flucht nach Deutschland. Die Krefelder Staatsanwaltschaft kam nun zu dem Ergebnis, die Feststellung in dem damaligen Urteil des chilenischen Gerichts reichten "nicht aus, um eine nach deutschem Recht strafbare Beihilfe des Beschuldigten zu den Straftaten Paul Schäfers zu belegen".

Menschenrechtler und Opfer kritisierten das Verfahren. Auch Jan Stehle hält den Ausgang des Prozesses für problematisch: "Es kann nicht sein, dass die Täter der Colonia Dignidad jetzt von Chile nach Deutschland kommen, weil hier Straflosigkeit herrscht, und genau das passiert gerade."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika