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Deutsche Hilfe weltweit

24. Juni 2010

Vom Nahen Osten direkt nach Südafrika: Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel ist unterwegs und DW-WORLD.DE sprach mit ihm über die Fußball-WM, den Sinn deutscher Entwicklungshilfe und Einreiseverbote.

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Entwicklungsminister Dirk Niebel verteilt im April 2010 Geschenke an Schüler des Theater-Projekts 'Youth Sensitization' in Daressalam, Tansania, (Archivfoto: dpa)
War bereits vor der WM in Afrika: Entwicklungsminister NiebelBild: picture alliance/dpa

DW-WORLD.DE: 30 Millionen Euro hat Deutschland für eine umweltfreundliche WM-Ausrichtung ausgegeben. Was ist konkret mit dem Geld passiert?

Dirk Niebel: Das ist insgesamt für die WM-Ausrichtung. Deutschland investiert im Rahmen der Weltmeisterschaft in neun afrikanischen Ländern insgesamt ungefähr 30 Millionen Euro – auch in eine umweltgerechte WM. Damit werden moderne Verkehrsmittel gefördert, Kompetenz wird übertragen von unseren Austragungsorten bei der WM 2006 auf die Verantwortlichen hier in Südafrika: Zum Beispiel wie man Zuschauerströme vernünftig leiten kann, die Organisation von Zu- und Abwasser und wie insgesamt der Rahmen geschaffen werden kann, dass es eine fröhliche WM wird.

Das Ganze kombinieren wir mit Bolzplätzen, die dazu dienen sollen, die gute Stimmung und die Freude am Fußball zu nutzen, um an Jugendliche heranzukommen, um sie in Gewaltpräventionsprojekte, HIV/AIDS- und Bildungsprojekte einzubinden. Denn der Fußball führt dazu, dass man Teamfähigkeit lernt und dass man lernt, Konflikte gewaltfrei zu lösen. Deshalb haben wir insgesamt eine ganze Menge vor. Wir wollen hier 100 Bolzplätze bauen. Die ersten werden wir noch während der WM einweihen.

Das EnerKey-Projekt: Deutsch-Südafrikanisches Forschungsprojekt für eine nachhaltige Entwicklung des sozialen Wohnungsbaus in Südafrika (Foto: IZT Berlin)
Deutsche Hilfe für Südafrika: Das EnerKey-ProjektBild: IZT Berlin

Sind Sie denn zufrieden mit dem, was bis jetzt schon umgesetzt wurde?

Ich bin sehr zufrieden mit den Dingen, die unmittelbar mit der Austragung der WM zu tun haben. Die anderen Projekte im Bereich der Gewalt- und Gesundheitsprävention werden noch lange nach der WM wirken. Diese Projekte werden sukzessive in den nächsten Jahren fertig. Es ist ganz klar: Wir wollen, dass die WM auch auf Dauer eine positive Wirkung in Afrika hinterlässt. Vor allem in Südafrika, aber auch auf dem gesamten Kontinent.

Sie wollen sich für faire Handelsbeziehungen mit Afrika einsetzen – wie wird das aussehen? Sollen Handelszölle für Importe in die EU abgebaut werden?

Es gibt schon Vereinbarungen mit vielen afrikanischen Staaten und der Europäischen Union, die so genannten EPAs, damit man unter erleichterten Bedingungen Handel betreiben kann. Aber darüber hinaus steht auch im Koalitionsvertrag, dass man die Doha-WTO-Handelsrunden entwicklungsorientiert zu Ende bringen muss und ich bin sehr froh, dass ich mit meiner Amtskollegin, Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner, daran arbeite, dass die EU die EU-Agrar-Export-Subventionen einstellt. Ich glaube, das ist etwas Wichtiges. Man muss wissen, dass durch die Verzerrung des Handels, also durch Handelshemmnisse, Schutzzölle, Exportsubventionen und ähnliches die Entwicklungsländer sechs Mal mehr Geld verlieren, als alle Geber der Welt an Entwicklungshilfe zusammen bezahlen.

Das Problem bei den Handelszöllen und Subventionen ist aber, dass da nicht alle mitziehen wollen.

Ja. Das ist leider der Grund, weshalb die Doha-Runde so lange dauert. Die WTO-Verhandlungen müssen abgeschlossen werden – auch im Interesse der Entwicklungsländer. Daran arbeitet die Bundesregierung.

Aber die deutschen Bauern wollen das auch nicht…

Die deutschen Bauern wollen auch keine Exportsubventionen haben. Sie sehen sich als mittelständische Unternehmer, die wirtschaftlich arbeiten wollen unter fairen Rahmenbedingungen. Diese fairen Rahmenbedingungen zu schaffen, ist die Aufgabe der Politik.

Gleich zu Anfang Ihrer Amtszeit haben Sie gesagt, sie wollen den Fokus auf wirtschaftliche Zusammenarbeit legen. Was davon wurde bisher umgesetzt?

Wir haben viele Kontakte geknüpft. Ich werde zum Beispiel hier in Südafrika eine Rede bei der Außenhandelskammer halten, um deutlich zu machen, welche Möglichkeiten der Kooperation zwischen der Entwicklungspolitik und Wirtschaftsunternehmen stattfinden kann. Viele Betriebe arbeiten auch schon mit der Entwicklungspolitik zusammen. Wir haben zum Beispiel in Namibia die größte Direktinvestition, die es jemals gegeben hat, der Firma "Schwenk Zement" aus Ulm. Das ist ein Familienunternehmen, das dort mit Hilfe der Deutschen Entwicklungsbank und anderen Entwicklungsbanken das erste und einzige Zementwerk erstellt. Damit wird eine enorme Entwicklungsdynamik für eine ganze Region in Nordnamibia ausgelöst.

Lesen Sie in Teil 2: Bundesentwicklungsminister Niebel über deutsche Hilfe für die Palästinenser, den Sinn von Wiederaufbau in Zeiten des Krieges und sein Einreiseverbot in den Gazastreifen.


Niebel bei der Besichtigung eines Klärwasser-Projekts, das mit deutschen Geldern gefördert wird (Foto: dpa)
Niebel besucht deutsche Projekte in NablusBild: picture alliance / dpa

Sie waren in den vergangenen Tagen im Nahen Osten unterwegs, wie kann denn Entwicklungshilfe dort aussehen, wenn der Gaza-Streifen blockiert ist, wie Sie gerade selbst erfahren mussten?

Der Nahe Osten ist mehr als der Gazastreifen, ich habe zum Beispiel mit Ministerpräsident Fayyad den Spatenstich für ein Klärwerk in Nablus gemacht. Das soll für bessere Wasserbedingungen sorgen für 250.000 Menschen, die im Moment keinen Zugang zu sauberem Wasser haben.

Der Gazastreifen ist allerdings tatsächlich eine entwicklungspolitische Problemzone. Wir sind dort mit unseren eigenen staatlichen Durchführungsorganisationen vor Ort tätig, allerdings vor allem im Bereich der Not- und Übergangshilfe. Und in einigen kleinen Bildungsprojekten, weil es eine sehr junge Bevölkerung ist, die dort lebt. Ohne Bildung würden die jungen Menschen sicherlich noch eher auf die Thesen von Hamas und anderen Terrororganisationen ansprechen. Deswegen ist diese Bildungsarbeit enorm wichtig.

Mein Hauptgrund für die Reise nach Gaza war jedoch, dass dort ein großes Klärwerk kaputt ist und 50 Prozent der ungeklärten Abwässer ins Mittelmeer geleitet werden. Das führt dazu, dass nicht nur die Strände verschmutzen sondern auch, dass das Grundwasser verseucht wird und Krankheiten wie Typhus und Ähnliches zunehmen. Wir haben als Bundesrepublik Deutschland zugesagt, dieses Klärwerk wieder aufzubauen und auszuweiten, weil die Kapazitäten gar nicht ausreichen.

Und wer keine Schulen aufbaut, wird bei einer überwiegend jungen Bevölkerung sehen, dass die falschen Leute die Kinder und Jugendlichen unterrichten, deshalb müssen wir auch die Schulen aufbauen. Wer insgesamt, wie Deutschland in diesem Jahr, 42,5 Millionen Euro für Entwicklungspolitik in den palästinensischen Gebieten ausgibt, muss verstehen, dass der zuständige Minister auch die Verantwortung hat, nachzuschauen, was da passiert und wie das Geld sinnvoll eingesetzt werden kann, damit die Gelder des Steuerzahlers nicht fehlgeleitet werden.

Sie hätten auch über Ägypten nach Gaza einreisen können!

Eine Einreise über Ägypten ist indiskutabel und wäre ein absoluter Affront gegen Israel gewesen. Daher kam diese Möglichkeit zu keinem Zeitpunkt in Frage.



Niebel mit dem palästinensischen Regierungschef Salam Fayyad in Nablus (Foto: dpa)
"Mit Fayyad muss ein vertrauenswürdiger Partner bei den Palästinensern gestärkt werden", so NiebelBild: picture alliance/dpa

Wie sinnvoll ist es denn, so viel Geld in die Entwicklungszusammenarbeit in den Palästinensergebieten zu stecken, wenn beim nächsten Krieg dort womöglich wieder alles zerbombt wird?

Es ist sehr sinnvoll dort zusammenzuarbeiten mit der legitimen Regierung Fayyad, mit der Israel auch endlich einen vertrauenswürdigen Verhandlungspartner auf der palästinensischen Seite hat. Den muss man stärken und stabilisieren. Und wenn die Lebensbedingungen der Menschen sich dort nicht verbessern, dann schwächt das die legitime Regierung und stärkt die Terroristen rund um Hamas. Deswegen ist es auch im israelischen Interesse, hier tatsächlich für eine Verbesserung der Lebensbedingungen zu sorgen. Wir fördern sogar trilaterale Projekte, an denen Israel, Deutschland und die Palästinenser beteiligt sind und die auch relativ gut und entspannt umgesetzt werden. Sie zeigen die friedensbildende Komponente der Entwicklungspolitik, weil Menschen zusammengebracht werden und miteinander reden und agieren müssen. Das stärkt das Vertrauen zueinander und minimiert die Gewaltbereitschaft. Ein Restrisiko, dass irgendwas zerstört wird, besteht immer.

Wäre denn nicht Israel selbst als Besatzungsmacht dafür zuständig, den Gazastreifen wieder aufzubauen? Nehmen wir den Israelis nicht damit die Arbeit ab?

Der Gazastreifen ist nicht von Israel besetzt, der Gazastreifen ist palästinensisches Autonomiegebiet. Israel hat die Grenzen von außen abgeriegelt, um die Übergriffe aus dem Gazastreifen auf sein Territorium zu unterbinden, weil dort Waffen reingeschmuggelt werden. Israel ist im Jahr 2005 freiwillig aus dem Gazastreifen abgezogen und hat alle Kibbuzim und Siedlungen abgebaut, seitdem ist die palästinensische Autonomiebehörde für den Gazastreifen verantwortlich. Deswegen sollte man Israel hier nicht ungerechterweise einen Besatzungsstatus für den Gazastreifen zuschreiben, sie sind keine Besatzungsmacht, weil sie gar nicht in diesem Land sind.

Sie waren jetzt im Westjordanland, um sich darüber zu informieren, was mit den deutschen Geldern geschieht – was haben Sie erfahren?

Das Westjordanland ist teilweise besetzt, das ist der wesentliche Unterschied zum Gazastreifen. Ich habe verschiedene Projekte der beruflichen Bildung und im Bereich Wasser, Abwasser und sicherem Zugang zu Wasser besucht. Und diese Projekte werden nach meinen Beobachtungen sehr gut umgesetzt. Insbesondere im Bereich der Bildung: Das ist eine echte Investition in die Zukunft der Menschen denn egal, welche Regierung an der Macht ist: Was die jungen Leute im Kopf haben, kann ihnen keiner mehr weg nehmen.

Sie haben sich in Israel mit Außenminister Lieberman getroffen. Haben Sie den Einrduck, dass es noch eine Chance für Friedensverhandlungen gibt?

Ich bin nach allen politischen Gesprächen, die ich geführt habe - vom Außenminister über den Staatspräsidenten bis hin zum stellvertretenden Ministerpräsidenten - der festen Überzeugung, dass es eine Chance für Friedensverhandlungen gibt. Die so genannten "proximity talks", also die indirekten Verhandlungen, sind nach wie vor im Gange und scheinen auch auf einem guten Weg zu sein. Details dazu kenne ich allerdings nicht. Aber jemand, der die Hoffnungen aufgibt, dass es zu Friedensverhandlungen im Nahen Osten kommt, der gibt die ganze Region auf.

Das Interview führte Manfred Götzke

Redaktion: Christine Harjes / Ina Rottscheidt